Teil 32

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Sofis Sicht:

Nachdem Sofi vollkommen aufgelöst ihren Eltern eine Kurzfassung des Ereignisses geschildert hatte, war ihre Mutter bereit dazu, ihr bei der Suche zu helfen. Der Flug war den beiden egal geworden, hier ging es um das Leben eines Menschen. Sofi hasste sich dafür, dass sie nicht früher bemerkt hatte, wie es um Jamila wirklich stand. Ihre Mutter versuchte ihr einzureden, dass das alles nicht ihre Schuld war und dass sie sich keine Vorwürfe machen sollte, aber Sofi wusste, dass sie es verhindern hätte können. Wäre sie doch bloß für Jamila dagewesen. Sie hatte sie im Stich gelassen. Wenn Jamila sich jetzt wirklich etwas angetan hätte oder antun würde, dann würde sich Sofi das nie verzeihen können.

Unzählige Male hatte sie in den letzten Minuten und Stunden die Nummer ihrer vermissten besten Freundin gewählt, doch das Handy war ausgeschaltet. Justin wollte sie nicht informieren, denn die Aufregung könnte ihm und seinen Herzen erheblich schaden und er war gerade auf dem besten Wege, sich zu erholen. Die Nummer von Pattie wusste sie nicht, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als alle möglichen Orte abzusuchen, an denen Jamila sein könnte. Sofi wurde bewusst, wie fremd  sie ihr die letzten Monate geworden war. Denn gerade jetzt, wo es an ihr lag, die Lieblingsorte ihrer Freundin zu kennen, hatte sie keine Ahnung, wo diese sich aufhalten könnte.

Mehrmals brach Sofi in Tränen aus, machte sich unendlich viele Vorwürfe und hatte keine Kraft mehr, weiter zu suchen. Doch ihre Mutter tröstete sie immer wieder. In Momenten wie diesen liebte sie ihre Mama mehr als alles andere auf dieser Welt.

Als sich die beiden dem Ententeich näherten, bei dem Jamila oft Stunden verbrachte, hatten sie die Hoffnung schon fast aufgegeben. Doch von der Ferne sah Sofi ein Mädchen, das auf der Brücke stand und regungslos nach unten ins Wasser starrte. Ihre vom ständigen Heulen angeschwollen Augen schmerzten so sehr, dass sie nicht viel mehr erkennen konnte. War das Jamila? Sofi sprintete so schnell sie konnte los und als sie nur noch wenige Meter von dem Mädchen trennten, erkannte sie tatsächlich das Gesicht. Erleichterung und Panik ergriff sie zugleich. Erleichterung, weil Jamila lebte. Panik, weil alles darauf hindeutete, dass sie springen würde.

„Jamila!“, kreischte Sofi verzweifelt. „Bitte, spring nicht! BITTE!“

Sofi lehnte sich an den Holzmasten der Brücke, um das Gleichgewicht zu behalten. Sie schluchzte so stark, dass ihr ganzer Körper bebte und sie hilflos nach Luft ringen mussten, um nicht zu kollabieren. Jamilas schwache und zugleich hasserfüllte Stimme drang zu ihren Ohren.

„Komme einen Schritt näher und ich springe.“

„Bitte…tu…das…nicht.“ Die Worte kamen nur mühsam aus Sofis Mund und wurden zwischendurch von heftigen Hustanfällen unterbrochen. Die ganze Aufregung war zu viel für das Mädchen.

„Dich interessiert es doch sowieso nicht, wie’s mir geht.“ Eine Träne kullerte über Jamilas Wangen. Ihre Stimme wechselte ständig zwischen eiskalt und emotionslos. „Du bist wie meine Mutter, mein Vater, meine Schwester und all die anderen. Ihr habt mir das Leben noch schwerer gemacht, als es sowieso schon war. Ihr könnt nichts mehr verhindern. Es ist zu spät. Ihr seid zu spät.“

Dann herrschte Stille. Keine wagte es, die andere anzusehen. Niemand bewegte sich. Niemand sprach ein Wort.

„Jamila! Bitte mach keinen Fehler! Ich habe deinen Brief gelesen. Hör zu: Wir schaffen das zusammen. Gemeinsam. Ich werde dir helfen. Hast du mich verstanden? Jamila? Jamila!“

Justins eindringliche Rufe drangen zu den beiden Mädchen herüber. Dann herrschte Stille. Jamila starrte weiterhin in die Tiefe, Sofi stand an den Brückenmasten gelehnt, gequält von Hustenanfällen und dem ständigen Schluchzen und Justins Blick war stets auf seine Freundin gerichtet.

Dann endlich drehte Jamila sich in seine Richtung und sah ihm in die Augen. Vollkommen überraschend rannte sie los und warf sich in seine Arme.

Lifesaver - A Justin Bieber StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt