Bist du es Claire?

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Er sieht mich mit riesigen Augen an. Das blau schimmert wie das weite Meer, über das ich gefahren bin um zu meinen Eltern zu gelangen. Und jetzt, schneller als ich angenommen und mir lieb ist, habe ich sie gefunden.

Na ja, einen Teil davon. Sein rotes, lockiges Haar reicht ihm bis zu den Schultern, es war bis vorhin mit einem grünen Seidenband zusammen gehalten worden. Doch durch die kleine Auseinandersetzung mit diesen zwei Rüpeln hat es sich gelöst und liegt irgendwo in der nassen und dunklen Gasse. Mein Blick gleitet von seinem Gesicht, das weniger faltig wirkt, als ich es mir vorgestellt habe, zu seiner Kleidung. Er trägt einen Gehrock aus einem grünen Stoff der mit Blumenmustern bestickt wurde, dazu eine braune Hose, die in zwei schwarze Stiefel gestopft wurde. Er sieht sehr gut aus, anders als ich ihn mir vorgestellt habe, aber sehr stattlich. „Claire...sag mir ob ich träume. Bist du es?"

Seine Stimme klingt brüchig, vielleicht ein bisschen rau vom Trinken, oder von den Tränen, die er versucht zu unterdrücken. „Ich...ich...bin nicht Claire...", bringe ich vorsichtig hervor. Zuerst entgleiten ihm beinahe seine Gesichtszüge, doch er fängt sich schnell wieder. Der Ausdruck in seinen Augen verändert sich schlagartig. Er wechselt von erschüttert zu reserviert, beinahe distanziert. Was mich etwas verletzt, als wäre er erleichtert nicht einem Geist aus der Vergangenheit gegenüber zu stehen.

Vergangenheit.

Das würde bedeuten, dass meine Mutter nicht mehr am Leben ist. Zu wissen, dass die eigene Mutter tot ist, wäre das schrecklichste auf der ganzen Welt. Nein. Das darf nicht sein. „Ich bin nicht Claire", dieses Mal klingt meine Stimme wesentlich fester. „Ich bin deine Tochter.", füge hinzu. Sehe wie er schwer schluckt und einen Schritt nach hinten taumelt. Ich fasse den Mut einen Schritt nach vorne zu machen, zucke aber zusammen, als sich einer meiner Peiniger bewegt.

Er streckt seinen Arm aus und scheint nach jemandem greifen zu wollen, denn seine Finger bewegen sich leicht. Dazu kommen grässliche Laute aus seinem Mund. Ich kreische auf und taumle nach hinten, hätte mich der Mann, der mein Vater sein kann oder ist, mich nicht gehalten, wäre ich auf den nassen und kalten Boden gefallen. Doch nun werde ich an eine starke und warme Brust gedrückt, es fühlt sich unglaublich gut an. So vertraut, als würde ich diesen Mann schon mein ganzes Leben lang kennen. Vielleicht tue ich das ja auch, ich weiss es nicht. „Wir sollten gehen."

Es ist das erste was er nach meinem Geständnis sagt, ich schaue zu ihm auf. Er ist mehr als einen Kopf grösser als ich, seine blauen Augen schimmern wie der unendliche Ozean und erlauben mir für einen Augenblick das wahre Ausmass seiner Gefühle zu sehen. Er scheint aufgeregt, angespannt, erleichtert und misstrauisch zu sein. Alles auf einmal. Ein wahrer Strudel der Gefühle. Ohne ein weiteres Wort, fasst er mich am Arm und zieht mich aus der Gasse auf die Strasse die etwas mehr beleuchtet ist. Während wir durch die Stadt taumeln, beginnen meine Gedanken zu kreisen.

Wäre Robert bei mir geblieben, dann hätte er mich vor diesen zwei Halunken beschützen können. Oder wäre er genauso machtlos gewesen wie ich? Ist es demnach Schicksal gewesen, oder gar eine Fügung Gottes, dass mein Vater aufgetaucht ist und mich gerettet hat? Ich weiss es nicht, aber vielleicht werde ich es schon bald herausfinden. Irgendwann hält er so abrupt an, dass ich gegen seinen Rücken pralle. Er dreht sich um und sieht mich entschuldigend an, doch noch immer sagt er kein Wort.

Er klopft an eine Tür, die nach einigen bangen Minuten geöffnet wird. Eine ziemlich freizügig gekleidete Frau, die noch dazu nach schlechtem Parfüm riecht, öffnet die Tür und strahlt meinen Vater an. „Monsiuer Fraser.", begrüsst sie ihn mit einem süsslichen Lächeln. Meine Gestalt wird von seinem breiten Rücken beinahe gänzlich verdeckt, deshalb trete ich neben ihn und als ihr Blick auf mich fällt, erstirbt ihr Lächeln.

„Ihr seid nicht allein, wie ich sehe. Wer ist denn dieses zarte Fräulein?" Sie betrachtet mich einen Augenblick, der kaum mehr als zwei, drei Sekunden dauert, danach sieht sie wieder zu meinem Vater auf. Sie trägt ein schreckliches Kleid, es ist aus rotem Stoff und hat kanariengelbe Rosen darauf. Die meisten wurden sehr unsauber angenäht, so dass sie sich bereits anfangen zu lösen. Und eher wie welke Rosen aussehen, als wie frische Blüten die sich gerade erst öffnen. „Das? Nun ja das ist...", er sieht mich nachdenklich an. So als wüsste er nicht wie er mein Auftauchen erklären soll.

Gerade als ich etwas sagen will, ruft jemand nach der Dame. Diese verdreht auf eine schreckliche Art die Augen und schreit etwas zurück, es klingt rau und nicht gerade schön. „Kommt rein, oder wollt ihr beide Wurzeln schlagen?" Sie lacht schrecklich, es klingt wie ein krankes Huhn das man den Hals umdreht. Nicht das ich schon einmal gesehen habe, wie man ein Huhn schlachtet, aber ich stelle es mir so vor.

„Vielen Dank. Madame Lavinia.", murmelt er und geht durch den kurzen Flur. Innerlich seufze ich und folge ihm nach oben. Nachdem wir in den oberen Stock des alten Gebäudes erreicht haben, geht er zielstrebig auf eine der vielen Türen zu und öffnet diese. Er sieht mich auffordernd an, zögerlich betrete ich das Zimmer, das nur sehr spärlich eingerichtet ist. Es erinnert mich an die Schlafkammer im Kloster. Das Kloster, Oberin Hildegard, der Brief, Paris, Master Remond, all das scheint Jahrhunderte her zu sein, nicht erst ein paar Wochen. „Du kannst dich setzen, wenn du möchtest.", seine raue Stimme reisst mich aus meinen Gedanken.

Nickend setze ich mich auf das alte Bett und klemme die Hände unter meine Schenkel. Zuerst halte ich den Kopf gesenkt, doch dann siegt die Neugier und ich hebe den Blick. Er steht da und sieht mich gedankenverloren an, als würde er durch mich hindurch sehen. Erst als er bemerkt, dass ich ihn ebenfalls beobachte, sieht er auf den Boden und räuspert sich laut. „Möchtest du etwas trinken?" Als ich den Kopf schüttle, nickt er und reibt sich über das stoppelige Kinn. Hier, in dem trockenen und vor allem helleren Zimmer, kann ich ihn noch deutlicher sehen. Ich suche nach Ähnlichkeiten, Merkmale die bezeugen würden, dass wir miteinander verwandt sind. Doch alles was ich finde, ist ein fremdes Gesicht das mir unfassbar vertraut vorkommt.

Als hätte ich dieses Gesicht schon hunderte Male gesehen, es beinahe studiert. Eine Gänsehaut überkommt mich und lässt mich frösteln. „Ist dir kalt? Ich könnte etwas Holz nachlegen." Er dreht sich um und geht zu dem kleinen Kamin, dessen Feuer langsam am erlöschen ist. Kniend pustet er in die noch heisse Glut um das Feuer ein wenig aufzuwecken. Nachdem er das geschafft hat, legt er zwei Scheite Holz nach und bleibt eine Weile so stehen. Seine rechte Hand hat er auf dem Rücken gekreuzt, mit der linken stützt er sich an der Wand ab. Irgendwann dreht er sich um und sieht mir direkt in die Augen, so, als würde er herausfinden wollen, wer ich bin.

„Ich habe nie an Geister, oder daran, dass sie einen heimsuchen, geglaubt. Aber jetzt, jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Bist du ein Geist? Ich meine natürlich nicht das du wirklich ein Geist bist, aber...aber wieso bist du hier?" Ich suche nach Worten, Worten die das alles erklären. Doch mir fällt nichts anderes ein, als ihm den Brief zu reichen, den Oberin Hildegard geschrieben hat. Seine Hände zittern, als er den Brief liest. Seine Augen bewegen sich schnell, als er die Zeilen liest und als er die Hände senkt und mich ansieht, sehe ich zum ersten Mal so etwas wie echte, aufrichtige Freude. „Wenn das wahr ist, und ich bezweifle das dieser Brief gefälscht ist, dann bist du...", er lässt den Satz in der Luft hängen.

Scheint sich auf einmal nicht mehr sicher zu sein, was er glauben soll und was nicht. Ich kann nicht mehr länger dasitzen und ihn anschauen, ich muss...ich muss... Ich weiss nicht was ich muss, nur das was ich will. Ich stehe auf und gehe langsam auf ihn zu, bin mir bewusst, dass er jeden meiner Bewegungen verfolgt. „Ich...bin...deine...Tochter.", sage ich leise. Als ich vor ihm stehen bleibe, ruht sein Blick auf mir und endlich, endlich streckt er die Arme nach mir aus und zieht mich an sich.

Ich spüre wie er schluchzt, wie sich seine Schultern hektisch heben und senken. Ich spüre nicht nur seinen Kummer, sondern auch meinen. Und auch ich beginne zu weinen, weine um die Jahre die ich ohne meine Eltern verbringen musste und freue mich auf die Jahre, die ich noch mit ihnen verbringen kann. Denn jetzt wo ich ihn gefunden habe, wenigstens einen Teil von meinen Eltern, werde ich ihn nie wieder verlassen.

Niemals.

Was denkt ihr, wie wird es jetzt weitergehen?

eure Amanda


Erstgeborene OUTLANDERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt