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Der Nachmittag mit Liam, an meinem Geburtstag, war wunderschön. Wir haben zusammen etwas gekocht und uns einen Film angeschaut. Für einen Moment hatte ich sogar die ganze Magie und die alte Legende vergessen. Es war so schön für diesen winzigen Augenblick einfach mal wieder normal zu sein. Doch die Realität hat uns ganz schnell wieder eingeholt. Heute ist Samstag und das heißt heute geht der Blutmond auf. In der Stadt sind schon alle begeistert von diesem Naturspektakel. Meine Begeisterung hält sich eher in Grenzen. Das scheint auch Liam zu bemerken, denn er legt seine Hand auf meinem Bein ab, lächelt mir kurz aufmunternd zu und schaut dann wieder auf die Straße. Meinen Dad musste ich mal wieder anlügen. Er denkt ich bin gerade bei Sophia und wir warten darauf, dass sich der Blutmond zeigt. Aber dieses Versteckspiel ist bald vorbei. Nächste Woche, wenn wir meinen Geburtstag nachfeiern, stelle ich meinem Dad Liam offiziell als meinen Freund vor. Klar, ich hätte es auch schon eher tun können. Doch erst einmal möchte ich den heutigen Tag hinter mich bringen. Warum ich so eine Angst vor diesem Tag habe, weiß ich selbst nicht so genau. Ich weiß schließlich nicht was heute passiert; das weiß niemand. Aber vielleicht ist es genau diese Ungewissheit, die mir Angst bereitet.
Im Reservat angekommen, steigen wir beide aus dem Jeep aus und Liam nimmt meine Tasche in der sich Sachen für heute Abend und morgen befinden. Eben waren meine Gedanken voll mit dem Blutmond und irgendwelchen Legenden. Doch jetzt sehe ich Aiden ganz niedergeschlagen auf den Stufen der Veranda sitzen.

“Er ist schon den ganzen Tag so schlecht gelaunt.“ informiert mich Liam, der meine Sorgen anscheinend gespürt hat.

“Geh du schon mal rein. Ich rede mit ihm.“ sage ich und gebe Liam noch einen Kuss auf die Wange bevor ich mich neben Aiden setze. Dass er keine Frohnatur ist, habe ich in den letzten Wochen bereits mitbekommen. Er war immer still und ist mit diesem traurigen Blick durch den Tag gelaufen. Ich wollte ihn schon lange mal fragen, was ihn bedrückt, doch ich war immer der Meinung, dass es mich nichts angeht. “Du kannst mit mir reden, Aiden. Oder wenn du mit mir nicht reden möchtest bin ich mir sicher, dass es jeder anderer ebenfalls gerne tun würde.“ sage ich nach einiger Zeit der Stille. Und auch was danach folgt ist nur Stille. Keiner von uns sagt mehr etwas. Aiden schaut nicht einmal auf. Er starrt bloß auf seine Hände. Ich würde ihm so gerne helfen. Es zerreißt mich fast ihn so traurig zu sehen. Doch auch ich kann ihm nicht helfen, wenn er keine Hilfe möchte.

“Es geht um meine Schwester.“ flüstert er nach weiteren Minuten der Stille. Seine Schwester? Ich wusste nicht, dass er eine Schwester hat. “Sie ist in unserer Heimat geblieben, weil dort ihr Mate ist. Ich kann es ja verstehen, dass sie bei ihm bleiben wollte. Aber ich vermisse sie so sehr.“ Er nimmt sein Handy aus der Hosentasche und zeigt mir ein Foto von einer Frau, die das Ebenbild von Aiden ist. Die gleichen schwarzen Haare, dunklen Augen und zudem noch wunderschön.

“Sie ist wirklich schön.“ sage ich lächelnd und schaue in Aidens trauriges Gesicht. “Vielleicht kannst du sie ja mal besuchen, wenn das alles vorbei ist oder sie kommt her, dann kann ich sie auch kennen lernen. Es gibt bestimmt viele Möglichkeiten, damit ihr euch öfters seht.“ Zum ersten Mal, seit unserem Gespräch, schaut Aiden auf und mir ins Gesicht.

“Danke, Kathy. Liam kann sich glücklich schätzen eine Freundin wie dich gefunden zu haben.“ sagt Aiden lächelnd, auch wenn es seine Augen nicht ganz erreicht. Immerhin ist es ein Lächeln, das erste, dass ich seit unserem Kennenlernen gesehen habe.

“Und wenn du mal wieder jemanden zum Reden brauchst, weißt du ja wo du mich findest.“ mit diesen Worten stehe ich auf und lasse Aiden Zeit für sich. Ich glaube es ist besser wenn er selbst auf jemanden zugeht. Das hat er ja bewiesen, als er mir von seiner Schwester erzählt hat.

Wie gebannt starre ich aus dem großen Fenster in Liams Zimmer. Er steht neben mir und hält meine Hand fest umschlungen. Unser Blick ist auf den Wolken freien Himmel gerichtet und dessen Mond, der sich so langsam rot verfärbt. Es ist bereits weit nach Mitternacht, doch an Schlaf ist nicht zu denken. Was ist wenn die Welt untergeht und wir nichts dagegen getan hätten? Dass das lächerlich ist weiß ich selbst, aber dennoch sind da diese Sorgen und Ängste in mir. Innerhalb weniger Minuten strahlt der Mond feuerrot über uns. Faszinierend, wenn man außen vor lässt, dass dieses Ereignis mit einer uralten Legende verbunden ist. Wollte ich nicht ein ganz normales Leben haben? Andererseits hätte ich dann Liam nie kennen gelernt. Es ist doch besser so wie es ist. Ein Leben ohne Liam möchte ich mir nicht vorstellen. Ich kann es mir gar nicht vorstellen.

“Ich denke nicht, dass noch irgendwas passieren wird.“ durchbricht Liam die Stille und dreht sich zu mir. Fast eine Stunde haben wir nun aus dem Fenster geschaut.

“Ist das nicht ein gutes Zeichen?“ frage ich Liam zögernd.

“Ich weiß es nicht.“ flüstert er und zieht mich Richtung Bett. “Ich weiß es wirklich nicht.“

“Vielleicht stimmt diese alte Prophezeiung gar nicht.“ Könnte doch gut möglich sein. Was wenn alles ein geschmackloser Scherz war?

“Das könnte sein, aber ich halte es eher für unwahrscheinlich.“ antwortet Liam und legt seine Hände hinter seinen Kopf.

“Warum?“ Mit einem letzten Blick in Liams Gesicht lege ich mich auf seine Brust und lausche den gleichmäßigen Schlägen seines Herzens. Wie ein Einschlafmittel wirkt diese rhythmische Melodie. Das letzte, das ich mitbekomme, ist wie Liam einen Versuch startet mir zu erklären, warum diese Prophezeiung kein Scherz sein kann. Nur undeutlich verstehe ich seine Worte, bevor ich in einen traumlosen Schlaf verfalle.

Luna - menschliche Gefährtin Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt