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An: jessmitderbuechersammlung@gmx.de
Von: d.brieffreund@gmx.de
Betreff: Das Leben eines Singles

Liebe Jess,

die Situation bei mir Zuhause ist sehr verfahren. Ich denke, ich will das erstmal für mich behalten. Ich würde sicher einiges an Anonymität verlieren, würde ich Dir davon erzählen. Es kommen darin nämlich ein paar Details vor, dank derer Du mich erkennen könntest. Uns Beiden war es jedoch von Beginn an sehr wichtig, nicht zu wissen, mit wem wir es zu tun haben. Ich könnte mir vorstellen, dass einer von uns sogar zu einem falschen Namen gegriffen hat, oder ähnlichem. Natürlich alles nur rein hypothetisch, so als Vermutung am Rande.

Lass es mich kurz umreißen, damit Du mich trotzdem verstehen kannst. Ich hatte in letzter Zeit große Probleme, die ich mit meiner Freundin nie besprochen habe. So weiß sie zum Beispiel nicht, dass in unserer Firma Einsparungen durchgeführt werden und ich Sorge habe, dass meine Stelle gestrichen wird. Sie weiß auch nicht, dass ich ihr vor schon vor einem halben Jahr einen Heiratsantrag machen wollte, sie mir ein paar Tage vorher jedoch erklärt hat, dass eine Ehe niemals etwas für sie wäre. Die genauen Gründe werde ich hier mal weglassen, da sie mehr als verletzend und an den Haaren herbeigezogen waren. Sie weiß nicht, dass meine Mutter vor eineinhalb Jahren die Diagnose Krebs erhalten hat. Es war irgendwie nie der richtige Zeitpunkt dafür da. Hört sich nach einer sehr schlechten Ausrede an, oder? Die ersten paar Monate bat mich meine Mutter, ihr nichts zu sagen. Später, als es darum ging die richtige Behandlung zu finden, bin ich allein zu Krankenhausbesuchen aufgebrochen. Meine Freundin schien mir immer schon zu zerbrechlich zu sein, um ihr die Lasten des Lebens aufzuerlegen. Ich dachte, sie versteckt sich deshalb in den Büchern, weil ihr die Realität zu viel ist. Wie hätte ich ihr da von meinen Sorgen erzählen können?

Es ist keine Entschuldigung, Jess. Ich bin mir sicher, sie wird mich hassen, wenn sie erfährt, dass ich zwischen den Anzeigen nach einer anderen Frau, einem Seitensprung, einer Abwechslung, einem Ausweg, ein paar sorgenfreien Minuten, gesucht habe. Betrug ist für sie wie ein rotes Tuch, sie könnte es mir sicher nie vergeben. Darum muss ich darum kämpfen, dass sie zu verstehen beginnt. Es liegt nicht nur an einer Person, und natürlich fahre ich als "Täter" diese Verteidigungsstrategie, aber so ist es nun einmal. Das Leben ist nicht nur schwarz und weiß, richtig und falsch. Das Leben hat viele Grautöne und Halbwahrheiten. Und das Wichtigste ist, Jess, ich habe sie nie betrogen. Ich war auf der Suche, das mag genauso schlimm sein, doch ich habe Niemanden außer Dir angeschrieben. Und unser Kontakt führt und führte sicher nie zu einem Stelldichein.

Aber die Phase für Überzeugung und Reue kommt erst später, daher lass uns doch mit Phase 1 weitermachen. Gibt es Bücher in Deiner Sammlung, die Du einem Mann weiterempfehlen könntest? Vielleicht etwas mit Action oder etwas, bei dem ich nicht alle zwei Sekunden die Augen verdrehen muss, weil die Darsteller sich in endlosen Dialogen darüber verlieren, wie sehr sie einander begehren und nicht ohneeinander leben können? Vermutlich sollte ich andere Worte wählen, wenn ich mit einer Buchliebhaberin schreibe, oder?

Vermutlich habe ich Dir wieder viel zu viel Input gegeben, den Du jetzt erst einmal verarbeiten musst. Melde Dich, wenn Du Zeit dazu findest, ich freue mich auf Deine Nachrichten.

Liebe Grüße von Deinem Brieffreund,
D.

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