Hallo Welt,
mensch, ist das lang her, dass wir uns mal so richtig unterhalten haben. Wie geht es dir? Wie steht es um dich? Nimmst du dir auch mal Zeit zum Durchatmen?
Bei mir ist gerade alles etwas chaotisch. Ich will so viel und alles sofort und nichts davon funktioniert wirklich, wie ich mir das vorgestellt habe. Ein bisschen hab ich das Gefühl, dass es dir dieses Jahr auch so geht. Du hast einen Plan und dann, im letzten Moment vor der Verwirklichung, rutscht dir alles aus den Fingern und zerschlägt am Boden der Tatsachen in tausend Scherben, die du uns dann als immer nächsten Punkt auf die To-Do-Liste schreibst.
Hinter dir aufräumen. Dich wieder zusammen setzen. Träume, Ideale, Werte, die unwiederbringlich sind, wegschmeißen.
2016 ist nicht dein Jahr gewesen, oder? Dir sterben so viele große Persönlichkeiten unter den Fingern weg, dass man sich überall auf dem Planeten fragt, ob du überhaupt zur Reanimierung angesetzt hast. Oder hast du einen Blick hinter die Kulissen geworfen, dir 2017 einmal aus nächster Nähe angesehen und entschieden, dass du denen, die sich davor in Sicherheit bringen wollen, keinen Stein in den Weg legst, sondern ihnen das Beste wünscht auf ihrer weiteren Reise?
Aber wir wollen die Schuld nicht 2017 geben. Das ist ein Jahr, das es noch vor sich hat, sich zu beweisen. Heute geht es um 2016 und dich und euer Verhältnis zueinander. Ich möchte gerne sagen, es wird heller auf der Welt. Dass wir richtig etwas schaffen. Und da gibt es auch bestimmt furchtbar viel, das wir auf die Liste des Erfolgs schreiben können.
Nur tröstet das nicht darüber hinweg, dass wir uns einer Flüchtlingskrise gegenüber sehen. Und dass wir es in dieser Notsituation nicht geschafft haben, näher zusammenzurücken und einander zu wärmen und zu helfen. Wir sind auseinander getrieben. Wir haben Menschen an ein rechtes Ufer verloren, von dem aus niemals Gutes kommen kann.
An dieses Ufer haben wir auch die Briten verloren. Europa wankt. Solange ich denken kann, war die EU für mich Europa. Die bloße Idee, aus der EU auszutreten, hat sich mir als Humbug präsentiert. Damals wie heute. Wieso sollten wir? Wieso sollte irgendjemand? Die EU mag nicht in jeder Hinsicht funktionieren, aber wie kann Separatismus, wie kann Isolierung jemals die Lösung für etwas sein, das man in einer immer globalisierteren Welt doch eh nur noch gemeinsam angehen kann?
Die Zeit der einzelnen Retter ist vorbei. Himmel Herr Gott, selbst Superhelden müssen inzwischen Teams bilden, um gegen das große Böse zu bestehen. Die Avengers. Die Guardians Of The Galaxy. Die Justice League. Arrow und Flash arbeiten auch im Team. Der verstimmte und verschlossene Einzelgänger hat ausgedient. Es braucht mehr als ein Kopf, mehr als ein Herz, mehr als ein Rückgrat aushalten kann.
Wir brauchen einander. Im Großen wie im Kleinen. Dringender denn je müssen wir uns daran erinnern, dass wir stärker werden, wenn wir die Hand eines anderen ergreifen. Momentan sitzen wir noch nicht alle in einem Boot. Deswegen ist es auch längst nicht überfüllt oder vom Sinken bedroht. Und wird es nie sein.
Momentan schwimmen wir alle als Einzelkämpfer im Meer unserer Widrigkeiten. Und überall um uns herum strecken Ertrinkende die Hände in die Luft. Was hält uns davon ab, sie zu ergreifen? Verstehen wir nicht, dass wir alle früher oder später einmal Ertrinkende sein werden und dann auf diese Hände angewiesen sind?
Wir können einander über Wasser halten. Wir können miteinander schwimmen lernen. Vielleicht finden wir eine Insel und genug Holz, um uns ein Boot zu zimmern, aber bestimmt nicht allein.
Wie schwer kann es sein, zu verstehen, dass uns Solidarität und Freundschaft, Liebe und Zusammenhalt weiterführen können, als Egoismus und falsch verstandene Angst vor dem Neuen uns je tragen könnten?
Ich bete dafür, dass diese Weihnachtszeit, dass überhaupt das Zusammenkommen mit Menschen, die wir lieben, uns wieder und wieder und wieder daran erinnern wird, dass wir zusammen stärker sind als allein.
Wir haben es nötig. Du, meine liebe Welt, hast es nötig. Wir haben Amerika dabei zugesehen, wie sie einen Präsidenten gewählt haben, der nicht für ein Miteinander steht. Donald Trump will keinem Ertrinkenden die Hand reichen. Er will sich einen Motor für sein Rettungsboot kaufen und hinweg jetten, damit er die Not hinter einer Mauer verstecken kann und in seinem Elfenbeinturm aus Dollarscheinen dem Wahn einer heilen Welt verfallen kann.
Die Welt ist nicht heil und er wird noch mehr Risse in dich hinein schlagen. Er ist aus einem solchen Riss herausgekrochen und es werden weitere folgen, wenn das übrig geblieben Wir nicht beschließt, dass wir das nicht zulassen.
Dass wir einander an den Händen nehmen und uns um die Welt legen. Es gibt genug von uns. Das reicht locker. Wir können die Welt zusammen halten. Wir können sein, was die Welt im Innersten zusammen hält.
Aber wir müssen es schon sein. Niemand nimmt uns das ab. Niemand schafft das allein. Deswegen - reicht einander ein paar Mal öfter die Hände, wenn ihr dazu Möglichkeiten entdeckt. Helft alten Menschen in den Bus, helft Eltern mit Kinderwagen aus der Straßenbahn. Helft einem Sohn der zu Weihnachten nach Hause fährt mit seinem Koffer in den Zug. Helft einer Tochter an den Teddybären heranzukommen, der auf dem Regal zu weit oben steht und den sie ihrem kleinen Bruder zu Weihnachten schenken will. Helft dem Obdachlosen, teilt eurer Brot mit ihm. Helft der Frau im Wartezimmer beim Amt, die nicht weiß, wie sie ihren Antrag auf Asyl ausfüllen soll. Helft dem Mann, der am Straßenrand steht, die Augen verbunden und ein Schild vor den Füßen: "Ich bin ein Muslim, aber man sagt mir, ich sei ein Terrorist. Ich vertraue euch. Vertraut ihr mir auch? Wenn ja, umarmt mich." Er hat die Arme schon ausgebreitet, er streckt wortwörtlich die Hände nach euch aus. Nehmt sie. Nehmt ihn in den Arm.
Tut es euch zuliebe. Ihm zuliebe. Der Welt zuliebe. Wir haben nur eine und wir haben nur einen von ihm und nur einen von euch. Wir sind alle nur einmal hier. Und es gibt niemanden, den wir opfern können. Niemanden, ohne den wir es schaffen.
Wir kriegen Bowie nicht zurück. Leonard Cohen nicht. Nicht Max Mannheimer. Nicht Gene Wilder. Nicht Ernst Nolte. Nicht Bud Spencer. Nicht Muhammed Ali. Nicht Annemarie Dose. Nicht Prince. Nicht Gert Schramm. Nicht Roger Cicero. Nicht Peter Lustig. Nicht Alan Rickman. Aber jeder, den wir nach ihnen verlieren, ist jemand, den wir verloren geben.
Und das können wir uns nicht mehr leisten.
Es mag noch nicht wieder aussehen wie Weihnachten (Michael Bublé sieht das zwar anders, aber nun, selbst er mag sich irren) - aber die Zeit, um näher zusammenzurücken und wieder aneinander festzuhalten, ist längst gekommen.
In diesem Sinne,
fröhliche Weihnachten und ein frohes Beisammensein,
deine Kira.
DU LIEST GERADE
Kira lässt grüßen und sagt...
Historia Corta❝i wanted to choose words that even you would have to be changed by.❞ Zwischen dem Begehren, zu lernen, dem Bemühen, zu verstehen, und der Hoffnung, die das Platzen nicht scheut - Gedanken eines Mädchens und Worte. Worte für die Menschen, für die We...