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An: d.brieffreund@gmx.de
Von: jessmitderbuechersammlung@gmx.de
Betreff: Wahrheiten

Lieber D.,

nichts gibt mir das Recht, über Dich zu urteilen. Doch trotzdem tue ich es, ich urteile über Dich. Über Dich und Deine Beziehung. Wir Menschen sind manchmal schrecklich selbstgerecht. Ich dachte mir, während ich Deine E-Mail gelesen habe, dass Du in einer Beziehung festhängst, die niemanden glücklich macht. Ich habe mich gefragt, wie man sich selbst und seinem Partner so etwas antun kann. Dann habe ich mich daran erinnert, wie es zurzeit in meiner eigenen Beziehung läuft. Mein Freund und ich, wir sind... Es ist kompliziert und ich sollte mit einem Fremden sicher nicht darüber reden, oder?

Lass uns lieber wieder zu leichteren Themen übergehen.

Bücher. Sie sind so einfach gestrickt. Sie folgen einem Muster, auch wenn sie überraschen, so weiß man doch genau, wie auch bei einem Film, wie der Handlungsstrang ist. Wann man mit Spannung und einem Hinterhalt zu rechnen hat. Das Leben ist da weitaus schwieriger zu bewältigen. Vermutlich fällt es mir deshalb so leicht, mich in ihnen zu verlieren. Vermutlich bin ich deiner Freundin nicht mal so unähnlich. Ich kann ihr Verhalten nachvollziehen, kann sie verstehen, wie du es vielleicht niemals können wirst. Möchtest Du denn nicht nachvollziehen können, wie es ist, ein Buch zu lesen und sich in einer anderen Welt, einer anderen Realität zu verlieren? Ein Buch, das Dir empfohlen wurde, oder das Du Dir selbst aussuchst. Kein Lehrer der Dir vorschreibt, in welchem Tempo Du zu lesen hast. Ich bin mir sicher, Dir würde es gefallen. Hast Du Lust auf ein kleines Experiment? Bitte sag ja, denn ein Nein könnte ich niemals gelten lassen und ich müsste Dich tagelang damit nerven, bis Du endlich zustimmst.

Du schreibst mir ein paar Eigenschaften, die Dir an Filmen gefallen und ich versuche ein Buch zu finden, dass Dir gefallen könnte. Egal, ob ich es schon gelesen habe oder nicht. Für Dich mache ich mich da gerne auf die Suche. Und dann liest Du es. GANZ! Du darfst zwischendrin nicht aufhören, weil es gerade nicht so läuft, wie Du es Dir vorstellst. Wenn Du fertig bist, dann kannst Du mich und Deine Freundin sicher besser verstehen. Oder, Du fragst Dich danach, warum wir Beiden uns so unendlich in etwas verlieben können, dass Dir so überhaupt nicht gefällt. Doch die zweite Variante ist so abwegig, dass wir sie sofort wieder verwerfen werden.

Mach mit! Das wird sicher ein Spaß!

Ich freue mich schon auf Deine Antwort. Bevor ich jedoch aufhöre, hätte ich noch eine Sache D. Gib Deine Freundin nicht so schnell auf. Versuch sie zu verstehen, ihre Liebe für die alten oder neuen Schriften zu akzeptieren und Dich mehr für ihre Leidenschaft zu interessieren. Die Aufmerksamkeit die Dir fehlt, fehlt auch ihr. Zumindest, wenn sie so gestrickt ist wie ich. Ich werde schon lange nicht mehr so beachtet, wie ich es mir wünsche.

Deine Brieffreundin,
Jess

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