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"Ähm entschuldigung. Darf ich mich setzen?" fragte ich unsicher, aber trotzdem höflich. Kurz sah mich der Typ neben seinem Rucksack an, nahm dann aber dennoch notgedrungen das schwarze Gepäckstück augenrollend zu sich und platzierte es auf seinem Schoß.

Es fühlte sich an, wie damals in der Schule, als man noch einer der jüngeren Schulbankdrücker war und einen Elft- oder Zwölftklässer darum bitten musste sich zu ihm setzen zu dürfen, weil sonst der Busfahrer gemeckert hätte, dass sich doch bitte jeder einen Platz suchen sollte, solange noch welche frei waren. Nur mit dem Unterschied, dass ich schon längst aus der Schule draußen war. Gott sei Dank.

Mit einem kurzen "Danke" setzte ich mich zu ihm.
Er aber ignorierte mich und hörte weiter Musik.
Das ließ ich nicht auf mir sitzen. Ich wollte mich doch wenigstens vorstellen.

Ich persönlich fand es einfach unhöflich neben jemanden mehrere Stunden zu sitzen und nicht ein Wort miteinander gewechselt zu haben. Eine kurze Begrüßung tut doch nicht weh. Dachte ich zumindest.

Kurz schaute ich ihn mir ein wenig genauer an. Der Typ war vielleicht nur ein paar Jaare älter als ich. Er hatte braune Haare und ebenso braune Augen. Seine Gesichtskonturen waren sehr markant und er sah ziemlich muskulös aus. Alles in allem sah er echt gut aus, das musste man ihm echt lassen.

Starre ich da etwa und schwärme? Nein, es waren doch nur Feststellungen. Nur Feststellungen! Und um diese Feststellungen überhaupt feststellen zu können, muss man jemanden eben mal etwas genauer betrachten. Daran ist ja nichts verwerflich.

"Ich bin übrigens Manuel." sagte ich kurz und knapp. Woher ich den Mut dazu nahm, war mir in dem Moment nicht bewusst. Er schien mich erst nicht bemerkt zu haben und schaute weiterhin desinteressiert aus dem Fenster. Doch schon ein paar Sekunden später nahm er einen Stöpsel seiner Kopfhörer aus dem Ohr und fragte mich nur "Was?".

"Ich.. äh b-bin übrigens Manuel. A-aber du kannst mich Manu nennen" stotterte ich.

Ach jetzt wo er mich endlich beachtet bin ich auf einmal wieder nervös? Herzlichen Dank auch.

"Aha. Patrick, aber nenn mich Palle. Kann meinen Namen nicht leiden." mit diesen Worten steckte er den Kopfhörer zurück in sein Ohr, um sich schnellstmöglich aus der Unterhaltung zu winden und ignorierte mich wieder. Ein kleines "Ok" verließ noch meine Lippen, bevor auch ich mir meine Kopfhörer und mein Handy suchte, um ebenfalls etwas Musik zu hören.

Ich versuchte mich so ruhig wie möglich zu verhalten und mich auch kaum zu bewegen, um bloß keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Ich traute mich noch nicht mal mich zu räuspern und jegliches Niesen versuchte ich erst recht zu unterdrücken.

Außerdem ist es ekelhaft in die Maske zu niesen, da ich es dann nicht einfach so mal säubern könnte. Dazu müsste ich sie nämlich anheben oder sogar absetzen und auswischen, aber dann würde man mein Gesicht sehen. Und das versuchte ich strikt zu verhindern. Die Situation hatte ich bereits einmal erleben müssen. Daher muss das nochmal bitte nicht passieren.

Ich wusste auch überhaupt nicht wie lange wir fahren würden. Mein Gesicht würde vielleicht 2 oder sogar viel mehr Stunden in Schnodder stecken.

Bah. Schon allein von dem Gedanken könnte ich kotzen.

Wir waren immernoch nicht losgefahren, sondern standen noch immer still am Bahngleis. Ich wagte einen kurzen Blick zu den vorderen Reihen und erkannte eine Dame, die die Fahrkarten jedes Passagieres kontrollieren wollte.

Um nicht erst nach meinem Ticket zu suchen, wenn sie schon vor mir stehen würde, kramte ich in meinem Rucksack so lange, bis ich das kleine Stück Papier in dessen untersten Ecke wiederfand.

Das dauert ja länger, als wenn man im Flugzeug auf sein Essen wartet und dringend auf's Klo muss. Wo bleibt die denn?

Tatsächlich hatte es die werte Dame nach 10 Minuten endlich mal geschafft bei uns anzukommen. "Die Fahrkarten bitte, meine Herren." sagte sie monoton, während sie mit ihren knallrote angemalten Lippen ein unechtes Lächeln auf ihrem mit Make Up betonierten Gesicht formte.

Brav, wie ein kleiner Schuljunge, der stolz seine Hausaufgaben präsentierte, hielt ich ihr mein Ticket entgegen und sie nickte kurz. Patrick, ich meine Palle, schien sie nicht estimiert zu haben.

Ein kurzes Tippen meinerseits auf seine Schulter ließ ihn kurz aufzucken und warf mir dann einen angsteinflößend bösen Blick zu, der mich kurzerhand in meiner Bewegung erstarren ließ.

Dann schaute er augenblicklich zu der Dame, die immernoch neben mir stand und suchte, als er begriffen hatte, was sie von ihm will, hektisch nach seiner Fahrkarte. Sämtliches Zeug kramte er aus seinem Rucksack hinaus und schmiss dieses sogar teilweise ohne Bedenken auf mich drauf, bis auch er endlich sein schon leicht zerknicktes Ticket in der Hand hielt und es der Frau zeigte.

Sie nickte erneut und widmete sich den letzten paar Reihen hinter uns. Palle packte sein ganzes Zeug wahllos wieder ein und widmete sich wie zuvor auch seiner Musik und dem Fenster.

Soldiers - Kürbistumor FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt