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Es benötigte nur einen kleinen Ruck und schon hob ich Manu im Brautstil hoch. Aufstehen konnte er nicht und Ewigkeiten da liegen bleiben wäre auch keine Lösung für sein Problem gewesen. Also fasste ich mir ein Herz und trug ihn, nachdem ich dem Ausbilder bescheid gegeben hatte, nach draußen.

Manuel war echt unnatürlich leicht. Seine Arme waren um meinen Hals geschlungen, als wäre er eine kleine Mais, die von einem Adler erbeutet wurde und nun Angst hat im Flug fallen gelassen zu werden. Ich an seiner Stelle würde das wirklich denken, so scheiße wie ich mich ihm gegenüber bis jetzt verhalten habe.

„Wo bringst du mich hin?" kam es kleinlaut. „Auf dein Zimmer. Oder soll ich dich woanders hinbringen?" „Nein nein. Passt schon. Weisst du überhaupt wo das ist?"

Taddl hatte mir mal erzählt auf welcher Stube sie waren. Es ist einfach die letzte auf unserer Etage auf der gegenüberliegenden Seite. „Ja." antwortete ich ihm.

Dort angekommen legte ich ihn vorsichtig auf einem der 2 Betten ab. Ob das jetzt seins oder das von Thaddeus war, war mir im ersten Moment egal und zudem auch überhaupt nicht bewusst.

„Danke." hauchte er. „Kein Ding." sagte ich ebenso leise wie er um die angenehme Ruhe nicht zu zerstören. Ich konnte mir vorstellen, dass er unter seiner Maske ein schönes Lächeln trug, denn selbiges zeichnete sich auf meinem Gesicht.

Ein schönes Lächeln? Reiß dich am Riemen!

„Kann man dich jetzt allein lassen oder brauchst du noch etwas?"

„Ich denke schon. Ich hab eigentlich alles. Danke nochmal." und somit verließ ich sein Zimmer und lief die Treppe nach unten Richtung Ausgang, um zurück zur Halle zu gehen.

Ich bin nicht mehr schwul.

Versuchte ich mir immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Ja, ich war früher mal homosexuell. Die Betonung liegt hierbei auf ‚war'. Ich hatte sogar einen Freund. 2 Jahre waren wir zusammen.

Das war die schönste Zeit meines Lebens. Fast jeder akzeptierte und mochte uns. Wir waren wirklich ein schönes Pärchen, sind durch dick und dünn zusammen gegangen, bis er - Bis er alles versaut und mich zu dem homophoben Arsch gemacht hat, der ich bis vor ein paar Tagen noch war.

Ich spürte wie meine Sicht anfing zu verschwimmen und meine Wangen mehr und mehr nass zu werden schienen. Ich begann tatsächlich zu weinen. Die Erinnerungen an meinen damaligen Freund, ließ auch alte Gefühle wieder aufkommen und fingen an mich zu übernehmen.

Meine über die Jahre hinweg aufgebaute harte Schale begann zu bröckeln und immer mehr Emotionen überkamen mich. Ein bunter Mix aus Trauer, Wut, Verzweiflung und Selbstmitleid brachte mich für einen Moment so derart aus dem Konzept, dass ich mich auf eine Bank auf dem Weg zur Sporthalle setzen musste.

Meinen Kopf legte ich nun in die Hände und vergrub meine Finger in den Haaren. Die sich in mir angestauten und verdrängten Gefühle überkamen mich und zum ersten Mal seit einer Ewigkeit begann ich jämmerlich zu weinen und ließ meinen Gefühlen freien Lauf.

In meinem Moment der Schwäche war ich geprägt von Trauer und altem Leid. Letzteres gab mir allerdings am meisten zu bedenken. Mein Leid war kein Schmerz. Es war nicht der altbekannte Schmerz, der meinen Körper durchfuhr, wenn ich als Kind meine kleinen Knie beim Fallen aufgeschlagen hatte, sondern das Leid, das tief in meinem Herzen herrschte und nur durch etwas ausgelöst werden konnte, was mir wirklich etwas bedeutete.

Dass ich nach und nach immer mehr wie ein aufgequollener Zombie aussah und mich dazu verhielt wie ein Teenager mit Liebeskummer, war mir egal, da zu dem Zeitpunkt sowieso alle beim Training waren und mich demzufolge niemand so sehen konnte.

Leise atmete ich tief ein und aus, als ich mich langsam wieder beruhigte, die letzten Tränen zu Boden fielen und ich meinen Gedanken freien Lauf ließ. Die frische kühle Luft ließ mich die Realität nur noch mehr wahrnehmen.

Ich war eigentlich nie der Typ Mensch, der vor seinen Problemen davon rannte oder sich vor den Fernseher setzte, um die Sorgen zu verdrängen und zu hoffen, dass sie durch das Nichtstun verschwinden würden.

Ich begann leise eine mir unbekannte Melodie zu summen, schloss die Augen und meine Gedanken sortierten sich langsam wie von selbst. Die Hände vor meinem Gesicht schienen das Einzige zu sein, was mich noch vor der furchtbaren Welt voll Kummer und Verzweiflung schützen könnte.

Aber wie alles andere taten sie das auch nicht.
Ich musste versuchen mein Leben, wie eingerostete Zahnräder, wieder zum Laufen zu bringen und versuchen glücklich zu sein. Ich müsste die Schmerzen auf mich nehmen, um mein Glück zu finden. Ich musste etwas ändern, mich ändern.

Ein Taschentuch zu haben wäre in dem Moment schön gewesen, aber nichtmal das hatte ich.
Und so musste ich mit verstopfter Nase und zugequollenen Augen zurück zu der Halle laufen.

„Wo warst du so lange und sag mal- hast du geheult?" steuerte Rewi direkt auf mich zu. Das Training war anscheinend schon vorbei.
„Ich hab Manuel nur auf sein Zimmer gebracht. Der ist hingefallen und hat sich am Fuß verletzt." berichtete ich wahrheitsgemäß. „Und nein ich h-hab 'ne Allergie." log ich, um meine Fassade wenigstens vor Rewi noch etwas aufrecht zu erhalten.

„Aha." kam es nur zurück und ich war ihm echt dankbar, dass er nicht weiter darauf einging.

Die Zeit, die wir bis zum Abendbrot auf unserer Stube verbrachten zog sich ewig in die Länge. Auch wenn es nur ungefähr 2 Stunden waren, kommt es einem viel Länger vor, wenn man zum einen nichts zu tun hat und einen zum anderen tausend Fragen und verwirrende Gedanken quälen.

„Wo ist Manu?" fragte ich Taddl ehe sich Angesprochener zu Rewi und mir an den Tisch setzen konnte.
„Auf unserer Stube. Er ist deprimiert wegen seinem Sturz heute und ich soll ihm dann etwas zu Essen mitbringen."

„Lass' mal. Ich übernehme für dich. Hab' sowieso keinen großen Hunger." hielt ich ihn von seinem Vorhaben ab.

„Ok. Da kann ich mir ja mal ein bisschen mehr Zeit beim Essen nehmen." lachte Taddl.

Ich war inzwischen schon fast fertig Manuel ein paar Brote zu schmieren und eine Tasse, inklusive einem Teebeutel in die kleine Tasche zu packen, die Taddl mir gegeben hatte und machte mich damit auf den Weg zu Manu.

Warum ich Manuel auf einmal unbedingt sein Abenbrot bringen wollte, wusste ich nicht genau. Ich wusste nur, dass ich das Bedürfnis verspürte ihn nochmal zu sehen.

Soldiers - Kürbistumor FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt