Der sechste Tag - Schwarzweiss

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Chapturemusic:You raise me up

Der sechste Tag

05.12.2089

9:00 Uhr, zuhause

Als ich aufwache, bin ich das erste mal ausgeschlafen. Im Haus ist es still. Ungewöhnlich still für diese Uhrzeit. Ich stehe leise auf und gehe zu Mums Zimmer. Normalerweise wäre sie schon aufgestanden, vor allem da sie gestern schon früh ins Bett gegangen ist.Merkwürdig. Auf Zehenspitzen schleiche ich zur Tür und öffne sie, so leise ich kann.

Als die Luft mir entgegenschlägt, atme ich entsetzt ein. Sie ist sehr, sehr stickig, und mir fällt auf, dass wir schon seit etlichen Tagen  aufgrund des kalten Wetters nicht gelüftet haben.

Ich husche zum Fenster und reisse es auf. Dann renne ich wieder zurück zur Tür . Plötzlich höre ich ein lautes Stöhnen. Ich drehe mich erschrocken um und sehe, wie sich  Mum hin und her windet. Ihr ganzes Bett ist vollgeschwitzt, und sie stöhnt ab und zu. Sie scheint sehr fiebrig zu sein.

Entsetzt laufe ich zu ihr auf das Bett und fasse zögerlich an ihre Stirn. Sie ist sehr warm, viel wärmer als meine Stirn. Sie muss sich an Marvin angesteckt haben.

A propos Marvin - er sieht auch nicht in besserer Verfassung aus als Mum. Auch er ist vollgeschwitzt und zittert.Ich hole das Fieberthermometer und messe die Temperaturen der beiden.

Beide haben sehr erhöhte Temperatur, woraufhin ich sofort zu Dan laufe und es ihm erzähle. Ich bin so in Panik, dass ich gar nicht mehr weiss, was ich tun sollte.

Dan beruhigt mich zuerst, dann holt er zwei kleine Handtücher und macht sie nass. Diese nassen Tücher legt er dann behutsam auf die Stirne der Kranken und schließt dann leise die Tür.

"Wir sollten sie jetzt erstmal eine Weile ruhen lassen, wir wissen nicht, wie man diese Krankheit bekämpft, also lassen wir sie lieber von selbst heilen. Nicht dass wir alles noch schlimmer machen!"

14:00 Uhr, zuhause

Während ich Mum füttere, da sie zu schwach ist, um alleine zu essen, kümmert sich Dan um Marvin. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mir dabei hilft, die Kranken zu versorgen.

 Löffel für Löffel schiebe ich die aufgewärmte Dosensuppe in Mums Mund. Plötzlich bemerke ich eine weiße Konsistenz in ihrem Mund. Ich schaue genauer hin.

 Es ist eine schaumartige, weißlich- graue Masse, die bestimmt nicht besonders lecker schmeckt.

 Ich werde blass. Was ist das? Ist das eine Folge der mysteriösen Krankheit?

Panisch rufe ich Dan zu mir, der Marvin behutsam auf das Sofa legt und zu mir rennt.

Er schaut sich Mums Mund an. Auch er ist merklich entsetzt. Er läuft wieder zu Marvin um herauszufinden, ob auch Marvin unter dieser merkwürdigen Konsistenz leidet.

Auch er hat diesen Schaum im Mund, den wir sofort versuchen mit Wasser wegzuflößen, was aber nicht funktioniert, weil er sich immer wieder neu bildet.

Da wir sonst keine anderen Ideen haben, wickeln wir die beiden Infizierten in viele dicke Wolldecken und flößen ihnen ab und zu Zitronentee ein.

Als die beiden in Mums Zimmer schlafen, überrollt mich eine Welle der Erschöpfung.

Ich sinke zitternd auf den Boden und starre auf die gegenüberliegende Wand. Ich spüre, wie etwas Nasses meine Wange runterrollt. Ich weine. Früher würde ich mit allen Mitteln versuchen, zu verhindern, dass jemand sieht, wie verletzlich ich bin, doch jetzt ist es mir egal. Ich lasse meinen Gefühlen freien Lauf. Ich erwarte, dass Dan versucht mich zu trösten, aber auch er sieht sehr erschöpft aus. Er hat dunkle Augenringe und blasse, eingefallene Wangen. Er lässt sich neben mich fallen und ich sehe, wie auch er anfängt zu weinen.

Ich sehe weg, und versuche mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Ich denke daran, wie es früher war, bevor diese schwarze Wolke auftauchte.

Ich erinnere mich daran, wie Maddy, die zwei Straßen weiter wohnt, mit mir zum ersten Mal alleine ins Kino gegangen ist. Wir waren sehr aufgeregt, und  wir redeten pausenlos. Ich war damals noch zehn, Maddy elf. Damals war unsere Welt noch heil, fast ohne jegliche Beschwerden und sorgenfrei. Maddy hatte damals noch kein Krebs, doch als sie zwölf wurde, wurde Krebs bei diagnostiziert und in diesem Jahr fielen ihr die Haare aus. Inzwischen sind ihre Haare wieder nachgewachsen, doch ihr wurde der ganze Stress mit Krebs zu viel und mit 13 fing sie an zu rauchen.

Ein verzweifelter Schluchzer lässt meinen Körper erbeben. Diese Gedanken erinnerten mich an Marvin, dem die Haare zurzeit auch ausfielen, doch bei uns konnte keiner uns helfen.

Ich fühle mich kraftlos; ich habe keine Kraft mehr, um dies alles zu ertragen.

Dan steht schweigend auf und schaltet das Radio an. Da dort nur Nachrichten laufen, die wir im Moment aber nicht ertragen wollen, legt er eine CD in den CD-Player.

„…You raise me up, so I can stand on mountains.

You raise me up, to walk on stormy seas.

I am strong, when I am on your shoulders.

You raise me up…to more than I can be…”

Die letzte Zeile spiegelt genau meine Gefühle wieder. Ich muss mich um Mum und Marvin kümmern, doch ich bin nicht mehr fähig, es zu tun. Trotzdem  motiviert mich dieses Lied, wieder aufzustehen, sowohl körperlich als auch geistig. Mir fällt auf, dass dieses Lied früher Mums Lieblingslied war.

Schweigend stehen Dan und ich uns gegenüber, im Hintergrund läuft die Musik. Dann gehe ich einen Schritt auf ihn zu und umarme ihn schluchzend.

 Minutenlang stehen wir so da, eng umschlungen, und trösten uns gegenseitig durch unser Dasein, durch die Körperwärme, aber auch durch Mitgefühl.

Nachdem wir uns beide wieder gefasst haben, gehen wir Hand in Hand in die Küche und wärmen das Abendessen auf.





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