Vergangen ist vergangen, oder etwa doch nicht?

1.3K 45 24
                                    

Am nächsten Morgen wache ich auf und muss feststellen, ganz alleine in der kleinen Kammer zu sein. Von meinem Vater fehlt jede Spur. Ich setze mich auf und streiche mir eine störrische Strähne hinters Ohr. Angestrengt lausche ich, ob ich ihn zufälligerweise höre. Doch nichts. Keine Stimmen, kein Geklapper, nichts.

Seufzend stehe ich auf und beginne mich am Waschtisch zu waschen. Wer den Krug und die Schüssel wohl da hingestellt hat? Vielleicht dieser Fergus? Nein, ich denke nicht. Es war bestimmt jemand aus diesem Haus, dessen Hauptgeschäft weniger für eine nette Konversation dient, als das Wetter, oder die aktuelle politische Lage des Landes. Etwas unsicher und nervös verlasse ich das Zimmer, im Flur kann ich niemanden sehen. Die Treppe knarrt an einigen Stellen und lässt mich jedes Mal zusammen zucken.

Ich weiss auch nicht wieso ich so schreckhaft bin, immerhin bin ich von Anjou ganz alleine nach Paris und von dort nach Schottland gereist. Und dort hatte ich auch keine Angst, naja fast keine. Als ich unten angekommen bin, höre ich einige Stimmen durcheinander reden. Sie hören sich tief an und gehören mehr zu Männern, als zu Frauen. Deren Stimmen immer etwas heller sind, aber wieso das so ist, weiss ich nicht. „Wer bist denn du?" Erschrocken drehe ich mich um und sehe eine junge Frau vor mir.

Auch sie trägt ein weitausgeschnittenes Kleid und beäugt mich, als wäre ich ein seltenes Wesen, das sich zum ersten Mal im Tageslicht zeigt. „Ich bin Sarah, ähm...ich meine Faith. Ich bin mit meinem Vater da..." Ich will nach oben zeigen, doch mir wird bewusst, dass er dort nicht mehr ist. „Oh, du kleines Ding. Willst du also bei uns anfangen? Madame Lavinia wird begeistert von dir sein. Du kannst eine Menge Kohle hier machen, da bin ich mir sicher. Oder was meinst du Brigitte? Ist doch ein hübsches Ding. Hm vielleicht etwas flachbrüstig, aber das kann kriegt man sicher hin."

Sie wendet sich an eine andere Frau, die bedeutend älter ist als sie und greift mir unverschämter Weise an meine Brust. Entsetzt weiche ich einige Schritte zurück und pralle gegen etwas hartes. Ich wirble herum und sehe Jamie vor mir stehen. Sein Blick ruht auf mir und lässt mich einige Zentimeter schrumpfen. „Oh Mr. Malcom. Wie schön Sie hier zu sehen." Die Frau die mir an die Brust gefasst hat, klimpert mit den Wimpern und beugt sich etwas nach unten, so dass man in ihren Ausschnitt schauen kann.

Ich wende den Blick ab und auch mein Vater scheint nicht gerade erfreut zu sein, was ihm da präsentiert wird. Was mich freut, denn so weiss ich wenigstens, das er keiner dieser Kerle ist, die andauernd in solchen Häusern zu Gange sind. „Was machst du hier überhaupt? Ich habe dir nicht erlaubt nach unten zu gehen." Er sieht mich wieder an und dieses Mal hebe ich den Blick und bin überrascht so etwas wie Besorgnis statt Verärgerung in seinen Augen zu sehen. „Nun ich...ich...du warst nicht mehr da und da dachte ich mir...ich dachte..." Ich verstumme, weil mir nichts passendes dazu einfällt. Ich hätte im Zimmer bleiben sollen, das weiss ich jetzt. „Am besten du gehst wieder nach oben, ich lasse dir etwas zu Essen bringen."

Er lächelt mich schwach an, ich nicke und gehe wieder nach oben. Höre, wie er mit gedämpfter Stimme mit den zwei Frauen redet. Ein Name fällt dabei häufiger, Madame Lavinia. Die Besitzerin dieses fragwürdigen Geschäfts und wie mir scheint, findet sie meinen Vater äusserst attraktiv. Seufzend schliesse ich die Tür und setze mich wieder aufs Bett. Draussen scheint die Sonne, ich würde mir so gerne die Stadt ansehen. Gestern war es ja stockdunkel als ich angekommen bin, als ich an die Begegnung mit diesen zwei Halunken zurück denke, überkommt mich eine Gänsehaut.

Ich stehe auf und gehe zum Fenster, öffne die Läden und atme die frische Luft ein. Einen Augenblick lang schliesse ich die Augen, höre die Kirchenglocken läuten, die Geräusche der Stadt die langsam aber sicher aufwacht und den Menschen, die ihren Tätigkeiten nach gehen. Wie gerne wäre ich jetzt Teil davon, würde durch die Strassen schlendern, die Kirche besichtigen und mir Gedanken über die weiteren Tage und Wochen machen. Gut, das könnte ich auch hier, aber dort unten, oder auf dem Marktoplatz wäre es viel schöner. Ich könnte den Menschen zusehen wie sie geschäftig durch die Strassen gehen, zusehen, wie Frauen sich darüber freuen das Gemüse zu einem günstigen Preis bekommen zu haben, oder stehen bleiben um mit jemandem zu reden, den man eine Weile nicht mehr gesehen hat.

Erstgeborene OUTLANDERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt