Wiedersehen Teil 1

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„Da vorne ist es. Siehst du den Hügel?", fragt Fergus mich. Die Sonne geht gerade auf und wirft eigenartige Schatten auf den Boden. Tatsächlich erhebt sich in einiger Entfernung ein kleiner Hügel aus der Landschaft und mit einem Mal bin ich hellwach. „Das ist er also? Der Craigh na dun?" Ehrfürchtig betrachte ich den Hügel und stelle mir vor, meiner Mutter so nahe wie noch nie zu sein. Ein wunderbares Gefühl erfüllt mein Herz und ich kann es kaum erwarten dort anzukommen.

Einige Meter unterhalb des Hügels steigen wir ab und während Fergus seinen Hengst zur Sicherheit im Gebüsch versteckt, laufe ich bereits den Hang hinauf. Der Morgen ist kühl, einige Nebelbänke haben sich gebildet und wenn der Schein der Sonne darauf fällt, sieht es wie ein Heiligenschein aus. „Faith? Jetzt warte doch mal", höre ich Fergus rufen. Ich drehe mich kurz um und sehe wie er den Hügel hinauf rennt, lachend renne ich weiter und höre wie er flucht. „Du muss mich schon fangen", rufe ich immer noch kichernd zu.

Doch in meiner Vergnügtheit übersehe ich einen Stein und falle hin. Fergus ruft erschrocken meinen Namen und kniet sich vor mich hin. Ich versuche so ruhig wie möglich zu wirken, so als hätte ich mir etwas getan, doch als er beinahe hysterisch wird, schlage ich die Augen auf und lache lauthals los. „Was sollte das?", knurrt er und scheint verärgert darüber zu sein. Ich setze mich auf und versuche mich zu beruhigen, aber ich lache immer weiter, kann mich kaum beruhigen.

„Soll das witzig sein, oder wieso lachst du wie eine Irre?" Ich merke, dass ich ihn verärgert habe, was mir augenblicklich leid tut und strecke die Hand nach ihm aus. Er ergreift sie und drückt sie an seine Brust, dort wo sein Herz unter der Haut schlägt. „Spürst du das? Du hast mir eine Heidenangst eingejagt und das solltest du nie wieder tun, hast du mich verstanden?" Die Intensität mit der sein Herz gegen meine Handfläche hämmert, erschreckt mich und ich nicke hastig. „Es tut mir leid, ich dachte du fändest das auch witzig. Aber es tut mir aufrichtig leid", sage ich und sehe wie er versöhnlicher dreinschaut. „Dann ist gut, ich dachte wirklich du hättest dir etwas gebrochen."

Er zieht mich zu sich heran und ich schmiege meinen Kopf an seine Brust, höre seinem Herzen zu wie es weiter schlägt, nur für mich. So verharren wir eine ganze Weile, bis ich plötzlich ein Geräusch höre und sofort auf den Beinen bin. „Was hast du?", fragt Fergus. Ich runzle die Stirn und kann das seltsame Rauschen nicht aus meinem Kopf kriegen. Es ist so laut das ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann und dann, wie durch ein Wunder, weiss ich was es ist. „Komm mit Fergus", rufe ich ihm zu und renne das letzte Stück des Hügels hinauf.

Auf einmal zieht mich eine unsichtbare Kraft zu den Steinen, als würden mich die Feen zu sich rufen, die diesen Hügel bewachen. Ich kann ihre glockenhellen Stimmen hören, die sich aus dem lauten Rauschen hervortun. Die Klänge der Feen werden immer lauter und als ich den Steinkreis erreicht habe, verstummen sie. Nicht einmal mehr das Rauschen ist zu hören, es ist alles totenstill. Sogar der Wind hat aufgehört zu wehen, es ist so still, dass ich mein Herz schlagen hören. Laut poltert es gegen meine Brust und will mir sagen, dass ich lebe. „Was hast du? Wieso bist du auf einmal weggerannt?"

Ich habe gar nicht gemerkt das Fergus neben mir steht, langsam drehe ich den Kopf zu ihm und lächle ihn an. Ohne ein Wort zu sagen, gehe ich zu dem grossen Stein und frage mich dabei selbst, wieso ich das mache. Doch, als ich eine Frau mit dunklen Locken auf dem Boden liegen sehe, bleibe ich stehen und bin auf einmal wie erstarrt. „Jetzt sag schon...", er verstummt mitten im Satz, als er die Frau sieht. Ich beobachte seine wunderschönen Augen, sie weiten sich, als er die Frau genauer ansieht. Als würde er sie erkennen, was bedeuten würde, dass... Nein, das kann nicht meine Mutter sein, oder etwa doch?

Sie regt sich und setzt sich auf, langsam schüttelt sie den Kopf und sieht sich um. Der Wind setzt wieder ein, als hätte er den Atem angehalten und jetzt da sie aufgewacht ist, kann er beruhigt weiter atmen. Doch jetzt bin ich es die nach Luft schnappt, denn als die Frau den Kopf in meine Richtung dreht, weiten sich auch ihre Augen. Für einen Moment entgleiten ihr die Gesichtszüge und Tränen glitzern in ihren Augen.

„Fergus bist du das?", fragt sie und steht auf. Der gefragte runzelt die Stirn und nickt anschliessend, zu mehr ist er nicht im Stande. Sie kommt auf uns zu und betrachtet mich eingehend und als die Sonne auf mein Haar trifft und es rötlich schimmern lässt, bleibt sie wie erstarrt stehen. „Grund gütiger, wie kann das sein...", flüstert sie und hält sich die Hand vor den Mund. Als wolle sie den Schrei, der in ihrer Kehle steckt, hindern über ihre Lippen zu dringen, doch es entschlüpft ihr ein Schluchzer, der mich aus meiner Starre reisst.

„Ich bin Faith Fraser und du musst meine Mutter sein", sage ich und spüre wie mir die Tränen über die Wangen fliessen. Noch immer hält sie die Hand vor ihren Mund. Erst als ich auf sie zugehe, nimmt sie sie weg und breitet die Arme aus. Schluchzend lasse ich mich von ihr in den Arm nehmen, sie riecht so wie ich es mir immer vorgestellt habe. Nach Seife und Wald. „Oh Gott, Faith...aber du bist tot...du...", schluchzt sie in mein Haar. Ich halte sie so fest, dass es beinahe wehtut, doch ich kann nicht anders. Meine Mutter das erste Mal zu sehen und sie zu berühren, überwältigt mich.

Es reisst mir den Boden unter den Füssen weg und ich habe Angst zu fallen und festzustellen, dass alles nur ein Traum war. Doch als ich die Augen aufmache und ich sie immer noch umarme, weiss ich, dass es kein Traum war. „Ich wurde in einem Kloster in der Nähe von Anjou aufgezogen. Die Oberin hat mich dort versteckt, weil der Graf von St. German es wollte", erkläre ich zwischen zwei Schluchzern. Sie löst sich eine Elle lang von mir und betrachtet mich eingehend und genau dasselbe tue ich. Ich versuche mir jede Falte, jede Einzelheit ihres Gesichtes einzuprägen, damit ich es nie vergesse. „Und wie bist du hierher gekommen? Was musstest du bloss alles durchmachen...ich hätte für dich da sein müssen. Hätte dich beschützen müssen..."

Ich schüttle den Kopf und lächle sie liebevoll an. „Mir ging es gut, mir hat es an nichts gefehlt. Aber das ich dich jetzt in meinen Armen halten kann ist das grösste Geschenk das man mir machen konnte. Ich habe dich so sehr vermisst...", ich breche erneut in Tränen aus und werde von ihr getröstet. Sie redet beruhigend auf mich ein, streichelt mir über den Rücken und wartet bis ich mich beruhigt habe. Als dies passiert, legt sie beide Hände um mein Gesicht und küsst mich auf die Stirn. Die Berührung ihrer Lippen ist wie der Segen Gottes, etwas schöneres gibt es nicht. „Du bist meine Tochter, meine Erstgeborene und jetzt, da ich dich wieder habe, werde ich dich nie wieder loslassen. Das verspreche ich dir, meine Tochter."

Sie wischt mir die Tränen weg und küsst mich auf die Wange, danach wendet sie sich Fergus zu, der die ganze Zeit dastand und uns zugesehen hat. „Es freut mich dich zu sehen. Du hast dich kaum verändert. Seit dem Tag vor der Schlacht habe ich dich nicht mehr gesehen und es hat mir das Herz zerbrochen dich gehen zu lassen. Ist es dir recht, wenn ich dich umarme?", fragt sie. Fergus sieht sie einfach nur an, doch dann nickt er und breitet die Arme aus.

Zu sehen wie sie sich umarmen ist einfach nur wunderschön, denn ich weiss wie viel ihm meine Mutter bedeutet hat. Sie hat ihn wie einen Sohn behandelt und das ist er immer noch, auch wenn sie nicht seine leibliche Mutter ist. Auch Fergus weint, doch er fängt sich schneller als ich und sieht beinahe etwas schamhaft aus, als er sich mit dem Handrücken die Tränen wegwischt. Was er nicht muss, denn er hat sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, ausserdem dachte er bis vor wenigen Stunden, dass sie tot ist. Sie jetzt wiederzusehen muss eine Menge bei ihm auslösen, liebend gern würde ich ihn fragen was er jetzt fühlt, doch ich lasse den beiden ihren Moment.

„So und jetzt erzählt mir, was ihr hier sucht und wie du von Frankreich nach Schottland kamst", fordert sie mich auf. Lächelnd setzen wir uns etwas unterhalb des Hügels ins Gras und ich erzähle ihr alles. Fergus wie auch meine Mutter hören mir aufmerksam zu und während ich alles erzähle, spüre ich zum ersten Mal so etwas wie ganz zu sein. So, als ob ich endlich komplett wäre und wüsste woher ich stamme und das ist ein wunderschönes Gefühl.

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Wie fandet ihr das Kapitel?

Das nächste wird aus Jamies Sicht sein, ausserdem wird es das letzte Kapitel in dieser Story sein. Doch die Fortsetzung wird bald kommen, und sogar schon am 1 Juli :D

eure Amanda


Erstgeborene OUTLANDERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt