I. Grundil

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Wir waren kaltherzig vom Sturm abgetrieben worden, hatten weder Mitleid vom Gott des Meeres, noch dem der Lüfte erhalten, als wir uns irgendwann orientierungslos an einem verlassenen Strand wiederfanden: hungrig, müde, vor Schreck noch immer gelähmt und so einsam, dass man glaubte, man sei eine einzige leblose Puppe, von Fäden gezogen, die nur ein unbarmherziges Schicksal selbst in den Händen halten konnte. Bis spät in die Nacht streiften wir wortlos am unterm Mondlicht schimmernden Strand entlang, die Hände fest verschränkt und der einzige Anker für all die verlorene Hoffnung war jene Wärme, die wir durch die Berührung teilten. Ich hörte das vertraute Zirpen von Grillen, doch ich sah keine warme Schlummermelodie darin. Ich spürte das Wispern der Bäume im Wind, aber es trug keine Ähnlichkeit mit den Wäldern, in denen ich aufgewachsen war. Alles was ich sah, wirkte fremd. Selbst das aschfahle, eingefallene Gesicht meines besten Freundes, der sich wie ein Ertrinkender an meine gefühlslose Hand klammerte.

Unsere Füße schmerzten, die Kehlen brannten vor Durst und eine stetig hämmernde Migräne begleiteten uns auf unserem Weg durch enge Pfade, vorbei an den hungrigen Augen zahlloser Tiere, die uns längst zu ihrer Beute gemacht hätten, wenn wir nicht so leblos gewirkt hätten. Alles, was meinen Kopf beherrschte, war das hinter uns liegende Dorf. Meine Mutter mit ihren strengen Falten, die in Wahrheit bloß von Sorge um Baekhyun und mich abstammten. Mein sanfter Vater, der außer Holz nie etwas anderes mit seiner Axt hätte schlagen können. Und natürlich Baekhyun, der humorvolle, fürsorgliche, ältere Bruder, der wie so viele andere auch einer der Hauptakteure auf unserem friedlichen, kleinen Fleckchen Erde gewesen war und nun zertrümmert auf den Steinspitzen hing, von Fischen und Geiern zerfressen wurde.

Mit einem kribbelnden Schaudern griff ich Jungkooks knochige Hand fester, konnte nicht einmal mehr weinen um das Dorf, das ich so sehr vermisste. Ich hätte dem zu Tode erschrockenen Jungen an meiner Seite so gerne gut zugesprochen, doch ich wusste zu diesem Moment nur zu gut, dass alles, was ich ihm hätte sagen können, gelogen wäre. Wir schaffen es. Irgendwie schaffen wir es. Wir finden diesen Junmyeon, retten Jungkook. Baekhyun hat Freunde, die uns helfen können. Wir werden leben. Ich hoffte bloß, dass all das, was mir in unkoordinierten Bahnen durch den Kopf jagte wenigstens teilweise in meinem Machtbereich lag. Dass der kleine Jungkook nicht sterben müsste, weil ich unfähig war.

Die Straße wurde mit den zurückgelegten Stunden irgendwann breiter und wandelte sich unauffällig in hartes Kopfsteinpflaster um, als wir der Stadt näherkamen. Ich war schon einmal in Grundil gewesen, mit meinen Eltern auf dem geräumigen Markt, ich wusste, dass wir richtig lagen, noch bevor ich die Stadt sah. Der Ort war alles, was wir nicht kannten. Rau, wild, fremd, dunkel, vielbeschäftigt und hektisch. Wir hatten kaum einen Fuß durch das offene Portal gesetzt, da erscholl das rege Rufen und Treiben von Pferdehufen, allerlei Gesprächen und dem Klirren der patrouillierenden Eisenwächter. In Staunen mäanderten wir durch die Hauptstraße, rochen viel zu viele Eindrücke, um sie zuordnen zu können, spürten die Wärme der drängenden Leiber um uns herum. Dubiose Gestalten lugten hier und da aus finsteren Gassen hinaus, Goldmünzen wechselten stetig die Hände, nichts stand still, selbst zu solch später Uhrzeit, alles lebte vor sich hin.

Eine sonderbare Art von Ruhe überkam mich, als wir plötzlich nicht mehr allein die Finsternis bewanderten, sondern helle Fackeln und tausende von Stimmen die Nacht erstrahlten, uns genau die Art Trost spendeten, die wir so sehnsüchtig ersuchten.

Nur der Hunger, der blieb, weswegen ich auch nicht lange zögerte, um mich nach einer Bleibe umzusehen, während Jungkook neben mir fasziniert einen wandernden Zirkus am Platz beobachtete. Wenn auch ohne den leisteten Schimmer wie, wusste ich, dass wir Baekhyuns Rat befolgen und diesen mysteriösen Junmyeon aufsuchen sollten. Der Gedanke an die letzten Worte meines Bruder beschwor erneut die Depression in meinem Kopf herauf, weswegen ich ihn resolut beiseite schob, mich fasste, um für Jungkook stark zu sein. "Wohin?", wandte ich mich also ratlos an meinen jungen Freund und mit etwas Sorge in den großen, kindlichen Augen sah er sich zu mir um, dann in die Menge der Menschen, bevor er ratlos die schmalen Schultern zuckte. Jeon Jungkook war schon immer ein sehr schwaches Kind im Dorf gewesen. Zu klein und zerbrechlich, um Holz zu hacken, fror immer viel zu schnell. Seine Mutter hatte nicht selten mit dem Gedanken gespielt ihn wegzugeben, aber wer wollte schon ein ausgemergeltes Kind in einem harten Arbeitsleben? Ich durfte zwar meinen Freund behalten, aber die Sorge um seine Gesundheit war größer denn je.

Dragon's Revenge [BTS boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt