Abschiedsschmerz

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Inverness 1968

Seitdem ich erkannt habe, dass ich zurückkehren kann, kreisen meine Gedanken nur noch darum. Ich habe mir Pläne ausgedacht, wie ich es angehen könnte, doch irgendetwas lässt mich innehalten. Immer wieder bleibe ich an einem Punkt stehen, der Punkt an dem ich meine Tochter für immer verlassen muss. Es fällt mir unglaublich schwer diesen Schritt zu gehen, doch ich spüre tief in mir, dass ich es tun muss. Ich muss zu Jamie und ihm von seiner wundervollen Tochter erzählen.

Das ist nur ein Grund weshalb ich zurück nach Schottland und zurück zu meinem Jamie gehen möchte. In den letzten Jahren habe ich das gemacht was ich schon immer wollte, ich habe Medizin studiert und arbeite seit über zehn Jahren in einem Krankenhaus in Boston. Frank und ich sind zusammen in die USA ausgewandert, wo er nach Briannas Geburt von Zuhause aus gearbeitet und mir somit das Studium ermöglicht hatte. Ich war ihm so dankbar, aber mein Herz gehörte immer nur Jamie. All die Jahre habe ich mir sein Bild bewahrt, in der Ansicht, dass er bei der Schlacht bei Culloden umgekommen sei.

Doch durch Roger Wakefields Hilfe, haben wir herausgefunden, dass er lebt und diese Information hat mein Leben erneut auf den Kopf gestellt. Jetzt da wir Jamies Leben nach der Schlacht rekonstruiert haben, wissen wir, dass er in Edinburgh als Drucker sein Lebensunterhalt verdient und genau dort werde ich hinreisen. Gestern habe ich mir ein Kleid in einem kleinen Geschäft in der Nähe von Inverness gekauft. Es war das einzige das meinem, was Frank damals verbrannt hat um mir den Abschied von Jamie zu erleichtern, in etwa gleicht.

Es ist grün und aus einem festeren Stoff genäht, dass nicht genau passt, aber nicht wie aus einem anderen Jahrhundert aussieht. Was mir sehr wichtig ist, denn ich will auf keinen Fall Verdacht erregen. Die Engländer besiedeln noch immer Schottland und ihre Bereitschaft jeden zu verhaften der sich gegen King Gerog III stellt, ist nach wie vor gross. Es muss also schlicht genug sein, aber auch robust genug, den Weg von Inverness nach Edingburgh zu überstehen. Aber nicht nur ein Kleid musste angeschafft werden, sondern auch noch andere Dinge, einige davon haben mich einiges an Überwindung gekostet. Die Kündigung meines Berufes der mir sehr am Herzen liegt. Das war der zweitschwerste Schritt, doch es muss sein, dass weiss ich. Morgen geht es zum Craigh na dun und von dort, so hoffe ich, ins Jahr 1768.

Zu Jamie, meinem Ehemann. Ich sitze im Wohnzimmer von Reverend Wakefield, der leider viel zu früh verstorben ist. Roger, sein Ziehsohn, lebt jetzt hier und hat uns in den letzten Wochen sehr geholfen. Und genau er ist es, der mich aus meinen Gedanken reisst, lächelnd schaue ich ihn an. „Es tut mir leid, wenn ich Sie störe", setzt er an, doch ich schüttle den Kopf und verwerfe seine Bedenken. „Das ist schon in Ordnung", sage ich und sehe wie er sich mir gegenüber in den Sessel setzt. Über all stehen Bücher, auf dem Boden, in den Regalen und sogar auf dem Kamin stapeln sich die dicken Wälzer die wir in den letzten Wochen auf der Suche nach Jamies Verbleib durchforstet haben. „Brianna schläft wie ein Stein, der Ausflug zum Loch Ness hat sie wohl so sehr geschafft, dass sie wie ein Baby schläft."

Roger lächelt bei der Erinnerung, das Leuchten in seinen Augen wenn er von meiner Tochter spricht, zeigt mir, dass er auf sie aufpassen wird. Er wird auf sie acht geben und das beruhigt mich ungemein. „Sie hatte schon immer einen tiefen Schlaf, das hat sie von ihrem Vater." Wie gut es sich anfühlt, nicht mehr Frank als ihren Vater nennen zu müssen. Seitdem ich es Brianna gesagt habe, fiel mir ein Stein vom Herzen und ich bin immer noch erleichtert darüber. Frank war ein wundervoller Vater, er war für sie da und dafür bin ich ihm unendlich dankbar.

„Ich weiss, dass Sie sich Sorgen um Ihre Tochter machen, aber ich...naja...ich werde sie beschützen. Das verspreche ich Ihnen, Claire." Ich nicke, beisse mir auf die Unterlippe um die aufsteigenden Tränen zurück zu drängen. Roger sieht mich mitfühlend an, was es mir erschwert stark zu bleiben. „Das ist lieb, danke Roger", bringe ich einigermassen ruhig raus. Sein Lächeln sagt mir, dass er weiss wie er sich fühlt. „Dann werde ich ebenfalls zu Bett gehen. Ich wollte Ihnen das noch sagen bevor Sie morgen aufbrechen." Ich nicke und bedanke mich bei ihm, als er das Wohnzimmer verlassen hat und ich höre wie er die knarrende Treppe hinauf geht, atme ich erleichtert aus. Ich stehe auf und gehe zum Fenster, sehe wie der Mond am Himmel prangt und die Umgebung mit seinem milchigen Schein erhellt.

„Mache ich wirklich das Richtige?", flüstere ich vor mich hin.

Vielleicht hatte ich die Hoffnung, dass Jamie oder vielleicht sogar Frank mir zuflüstern, dass es die richtige Entscheidung ist, doch es bleibt still. Ich bleibe noch eine Weile stehen, danach eise ich mich los und gehe nach oben. Vor Briannas Zimmer bleibe ich stehen und als ich nach kurzem Zögern den Raum betrete, bleibe ich am Fussende des Bettes stehen. Sie sieht so friedlich aus wenn sie schläft, genau wie Jamie. Leise setze ich mich hin und streiche ihr eine Strähne ihres rot schimmernden Haares zurück.

„Bei Gott, ich habe niemanden so sehr geliebt wie deinen Vater und ich weiss dich in guten Händen, mein Liebling. Und irgendwann vielleicht, reist auch du durch die Steine und wir treffen uns wieder. Ich hoffe es so sehr." Ich beuge mich über sie und hauche ihr einen Kuss auf die Stirn, sauge den Duft ihres Haares ein und verschliesse die Erinnerung tief in meinem Herzen. Brianna regt sich etwas, doch sie wacht nicht auf. „Ich liebe dich meine Schöne", flüstere ich und verlasse das Zimmer.

Noch bevor die Sonne aufgeht, bin ich auf den Beinen. Die wenigen Dinge die ich auf meine Reise mitnehme, habe ich gestern bereits gepackt und nun ist alles bereit. Das Haus ist still, alle schlafen noch, als ich ins Auto steige und losfahre. Mit einem gemischten Gefühl breche ich auf und mit jeder Minute die vergeht, wird der Kloss in meiner Kehle grösser. Die Strassen sind noch verlassen, kaum jemand fährt in dieser Herrgottsfrühe zum Craigh na dun, nur ich und das fühlt sich seltsam an. Die Sonne geht gerade auf, als ich den Hügel erreiche. Wie vor beinahe 20 Jahren steige aus dem Wagen und gehe die Steigung zu den Steinen hinauf.

Mit jedem Schritt, den ich mache, spüre ich wie mich die Macht der Steine genau wie damals anziehen. Wie ein Magnet die Eisenspäne anzieht, werde ich von den Steinen angezogen. Ein rauer Wind herrscht hier oben und lässt mich augenblicklich frieren. Unter meinem Mantel trage ich das Kleid und in der Kiste, die ich unter dem Arm trage, befinden sich Fotos von Brianna. Wie sie aussah bei der Geburt, Einschulung, , Geburtstag, Schulabschluss, Studium, einfach bei allen wichtigen Ereignissen in ihrem Leben an denen Jamie nicht teilhaben konnte. Gerade als ich auf den grossen Stein in der Mitte zugehe, höre ich wie jemand meinen Namen ruft.

Überrascht drehe ich mich um und sehe Brianna und Roger auf mich zu kommen. „Was macht ihr denn hier?", frage ich erstaunt und schliesse meine Tochter in die Arme. Sie drückt mich so fest an sich, dass ich kaum noch zu Atem komme. Als sie mich schliesslich loslässt, glitzern Tränen in ihren Augen. „Ich kann dich doch nicht einfach so gehen lassen." Ihre Stimme zittert und lässt mein Herz entzweibrechen. „Ach mein Schätzchen...", schluchze ich und schliesse sie in meine Arme.

Arm in Arm lassen wir unseren Gefühlen freien Lauf, drücken uns an den anderen und saugen den Geruch des jeweils anderen tief in uns ein. Wenn ich es irgendwie könnte, dass ich diesen Moment einfrieren könnte, ihn für alle Zeiten konservieren könnte, dann würde ich es tun. „Ich möchte, dass du diesen Brief Jamie, meinem Vater, gibst." Ich schaue auf den weissen Briefumschlag in ihrer Hand und schlucke gegen den Kloss an, der mir nach wie vor zu schaffen macht. „Das werde ich. Ich werde ihm von dir erzählen, wie wunderschön du bist und zu welch grossartigen Frau du herangewachsen bist. Ich liebe dich." Ich küsse sie auf die Stirn und drücke sie ein letztes Mal an mich, denn das Rauschen nimmt immer mehr zu und auch der Wind wird stärker. „Es wird Zeit", sage ich und sehe wie meine Tochter tapfer nickt.

„Geh Mum, geh zu Dad." Dankbar darüber das sie Jamie als ihren Vater akzeptiert, lächle ich meine Tochter an und drehe mich um. Langsam gehe ich auf den grossen Stein in der Mitte zu und als ich ein letztes Mal über die Schulter blicke, sehe ich Roger der Briannas Hand hält. Er wird auf sie achten, wie er es mir versprochen hat und mit dieser Gewissheit, mache ich den letzten Schritt und lege die Hände auf den Stein. Das Rauschen nimmt immer mehr zu, die Anziehung wird immer stärker und dann...

dann ist es totenstill!

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So, noch 2 Kapitel, dann ist dieser Teil der Geschichte zu Ende. Es wird eine Fortsetzung geben und die wird sich auch um Faith drehen. Die Fortsetzung wird Erstgeborene Schottlands Rose heissen. Was denkt ihr, um was wird es dem Namen nach gehen, oder welche Vorstellungen habt ihr?

eure Amanda


Erstgeborene OUTLANDERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt