Das Rettungsteam sind jetzt wir.

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Hallo Welt,

manchmal bin ich den sozialen Medien, auf denen ich unterwegs bin, sehr für ihre Funktionen des Teilens dankbar. So erfahre ich über viele Ecken von anderen, die sehr intelligente Gedanken endlich mal formulieren und damit Themen anreißen, die unbedingt weiter ausgeführt werden wollen.

Wovon spreche ich? Von dem Video, das sowohl oben zu sehen ist, als auch im externen Link auf euch wartet.
Ansehen sehr empfohlen! Darin ist alles sehr dezidiert erklärt.Wer aber keine sechzehn Minuten investieren will, hier ist die Kurzfassung: Es wird lang und ausführlich über die Unterscheidung von Hate und Kritik gesprochen, Definitionen für beide angebracht, und festgestellt, dass in der deutschen Youtubecommunity beides insofern abgelehnt wird, als dass ein Wegsehen etabliert wird, das anscheinend Effektivität und gute Gefühle bringt. Kurzum: die Illusion der #goodvibes, die so hemmungslos im Internet kursiert. Dieses Wegsehen wird als hinderlich kritisiert, weil es eine Entwicklung in die richtige Richtung in keinster Weise voranbringt, sondern die Stimmen derjenigen auslöscht, die die Position innehätten, Veränderung anzuregen.
Dazu habe ich mir natürlich schon ein paar Mal Gedanken gemacht, aber hier hab ich sie noch einmal relativ ausführlich aufgeschrieben. Vorhang auf für Youtubekommentare, die völlig aus der Form fallen:

Wegsehen ist niemals eine Lösung.

Klar, ist es entspannter, wenn ich mich nicht damit auseinander setzen muss, ob jemand seine Fans nach Strich und Faden verarscht oder sie so lange manipuliert, bis sie Falschinformation fressen, als hätte man ihnen Schokotorte serviert.

Klar, macht es effektiver, wenn man sich nicht fragt, an welchen Ecken der Welt es brennt, so lang es das in meiner eigenen noch nicht tut.

Aber genau wie im Video gesagt, das macht nichts besser. good vibes only ist ein wünschenswerter Zielzustand, aber er ist eben nicht mit einem Fortschrittsoptimismus vereinbar und den sollten wir alle haben.

Als einen Glauben daran, dass eine Entwicklung zum Besseren möglich ist.

Denn, wenn wir den nicht mehr haben, wenn wir den womöglich sogar aufgegeben haben, wozu kommen wir dann noch auf Plattformen wie diesen zusammen und reden über anderes als platteste Unterhaltung? Wenn wir nicht mehr daran glauben, dass unsere Handlungen Folgen haben, die mindestens mal unser eigenes Umfeld beeinflussen, tja, wozu tun wir dann noch irgendetwas?

Setzen wir also Fortschrittsoptimismus voraus, denn alle, die den nicht haben, werden sich dieser Diskussion eh enthalten oder aber ihre Involvierung durch zynische Kommentare auszeichen, die den (erneut) im Video erwähnten Stillstand begrüßen. Wenn man aber an diesen Fortschrittsoptimismus angelehnt eine Idee davon hat, wie man sich soziale Plattformen wünscht, wie man sich den Umgang mit Mitmenschen (ohne jegliche Diskriminierung zum Beispiel) wünscht, wenn man also diesbezüglich Maßstäbe hat, an denen man seine Kritiken ansetzen kann (und das sollten idealer Weise gefestigt Maßstäbe sein, die nicht von Situation zu Situation schwanken, auch wenn man seine Sichtweisen natürlich fundiert begründet ändern darf), dann kann man nicht einfach so tun, als wäre eine Diskrepanz zwischen dieser Idee und der Realität durch ein paar Mal fest Die Augen Zusammenpressen wegzuwünschen.

So funktioniert diese Welt nicht. Wegsehen funktioniert nicht. Schon bei Doctor Who geht das schief - wenn man bei den Weeping Angels wegsieht, holla, die Waldfee. So ist unser Leben auch. Monster, Missstände, Schrecklichkeiten, Ungerechtigkeiten, nennt es beim Namen, verschwinden nicht, nur weil man ihnen (als scheinbar Unbetroffener) nicht länger Aufmerksamkeit zollt.

Das mögen wir Kindern ja erzählen - aber ab einem gewissen Punkt (und die meisten, die diese Plattform zum Kreieren nutzen, sind an diesem Punkt) kommen wir in die Verlegenheit, erkennen zu müssen, dass bei eigener Untätigkeit kein Rettungsteam erwachsener Autoritätsfiguren einspringt, das die Situation zum Guten wendet und die Bösen besiegt.

Dieses Rettungsteam sind jetzt wir.

Die Tatsache, dass Kinder das Gefühl haben dürfen, dass die Welt einfach ist und dass die Dinge, die ihnen erzählt werden, entsprechend stimmen, ist UNMITTELBAR dadurch bestimmt, dass wir als "die Erwachsenen" oder wie oben im Video genannt "die Mündigen" diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die ihre Macht gegenüber Kindern/Jüngeren/Schwächeren/... ausnutzen. Wenn wir es nicht tun, tut es niemand.

"Das kann ich nicht" zählt nicht mehr länger als universelle Ausrede für Untätigkeit. Wenn du willst, dass sich in dieser Welt etwas verändert, dann musst du etwas TUN. Und zwar in einem deutlich aktiveren Sinne als dem so bequemen "Ach, dann tu ich XY einfach nicht mehr."

Wir sind meistens eh nicht die Zielgruppe der Youtube, die wir stillschweigend boykottieren. Wir sind meistens nicht die, die von Missständen betroffen sind. Aber wenn wir diejenigen sind, denen sie auffallen, installiert das in uns eine intrinsische Verantwortung, mit diesem Wissen umzugehen. Und wenn wir es anderen verschweigen, die vielleicht noch nicht in der Position sind, diese Missstände zu erkennen, dann machen wir uns an der Existenz solcher Missstände mitschuldig.

Das ist genau dasselbe wie beim Mobbing. Wenn es kein Publikum gäbe für denjenigen, der seine Position missbraucht, sondern er von allen Seiten zu hören bekäme, dass sein Verhalten gegen die sozial festgelegten Maßstäbe von Freundlichkeit und Respekt verstößt, dann würde das Problem bald im Keim erstickt sein. Dadurch, dass die meisten weggucken, weil weder sie noch ihre Freunde betroffen sind, wird aus dem ersten Funken schnell ein ausgewachsener Waldbrand. Und alle, die weggeschaut haben, stehen mit einem Feuerlöscher in der Hand daneben und haben sich ENTSCHIEDEN, nichts zu tun. Das Feuer nicht zu löschen.

Natürlich muss man sich seine Kämpfe aussuchen, niemand hat die Energie, sich jedem Missstand der Welt im Alleingang anzunehmen, und wer sich der Youtube-Community nicht zugehörig fühlt, muss in diesen Sphären nicht auf der Suche nach Missständen sein, aber jeder hat ein persönliches Umfeld und in diesem Umfeld, welches das auch immer sein mag, gibt es IMMER, IMMER, IMMER irgendwo Missstände, die es zu kommentieren gilt.

Kurzum: Schon wenn jeder anfangen würde, vor der eigenen Haustür zu kehren, hätten wir erstaunlich viele Räume menschlichen Zusammenlebens im Blick.

Und natürlich ist das unbequem. Wer sagt schon gern zu einem Freund, dass sein Witz, der die ganze Gruppe zum Lachen gebracht hat, offensiv, verletzend, rassistisch, sexistisch, ... war? Wer ist schon gern der Spaßverderber und erinnert an Implikationen und Subtexte, die "war doch nur ein Witz" ad absurdum führen? Keiner. Aber wer lebt schon gern in einer Welt, in der wir über Rassismus, Sexismus, ... lachen? Niemand.

Also muss jeder sein Päckchen schultern und daran mitarbeiten, dass wir uns gemeinsam eine bessere Welt schaffen. Was in unseren privilegierten Kreisen schon tausend Mal einfacher ist als an vielen anderen Stellen dieser Welt.

Und dass es noch einfacher ist, sich auf der Bequemlichkeit unseren Privilegien auszuruhen, enthebt uns eben nicht der Verantwortung, die wir sofort aufgetragen bekommen, wenn wir in einen sozialen Kontext eintreten, in dem mehr Individuen existieren als wir selbst.

So... das war jetzt ein langer Text, der im Prinzip nur unterstreicht, was im Video schon angesprochen wurde. Aber das Thema ist so relevant, nicht nur für Youtube, sondern für jeden Aspekt menschlichen Zusammenlebens, dass es gar nicht schaden kann, sich all das zweimal zu geben.

Habt ein frohes Fest.

Kira lässt grüßen und sagt...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt