Schall und Rauch

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Nachdem wir uns beide etwas beruhigt haben, setzen wir uns auf das Bett. Es fühlt sich eigenartig aufwühlend an, neben meinem Vater zu sitzen und nicht zu wissen, was er in den letzten sechzehn Jahren gemacht und erlebt hat. In meinem Kopf spuken tausend Fragen herum, von denen ich mich nicht traue sie laut zu äussern.

Nicht, weil ich seine Reaktionen oder Antworten scheue, es ist viel mehr die Angst vor den Auswirkungen die seine Antworten haben können. Es könnte mein Leben erneut komplett auf den Kopf stellen und ob ich das will, weiss ich noch nicht. Als es an der Tür klopft und ein grossgewachsener Mann mit einem braunen Lockenkopf herein kommt, zucke ich zusammen. „Oh Milord, ich dachte Sie wären alleine." Er sieht mich etwas erschrocken an, senkt dann aber den Blick als mein Vater aufsteht und ihn eindringlich ansieht. „Es ist nicht so wie du denkst, Fergus. Ich...also das ist keine...", stottert er.

Ich habe das Gefühl es erklären zu müssen, denn er scheint es nicht zu können. Er scheint nicht die richtigen Worte zu finden die mein Auftauchen erklären können. Also stehe ich ebenfalls auf und trete vor meinen Vater, schaue den jungen und gutaussehenden Franzosen, wie mir sein starker Akzent verrät, an und atme tief ein. „Ich bin seine Tochter nicht eine...nun ja du weißt schon...Dirne. Ich bin gerade erst eingetroffen und er hat mich vor zwei Halunken gerettet und...", ich verstumme, weil mir auffällt, dass ich genauso stottere wie mein Vater.

Etwas von der Situation eingeschüchtert, senke ich den Blick und knete meine Hände. Die Innenflächen sind ganz rau vom langen Zügelhalten. Wie es Robert wohl ergangen ist? Wie schnell das Leben zu Ende sein kann. Er tut mir unglaublich leid. „Nun, ich denke Milord und seine Tochter haben viel zu bereden. Ich lasse Sie nun alleine, wenn Sie nichts mehr für mich zutun haben?"

Er sieht meinen Vater, Jamie Fraser, erwartungsvoll an, als dieser den Kopf schüttelt, lächelt der Bursche und verneigt sich vor uns. „Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nachtruhe." Danach schlendert er aus dem Zimmer und schliesst die Tür hinter sich. Ich höre ihn hörbar ausatmen und drehe den Kopf zu ihm, sehe, dass er mich ansieht. „Danke." Ich nicke und weiss nicht was als nächstes kommt. Es ist eine komisch vertrackte Situation in der ich mich befinde. Ich werde für eine...nun ja für ein leichtes Mädchen gehalten, obwohl es mein Vater ist mit dem ich mich im Zimmer befinde. Ich hoffe die nächsten Tage werden besser.

Ob es überhaupt einen nächsten Tag, hier bei meinem Vater geben wird? Vielleicht schickt er mich auch wieder weg, weil er selbst eine Familie gegründet hat, oder mich nicht bei sich haben will. Diese Möglichkeiten versetzen mir einen Stich mitten ins Herz und lassen mich beinahe in Tränen ausbrechen. Doch ich dränge sie zurück und atme tief ein und wieder aus. „Wer war das? Dein Diener?" Ich sehe in fragend an, er kratzt sich am Nacken und sieht mich dann nachdenklich an. „Fergus? Ich habe ihn in einem Bordell gefunden, seitdem steht er in meinen Diensten." Ich schaue ihn mit grossen Augen an, dass er mir eine so ehrliche Antwort gibt, ehrt ihn sehr. „Komm, wir haben eine Menge zu bereden."

Wir setzen uns wieder aufs Bett und warten beide darauf, dass der andere zu erzählen beginnt. Da ich diejenige war, die plötzlich hier aufgetaucht ist, werde ich den ersten Schritt machen. „Ich wuchs in einem Kloster in der nähe von Anjou auf. Oberin Hildegard war sehr nett zu mir, sie brachte mir Lesen und Schreiben bei" Ich erzähle ihm alles, wie ich aufgewachsen bin, dass ich immer das Gefühl hatte irgendwo hinter den Mauern des Klosters eine Familie zu haben, die auf mich wartet.

Ich erzähle ihm von dem Gespräch das ich belauscht hatte, von dem Brief und von meiner Flucht. Ich erzählte ihm einfach alles. Er hört die ganze Zeit aufmerksam zu, geht in dem kleinen Zimmer auf und ab und lässt mich erzählen. Nun, da ich mit meiner Geschichte am Ende bin, sieht er mich mit grossen Augen an. „Das ist einfach unglaublich. Ja, unglaublich ist das...", murmelt er, während er zum vierzigsten Mal das Zimmer durchquert. „Dass die Oberin so etwas tun würde, hätte ich nie im Leben gedacht. Claire hat so viel über sie erzählt...Ich meine, wir standen vor deinem Grab. Wir mussten dich schweren Herzens in Frankreich lassen...Wie konnte Gott uns nur so strafen? Wie?"

Seine Stimme bricht immer wieder, dann räuspert er sich und redet ein Stück mit fester Stimme, doch dann bricht sie wieder. Er scheint sehr aufgewühlt zu sein, ich kann seine Gefühle beinahe mit meinen Händen greifen. Gerne würde ich ihm jetzt sagen, dass ich immer gewusst habe, dass ich eine Familie habe, die auf mich wartet. Doch ich schweige, weiss nicht wie er darauf reagieren würde. „Du siehst seiner Mutter so ähnlich. Gott! Ich dachte wirklich du wärst Claire...meine Claire...Ich habe diesen Namen seit fast zwanzig Jahren nicht mehr laut ausgesprochen." Endlich bleibt er stehen und sieht mich direkt an, ich fühle mich etwas unwohl. So ohne jeglichen Schutz, der mir nur das Kloster gegeben hat.

Doch ich weiss jetzt, dass alles nur Schall und Rauch war. Lügen, die mir aufgetischt wurden um die schreckliche Wahrheit zu vertuschen. „Sie würde in Tränen ausbrechen, wenn sie dich sehen würde. Wie gerne ich ihr jetzt sagen würde, dass ihre Tochter noch lebt. Vielleicht würde sie mir dann auch verzeihen, was ich damals getan habe. Obwohl ich mir sicher bin, dass sie das längst getan hat." Er kniet sich vor mich hin, nimmt meine kalten Hände in seine, grossen und warmen Hände. Sie fühlen sich beruhigend an.

„Ich kann kaum alle meine Gefühle in Worte fassen, doch eines kann ich sagen. Ich bin so froh, so unendlich froh, dass du mich gefunden hast. Und ich verspreche dir, ich werde dich immer beschützen." Er schliesst mich in seine Arme und drückt mich an sich. Wieder spüre ich diese Verbundenheit, das Gefühl endlich angekommen zu sein und zu wissen, dass ich geliebt werde. Das ist unglaublich. „Ich hab dich lieb.", flüstert er den Tränen nahe. Und auch ich breche in Tränen aus, lasse all meine Gefühle raus und spüre wie ein tonnenschwerer Stein von meinen Schultern fällt.

„Ich denke wir reden morgen weiter und du kannst dich etwas ausruhen.", sagt er als er sich von mir gelöst und mich eine Weile betrachtet hat. Ich nicke, spüre wie unendlich müde ich eigentlich bin. Ich lege mich hin und er deckt mich zu, in seinen Augen kann ich so unendlich viel Liebe erkennen, dass ich darin schwimmen könnte. „Danke, dass du mich nicht wegschickst.", flüstere ich, ehe mir die Augen zufallen.

Doch ich kann nur eine kurze Zeit schlafen, denn als ich wieder aufwache, sehe ich ihn am Boden liegen. Er hat sich eine Matratze geholt und hat sich mit seinem Plaid zugedeckt. Sein rotes Haar fällt ihm in die Stirn und lässt ihn um Jahre jünger erscheinen. Ich stelle mir vor wie er in meinem Alter ausgesehen haben muss. Gutaussehenden, gross und mit breiten, muskulösen Schultern. Ein Bär von einem Mann, da bin ich mir sicher. „Kannst du nicht schlafen?" Ich zucke zusammen, als er sich aufrichtet.

Ein Lächeln tritt auf sein Gesicht und ich nicke atemlos. „Geht mir auch so. Ich würde dir so gerne alles von deiner Mutter erzählen, aber ich weiss nicht ob du das hören möchtest." Ich rutsche ein Stück näher und erwidere sein Lächeln. „Ich würde gerne alles über meine Mutter erfahren. Nur...du sprichst immer in der Vergangenheit von ihr. Heisst das...heisst das sie tot ist?" Meine Stimme zittert ein bisschen, verrät meine Unsicherheit. Der Ausdruck in seinem Gesicht verändert sich ein wenig. „Nun, das ist eine lange Geschichte. Aber ich denke nicht, dass sie tot ist. Ich werde dir alles erzählen."

Jetzt bin ich an der Reihe ihm zuzuhören, auch ich lasse ihn ausreden und höre ihm aufmerksam zu. Es sind so viele Informationen, die ich alle gar nicht behalten kann, doch ich höre eines raus. Meine Mutter kam aus der Zukunft, 1945, wie ich gehört habe. Und wie es scheint ist sie auch jetzt wieder dort, also in ihre Zeit. Es klingt alles wie eine grosse Abenteuergeschichte, doch irgendwie ergibt auch alles Sinn. Wieso sie Madame Blanche genannt wurde, wieso sie so viel über die Zukunft wusste, was mir Master Remond erzählt hatte. Es ist aber trotzdem irgendwie so, als wäre sie tot.

Denn ich werde sie niemals wieder sehen. Das lässt mein Herz in tausend Stücke zerbrechen. „Und ist das weit von hier? Also dieser Hügel...?" Ich versuche mich an den Namen zu erinnern, doch er fällt mir nicht mehr ein. „Craigh na dun? Nun ja, etwa drei bis vier Tage würden es schon sein." Ich nicke und weiss nicht wieso ich mir das merken will, vielleicht, weil ich so einen Anhaltspunkt habe, wo sie zum letzten Mal war. „Wir sollten vielleicht noch etwas schlafen, bevor der Morgen graut." Ich nicke und lege mich wieder hin. Ich fühle mich auf einmal viel, viel ruhiger und weiss, dass ich jetzt schlafen werde.

Doch ich träume von vielen Dingen, vor allem aber über meine Mutter. Ich sehe sie vor mir, wie sie nach mir ruft. Wie sie die Hand nach mir ausstreckt und mich zu sich holen will, in ihre Zeit. Doch als sich unsere Hände berühren, wache ich auf und weiss, dass es nur ein Traum war. Ich werde meine Mutter nie wieder sehen. Oder etwa doch?

Was denkt ihr, wie geht es jetzt weiter?

eure Amanda

Erstgeborene OUTLANDERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt