Der siebte Tag - Leben und Tod

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Chapturesong:Heaven got another angel

Der siebte Tag

06.12.2089

7:00 Uhr, zuhause 

Ich fahre in die Höhe. Etwas in mir hatte bewirkt, dass ich aufwache; ein innerer Instinkt.

Warum bin ich aufgewacht? Ich weiß es nicht, noch nicht. Doch ich werde es herausfinden.

Ich schlüpfe in meine Hausschuhe und schlurfe müde zur Treppe.

Gerade als ich meinen Fuß auf die Treppe setzten will, wackelt der Boden.

Ich keuche erschrocken auf, und versuche, trotz der bebenden Treppe und den hin und her rutschenden Dingen, die sich mir in den Weg zu stellen scheinen, so schnell wie möglich zu Mums Zimmer zu kommen. Die Tür neben ihrem Zimmer springt krachend auf. Dan kommt erschrocken aus seinem Zimmer und schaut mich an, wie ich mich abmühe, um zu Mum zu kommen. Er ist schneller da als ich, denn sein Zimmer ist direkt nebenan. Er reißt die Tür auf und ruft mich zu sich.

Ich versuche verbissen, der auf mich zu rutschenden Bodenvase auszuweichen, was mir leider nicht sehr gut gelingt, weshalb ich mich an den Scherben schneide.

Dan schaut mich abwartend an, doch ich schüttele hilflos den Kopf. Ich habe keine Chance, zu ihm zu gelangen, ohne mir nochmal wehzutun.

Hin und her gerissen steht Dan an der Tür, auf der einen Seite ich, auf der anderen Seite Mum und Marvin. Er entscheidet sich für letztere, da Mum und Marvin hilflos erschlagen werden können, während ich mich wehren kann.

Ich sehe, wie er in dem Zimmer verschwindet.

 Dann rutscht plötzlich ein Stuhl auf mich zu; ich kann ihn gerade noch abfangen.

Nach einiger Zeit merke ich, dass es wieder still geworden ist. Das Erdbeben hat aufgehört.

Benommen setze ich mich auf das Sofa. Ich zittere zu sehr, um zu Dan zu gehen, deshalb warte ich auf dem Sofa auf ihn.

Plötzlich höre ich einen lauten, mit Trauer gefüllten Schrei aus Mums Zimmer. Es klingt wie Dans Stimme. Erschrocken finde ich dann doch die Kraft, um zu Mums Zimmer zu rennen, doch was ich dort sehe, lässt mein Herz für kurze Zeit aussetzen.

Dan kniet an Marvins Bett, ich erkenne anfangs nicht, wieso, doch dann bemerke ich, wie blass Dan geworden ist. Ich laufe zu ihm und frage ihn leise, was denn los ist.

Er deutet zitternd auf Marvin. Er liegt genau in der Position da, in der wir ihn gestern eingebettet haben. Er ist sehr blass, fast schon durchsichtig. Das macht mich stutzig. Ich fasse zögernd an seinen Kopf – er ist eiskalt. Fast, wie als ob ich an einen kalten Stein fasse. Dann lange ich entsetzt seine Hand an – genauso kalt, und steif wie Holz.

Als mir klar wird, was das bedeutet, schnappe ich entsetzt nach Luft. Meine Augen füllen sich explosionsartig mit Tränen und ich schreie schockiert auf.

Das kann doch nicht wahr sein! Marvin ist nicht tot! Nein!

Mein Verstand will diese Tatsache nicht einsehen.

Bisher habe ich immer gedacht, wir kommen heil aus dieser Katastrophe heraus, vielleicht angeschlagen, aber dennoch ganz. Doch dass Marvins Krankheit ihn umbringen kann, das hatte ich nicht geahnt.

Ich schaue traurig zu Dan. Ich sehe ihn durch meine Tränen nur verschleiert, aber trotzdem sehe ich, dass auch er von tiefer Trauer erfüllt ist.

So fühlt es sich also an, jemanden zu verlieren, den man liebt. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm ist. Man hört in den Nachrichten immer wieder etwas von Leuten, deren Angehörige sterben, und man denkt nicht mehr wirklich darüber nach, was es für den Angehörigen bedeutet, wie weh so etwas einem tun kann.

Jetzt weiß ich es, doch auf diese Erfahrung hätte ich liebend gerne verzichtet.

9:00 Uhr, zuhause

Ich saß mit Dan lange Zeit an Marvins Bett. Ich hoffte die ganze Zeit, dass er wieder aufsteht, mich ansieht und mit mir spielen will, aber ich weiss, dass er das nie wieder tun wird. Ich möchte am liebsten für immer dasitzen und nichts mehr tun, doch ich weiss, dass Mum unsere Hilfe braucht. Sie könnte ebenso bald sterben, wie Marvin.

Ich schüttele fassungslos den Kopf. Meine Mundwinkel verziehen sich zum wiederholten mal nach unten; ich weine . Meine Augen sind geschwollen und meine Schluchzer nur noch leise.

 Nach einer Weile stehen wir auf. Dan geht in die Küche, um einen Tee für uns alle zu kochen, ich decke Marvin zu. Dann setze ich mich an Mums Bettkante und überbringe ihr die schreckliche Nachricht, wobei ich nicht weiß, ob sie mich hört, geschweige denn versteht.Sie wirft sich immer noch hin und her. Ich messe ihre Körpertemperatur- sie ist schon ein wenig gesunken, aber dennoch noch ziemlich hoch.

Ich nehme besorgt und erschüttert ihre Hand und drücke sie fest. Dann stehe ich schweren Herzens auf und gehe runter zu Dan.

Schweigend schauen wir uns an, dann falle ich ihm in die Arme. Er setzt mich behutsam auf einen Stuhl und lässt mich meinen Tee trinken. Ich schaue gedankenverloren nach draußen. Es ist stockduster, doch dann sehe ich plötzlich einen Lichtstrahl auf der Straße leuchten.

Wie sind die Leute dort nach draußen gekommen? Es liegt doch meterhoher Schnee auf dem Boden!

Ich stehe auf und schaue nach draußen. Mein Blick fällt auf den schneefreine Boden - und endlich habe ich einen ,wenn auch noch so kleinen Grund zur Hoffnung. Ich schlüpfe schnell in meine Stiefel und Jacke und zerre Dan am Handgelenk nach draußen - Endlich wieder frei!

Nach Tagen eingefangen im eigenen Haus fühlt es sich wundervoll an, an einen anderen Ort zu sein, auch wenn es hier draußen nicht sehr angenehm und warm ist.

Ich laufe zu dem Lichtstrahl. Er kommt von einer Taschenlampe, die , wie sich herausstellt, Maddie gehört.

Jauchzend fallen wir uns in die Arme.

"Maddie !" - "Amy!"

Erleichtert lachend befreie ich mich wieder aus ihrer heftigen Umarmung. Aus dem Augenwinkel sehe ich Dan, wie er unschlüssig danebensteht und nervös an seiner Jacke herumnestelt.

Ich stelle Dan Maddie vor.

Sie schütteln sich die Hände, Dan zögerlich, Maddie mit einem neckischen Leuchten in ihren Augen.

Dann beugt sich Maddie zu mir und flüstert mir ins Ohr:

"Läuft da was, Amy?"

Ich grinse und schüttele den Kopf.

"Nicht wirklich..."

Ich klinge nicht sehr überzeugt, deshalb prustet Maddie los.

Ich falle in ihr Lachen ein. Für eine kurze Zeit vergesse ich, dass Marvin tot und Mum krank ist.Ich denke, es ist alles wie immer, ohne Sorgen,am nächsten Tag jemanden zu verlieren.

Diese Zeit genieße ich.

Doch weiß ich, dass auch diese schöne Zeit nur von kurzer Dauer ist.

Als Maddie merkt, dass ich niedergschlagen bin,, schütte ich mein Herz bei ihr aus, woraufhin sie entsetzt nach Luft schnappt und sie mich erschrocken anschaut.

"Das ist nicht wahr, oder? Sag mir ,dass das nicht wahr ist..."

Als ich nur traurig den Kopf schüttele, setzt sie sich einfach auf die Straße und heult los. Ich nehme sie in den Arm, doch weinen kann ich nicht mehr.

Merkwürdig, dass ich sie trösten muss, obwohl Marvin doch mein Bruder war.

Nachdem Maddie sich überwinden konnte, aufzustehen und mit unserer Hilfe zu uns in das Haus zu  kommen, setzt sie sich auf das Sofa und trinkt den Tee, den ihr Dan gegeben hatte. 

Wir sitzen den ganzen Abend dort und reden miteinander über unsere Erlebnisse, während sich Dan rührend um Mum kümmert.

Als Maddie schon längst gegangen ist, setze ich mich niedergeschlagen auf das Sofa und höre Radio. Es gibt nur einen Sender,der arbeitet, und der Sendet auch nur mit vielen Unterbrechungen.

Da nichts dabei ist, was mich interressiert, schalte ich es aus, wünsche Dan eine gute Nacht und gehe ins Bett.



Black CloudWhere stories live. Discover now