Geschenk des Himmels

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In den nächsten zwei Tagen versuche ich so viel Proviant zu sammeln, ohne das es auffällt und für die Reise nach Paris reicht. Pater August hat sich bis jetzt nicht mehr blicken lassen, ich habe in den letzten zwei Nächten darauf gewartet, dass er der Oberin das mit dem gestohlenen Brief mitteilt. Doch er ist nicht gekommen, den Grund dafür kenne ich nicht. Gerade sitze ich beim Abendgebet und kann meine aufsteigenden Gefühle kaum im Zaum halten. Immer wieder muss ich an die heutige Nacht denken, heute werde ich das Kloster für immer verlassen um zu meinen Eltern zurück zu kehren. Doch ich muss mich noch etwas gedulden bis es soweit ist. Nachdem wir das Essen schweigend zu uns genommen haben, begeben sich die zwei Novizinnen, Ingrid, Rosalie und ich in unsere Kammer.

„Du bist so eigenartig still. Was ist los?", fragt mich Ingrid. Ihre langen blonden Locken fallen ihr bis über die Schulter und mit ihren grünen Augen sieht sie mich wie ein Fuchs an. Fragend und neugierig. Rosalie hat schwarze Haare die sie immer in einem geflochtenen Zopf trägt. „Es ist nichts, wirklich.", beschwichtige ich. Ingrid nickt zwar, doch ich merke, dass sie mir nicht so recht glauben will. „Ich bin müde.", sage ich und lege mich in mein Bett. Drehe mich auf die Seite und schliesse die Augen, tue so, als würde ich schon schlafen. Ich höre wie die beiden Mädchen aufgeregt tuscheln, verstehe aber nicht genau um was es geht. Ausgerechnet heute müssen die beiden länger auf sein als üblich, erst als Schwester Ruth, eine alte und sehr gottesfürchtige Frau, ins Zimmer tritt und die beiden ermahnt, bleiben sie still. Als ich denke, dass sie schlafen, schlüpfe ich aus dem Bett heraus, ziehe einen festen Mantel und festere Schuhe an und hohle meinen Beutel unter dem Bett hervor. Den Brief fest an meine Brust gedrückt, mache ich mich auf den Weg nach draussen.

Niemand ist um diese Zeit noch wach, nicht einmal die Oberin. Es brennt kein Licht und auch sonst ist nichts zu hören. Schnell husche ich durch den Garten zum Tor, das in den letzten beiden Nächten nicht verschlossen war. Ich will es öffnen doch es bewegt sich keinen Millimeter. „Wieso geht das denn nicht auf?" Mein Atem wird zu Nebel und steigt in den Himmel auf, es ist noch kälter als in den letzten Nächten. Es hat keinen Zweck, es geht nicht auf egal wie sehr ich mich darum bemühe es zu öffnen. Ich schaue mich suchend um und entdecke die Mauer, sie ist zwar drei Meter hoch, aber ich bin recht gross geraten und wenn ich mich an den Ranken festhalte, die sich über die Mauer geschlungen haben, dann könnte ich es schaffen. Entschlossen gehe ich auf die Mauer zu und schaue mich nach einer geeigneten Stelle um. Es ist zwar dunkel, aber meine Augen gewöhnen sich schnell daran. Ich entdecke eine geeignete Stelle wo die Ranken besonders dicht wachsen und versuche mich daran hochzuziehen. Doch ich rutsche ab und lande unsanft auf meinen Knien. „Aua!"

Ich reibe mir beide Knie und schaue zur Mauer hoch, das wird schwieriger als ich gedacht habe. „Sophie? Was machst du da?" Erschrocken drehe ich mich um und stehe einer zitternden Ingrid gegenüber, die nur in ihr Nachtgewand gehüllt ist, gegenüber. „Das könnte ich dich ebenso fragen.", sage ich kühl und stehe auf. Ihre grünen Augen fixieren mich, wollen herausfinden was ich hier mitten in der Nacht vorhabe. „Willst du dich davonstehlen?" Sie sieht mich ungläubig an, ich erinnere mich daran wie sie mich das erste Mal angesehen hat. Schüchtern und voller Angst, genauso sieht sie mich in diesem Moment wieder an. „So sieht es aus." Ich habe keine Lust ihr alles zu erklären, was ich sage wird die Geschichte sein die man sich nach meinem Verschwinden erzählen soll. „Ich gehe zu einer Verwandten, sie lebt in der Nähe von Paris. Sie hat mir geschrieben." Ich halte ihr den Brief vor die Nase, weil ich weiss, dass sie kaum lesen kann. Sie stiert auf die schnörkelige Schrift und fragt sich sicherlich was da drauf steht. Ich kann lesen, die Oberin hat es mir persönlich beigebracht. Wahrscheinlich als Wiedergutmachung, oder so etwas ähnliches. „Und wieso weiss die Oberin nichts davon?"

Das ist eine gute Frage, während ich mir etwas zurecht lege, kann ich Schritte hören. Schnell sehe ich mich um, kann aber nichts erkennen. „Das ist egal. Hilfst du mir über die Mauer. Ja, oder nein?", dränge ich sie. Ingrid sieht mich unsicher an, sie hat Gewissensbisse, doch ich kann in ihren Augen sehen, dass es ihr genauso geht. Auch sie wünscht sich ein anderes Leben, weit weg von den kalten und finsteren Gemäuern dieses Klosters. „Gut." Sie nickt eifrig und ich atme erleichtert auf. „Danke." Sie schenkt mir ein tapferes Lächeln und gemeinsam gehen wir zur Mauer. „Knie dich hin, dann kann ich leichter rüber." Sie sieht mich zwar etwas begriffsstutzig an, tut aber was ich verlange. Als sie auf allen Vieren vor mir kniet, atme ich tief ein und klettere auf sie und ziehe mich so an einer Ranke nach oben. Dieses Mal gelingt es auf Anhieb, als ich oben bin wird mir einen Moment schwindelig, doch ich schüttle den Kopf und blende die Angst aus. „Danke.", sage ich ehe ich mich fallen lasse.

Erstgeborene OUTLANDERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt