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Palutens Sicht:

Kaum hatte ich Manuels Zimmertür hinter mir zugezogen, beschloss ich ins Bad zu gehen und mich bettfertig zu machen, um dann schnellstmöglich schlafen zu gehen und diesen Tag einfach nur abzuhaken und vergessen zu können.

Selbst dort stand mir die Verwirrung noch immer ins Gesicht geschrieben und auch das kalte Wasser, das ich mir ins Gesicht klatschte, half nicht wieder zur Besinnung zu kommen.

Man könnte meinen eine einfache Berührung der Hände wäre etwas Belangloses, etwas Bedeutungsloses, doch für mich war diese Berührung viel mehr als das. Sie rüttelte an längst eingefrorenen Gefühlen von denen ich nach und nach immer mehr glaubte, ich besäße sie nicht einmal. Sie weckte Erinnerungen, die aus gutem Grund verdrängt wurden. Und sie ließ meine harte Fassade weiter bröckeln.

Manuel löste so unerwartet längst vergessene Gefühle und Emotionen in mir aus, dass ich nicht fähig war diese zum einen richtig zu deuten und zum anderen sie an mich heran zu lassen. Mir kam es vor, als wäre ich nicht bereit so etwas wieder zuzulassen und wurde regelrecht von Manuel damit überrumpelt.

Ich schien den Umgang mit Emotionen im Laufe der Zeit verlernt zu haben und nun erschrak es mich umso mehr zu wissen, dass es sowas wie Liebe, Zuneigung und Geborgenheit irgendwo tief in mir verborgen doch noch gab.

Gerade als ich gedankenversunken zurück zu meiner Stube schlurfte kam mir auch Rewi entgegen, welchem ich wenig Aufmerksamkeit schenkte und mich stattdessen in meinem Bett verkroch, die Decke bis zur Nasenspitze zog und hoffte möglichst schnell einzuschlafen.

„Palle? Schläfst du schon?" fragte Rewi im Flüsterton als er vom Bad wiederkam. „Hm" machte ich nur, da ich weder die Motivation für ein Gespräch hatte, noch über meinen Müdigkeitspunkt hinweg kommen wollte. Ich wollte um jeden Preis einschlafen.

Das Letzte, was ich von ihm hörte war ein leises „Okay", eine raschelnde Bettdecke und das Knipsen des Lichtschalters einer Nachttischlampe.

Zwar hatte ich nun endlich meine Ruhe und die perfekten Bedingungen zum Schlafen, nur leider wollten meine Gedanken dies anscheinend strikt unterbinden, denn egal was ich versuchte, es half nichts.

Egal auf welche Seite ich mich drehte, meine Gedanken hielten mich wach. Egal wie tief ein und aus ich atmete, um mich zu entspannen, meine Gedanken hielten mich wach. Egal wie viele schöne Träume ich mir versuchte auszudenken, meine Gedanken hielten mich wach. Und auch egal wie viele Schäfchen ich letztendlich aus Verzweiflung zählte, meine Gedanken an Manuel hielten mich wach.

Du bist nicht mehr schwul! Du liebst keine Männer! Du stehst nicht auf Manuel!

Solche und viele weitere Sätze schrie mir die Stimme in meinem Kopf zu, die mich davon abhalten wollte mir einzugestehen, dass ich eventuell doch noch homosexuell sein könnte.

Ich konnte und wollte mich einfach nicht in einen Mann verlieben. Schon vor gefühlten Ewigkeiten traf ich diese Entscheidung. Zwar war es alles andere als einfach sich auf einmal auf ein anderes Geschlecht zu konzentrieren was die Liebe angeht und Gefühle für das eigene Geschlecht zu verdrängen und in den Hintergrund zu drücken, doch es war zu dem Zeitpunkt einfach das Beste für mich gewesen.

Problem an der Sache war nur, dass ich, seit ich meine Zeit in der Kaserne verbringen muss, so etwas wie Gefühle auf einmal wieder zu ließ und an der Richtigkeit meiner Entscheidung einfach mal so die Orientierung zu wechseln, zu zweifeln begann.

Auch wenn ich Manuels Gesicht noch nie richtig gesehen hatte, reizte es mich herauszufinden was sich hinter dem ausdruckslosen Stück Plastik für ein Mensch befand, welche Mimik er machte, wenn ich gewisse Dinge zu ihm sagte, welche Emotionen daraus zu lesen sind und zu wissen woran ich bei ihm war.

Die ganze Nacht diskutierte ich noch in Gedanken mit mir selbst und der Stimme, die aus den Erfahrungen aus der Vergangenheit sprach und kam zu keinem wirklichen Ergebnis.

Drehte ich mich auf die eine Seite, weil die andere schon weh tat vom langen Liegen, fühlte sich alles optimistisch an, als wäre es kein Problem für mich, Gefühle für einen Mann zuzulassen.
Drehte ich mich auf die andere Seite, zerfraßen mich wieder regelrecht die Zweifel und die schlechten Erinnerungen von damals wie ein hungriger Holzwurm, der einen morschen Baum gefunden hat und all die positiven Gedanken waren wieder wie weggeblasen.

Die Bemühungen endlich ein wenig Schlaf zu finden, fanden schneller als erwartet ein jähes Ende, als um 4:50 Uhr unser Ausbilder durch die Flure ging und somit alle weckte. Dass ich diese Nacht nicht eine Sekunde geschlafen hatte, konnte ja keiner ahnen.
Der Kerl musste sich also nicht einmal die Mühe machen mich zu wecken.

Dass ich diese Nacht aber besser ein wenig hätte schlafen sollen, wurde mir erst bewusst, als es darum ging mich aus dem Bett zu quälen, denn das war für jemanden, der die ganze Nacht kein Auge zugetan und am Tag zuvor -für seine Verhältnisse viel- Sport gemacht hatte, gar nicht mal so einfach.

Meine Gliedmaßen fühlten sich an, als hätte man sie mit Blei gefüllt und freiwillig einen riesigen Bleiklotz nach oben ziehen, wollte sicherlich niemand. Ich musste selbst versuchen mich zum Aufstehen zu motivieren. Die Frage war nur wie.

Ich nahm all meine Willenskraft zusammen, stemmte die Hände gegen die Matratze und schaffte es schließlich, den großen, unsichtbaren und unbeschreiblich schweren Bleiklotz, der auf meinen Schultern lag und diese wieder in die Tiefe zu ziehen versuchte, nach oben zu drücken.

Als ich dann wenigstens nicht mehr lag, sondern saß, fühlte ich mich wie ein Held und musste unwillkürlich ein wenig schmunzeln, da es einfach nur lächerlich ausgesehen haben musste, wie sich ein sportlicher junger Mann mit aller Kraft zum Sitzen zwingt und sich dafür auch noch feiert.

Soweit so gut. Und wenn ich das hier geschafft habe, werde ich es sicherlich auch schaffen vom Bett aufzustehen und zu meinem Schrank zu laufen.

„Hallelujah" murmelte ich zu mir selbst als ich es tatsächlich geschafft hatte, aufzustehen, meine Klamotten zu schnappen und dann mit müden, schweren Schritten zum Bad zu schlurfen.

Die Kreatur, die ich aber dort im Spiegel erblickte, ließ mich vor Schreck zusammenzucken.
Gräulich fahle Haut, tiefe Augenringe, passend zu den blutunterlaufenen Augen und zerzauste, strohige Haare zeichneten das Monster im Spiegel aus. Und dieser Zombie, war ich.

Eins war mir auf jeden Fall klar: Ich wollte zum einen nie wieder so eine Nacht durchmachen und zum anderen mit Manuel reden. So wie es bis jetzt lief, konnte es nicht weitergehen. Ich musste einfach wissen woran ich bin, nur musste ich auch dafür den richtigen Zeitpunkt abpassen.

Soldiers - Kürbistumor FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt