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"Hey! Du musst dann wohl Katharina sein. Ich bin Sia." sagt eine dünne schwarzhaarige Frau mit ebenso dunklen Augen und zieht mich in eine feste Umarmung.

"Ja bin ich, aber du kannst mich gerne Kathy nennen." antworte ich etwas überrascht. Um ehrlich zu sein wurde ich von den anderen auch so herzlich begrüßt. Ob das so eine Familiensache ist? Mich stört es jedenfalls nicht. Klar am Anfang war es ungewohnt, aber jetzt geht es.

"Freut mich dich endlich kennen zu lernen. Ich habe gehört, dass du uns helfen möchtest hier alles ein bisschen auf Vordermann zu bringen. Die Jungs haben von so etwas ja meistens keine Ahnung und abgesehen von Ava, Mia, Maddy und mir gibt es hier nur Jungs. Ich bin so froh, dass wir endlich mehr weibliche Unterstützung bekommen." plappert sie einfach drauf los und zwinkert mir dabei zu. Ich kenne Sia vielleicht seit zwei Minuten und weiß jetzt schon, dass sie diejenige ist, die am meisten von allen hier redet. Wie bereits erwähnt habe ich am Donnerstag schon einige Bewohner des Reservats kennen gelernt. Unter ihnen auch Ava und Mia, zwei wirklich nette Frauen. Beide sind so alt wie Liam und ich vermute Sia auch. Ava lebt mit ihrem Mann in einer der Holzbungalows. Erstaunlich, dass sie in so jungen Jahren schon geheiratet haben. Aber gegen die Liebe kann man Anscheind nichts machen. Tja und Mia lebt mit ihren Zwillingen und ihrem Mann ebenfalls in eine dieser Hütten. Das hatte mich echt überrascht. So jung schon Kinder und dann gleich Zwillinge. Das ist bestimmt nicht einfach.

"Wenn sie dir auf die Nerven geht, dann höre einfach nicht zu. Das machen die andern auch immer." flüstert mir Liam zu und ich schaue kichernd zu Sia, die gerade in einer der Hütten, die noch ziemlich herunter gekommenen aus sieht, den Boden kehrt.

"Das habe ich gehört." antwortet sie und schlägt Liam auf den Hinterkopf, was mich noch mehr zum Lachen bringt. "Und wenn er mal Blödsinn erzählt, dann haue ihm einfach auf den Kopf. Das machen die anderen auch immer." äfft sie ihn nach und erntet einen vernichtenden Blick, was sie mit einem Augenrollen abtut.

"Also wenn du mit helfen möchtest, dann kannst du Sia ja etwas Gesellschaft leisten. Sie hat die ganzen Renovierungsarbeiten übernommen. Ich muss nur schnell was im Haupthaus erledigen und komme dann wieder, dann können wir auch etwas anderes machen." erklärt mir Liam und ich nicke ihm zu. Daraufhin lächelt er kurz und verschwindet dann aus der nach Erde riechenden Hütte. Bei genauerem Hinsehen fällt mir sogar ein riesiges Loch im Dach auf. Aber allgemein ist hier alles offen. Es gibt nur Betonwände, Fensterrahmen ohne Fenster und ganz viel Schmutz.

"Wozu braucht ihr eigentlich so viele Häuser?" frage ich neugierig und schaue die schwarzhaarige Frau an.

"Es kommen noch einige Familienmitglieder zu uns und die müssen schließlich irgendwo wohnen." lächelt sie mir zu und stützt sich auf dem Besenstiel ab. Ich glaube Liam hat das sogar mal erwähnt in unseren recht kurzen Gesprächen.

"Wie groß ist denn eure Familie?" frage ich überrascht. Also 13 sind ja schon eine Menge verglichen zu meinem Dad, meinen Großeltern und mich.

"Riesig." antwortet sie und macht eine abwertende Handbewegung. "Wenn du möchtest kannst du mir ein bisschen helfen diese Hütte zu gestalten. Hier soll nämlich meine Schwester einziehen und die hat einen wirklich schwierigen Geschmack." bietet sie mir an und verdreht schon wieder die Augen. Ich glaube sie würde sich sehr gut mit Sophia verstehen. Irgendwie könnten die beiden Geschwister sein, zumindest was das Verhalten angeht.

"Das wäre wirklich klasse." antworte ich freudig, da es mal eine angenehme Abwechslung zu meinen öden Alltag wäre. Und außerdem hätte ich dann auch einen Grund öffters hier her zu kommen, um diese magischen grünen Augen zu sehen.

"Okay ich gebe dir mal einen Besen, dann kannst du helfen den Dreck hier raus zu bekommen." sagt sie und deutete mit einer kreisenden Bewegung auf den Schmutz am Boden. Ich nicke und sofort geht Sia auf eine vermoderte Holztür zu. Also ein ordentliches Dach besitzt dieses Haus nicht, aber stattdessen eine Abstellkammer. Sehr witzig diese Tatsache. Doch lange kann ich darüber nicht schmunzeln, denn ein gequälter Laut lässt mich besorgt aufschauen. "So ein Mist!" flucht Sia und hält sich die Hand. Ich gehe sofort auf sie zu und schaue mir ihre verletzte Hand an. Ein großer blutiger Schnitt zieht sich vom Zeigefinger bis zum Daumen und der Schmutz, der vermoderten Holztür hängt dazwischen.

"Das muss gereinigt und verarztet werden." sage ich und schaue besorgt in ihre dunklen Augen.

"Im Haupthaus gibt es Verbandszeug." antwortet Sia und verzieht ihr Gesicht vor Schmerzen. Der Schnitt sieht auch wirklich nicht gut aus.

Zusammen gehen wir dann in das große Haus und Sia führt mich in die Küche, die mir Liam bereits gezeigt hat. Ich schiebe Sia auf einen der Küchenstühle und suche das Verbandsmaterial heraus nachdem sie mir erzählt hat wo es sich befindet. An dem Wasserhahn befülle ich eine Schüssel mit Wasser und höre aus dem Hintergrund Sia scharf die Luft einziehen. Es gefällt mir nicht, dass sie sich verletzt hat. Aber es ist ein merkwürdiges Gefühl. Nicht so wie wenn sich mein Dad verletzt. Nein, es fühlt sich an als hätte ich mich selbst verletzt.

Mit der Schüssel Wasser, einem sauberen Tuch und dem Verbandsmaterial setze ich mich zu Sia und verarzte die Wunde. Zuerst säubere ich sie, damit sie sich nicht entzündet und verbinde sie anschließend.

"Ist was passiert? Geht es dir gut Kathy?" fragt ein aufgebrachter Liam und kommt auf mich zu gestürmt.

"Ja ist alles in Ordnung. Sia hat sich nur ein bisschen an der Hand verletzt." antworte ich während ich den Verband befestige und versuche dabei Liams Reaktion zu ignorieren. Erleichtert atmet er aus und streicht mir über den Rücken, was mich kurz unmerklich zusammen schrecken lässt.

"Ja alles wieder okay. Kathy hat sich um mich gekümmert, wie eine richtige Luna." antwortet Sia und zeigt Liam ihre verletzte Hand.

"Luna?" frage ich neugierig und bemerke, wie Liam Sia finster anstarrt.

"Erkläre ich dir ein anderes Mal." antwortet Liam und zieht mich an meiner Hand aus der Küche. Ich höre nur noch, wie mir Sia ein "Dankeschön!" hinterher ruft und werde weiter von Liam nach oben gezogen. Hier war ich noch nicht. Vor einigen Tagen hat er mir nur das untere Stockwerk gezeigt. Aber außer einem langen Gang mit vielen Türen ist nichts zu sehen.

Gerade als ich fragen möchte, was wir hier machen, werde ich auch schon wieder die nächste Treppe hinauf gezogen. Jetzt kommen wir im Dachgeschoss an. Alles sieht genauso aus wie die restlichen zwei Stockwerke. Viel Holz, alte Bilder, große Fenster, Türen die nicht zu der Einrichtung passen aber dennoch so aussehen als würden sie nirgends anders hingehören.

"Wie schon gesagt war es nur ein Vorwand dich hier her zu bringen. Nun möchte ich Zeit mit dir verbringen." sagt Liam einfach gerade raus und zerrt mich sanft in einen der vielen Räume, die sich hinter den etlichen Türen befinden.

Während Liam die Tür wieder schließt, schaue ich mich im Raum um. Zuerst fällt einem dieses große Fenster auf. Es reicht von dem Boden bis unter die Decke und bietet eine herrliche Aussicht auf den tiefgrünen Wald. An der rechten Wand stehen ganz viele Bücherregale mit Büchern aus allen Genren. Geschichtsromane, Sachbücher, bedeutende Werke der Literatur und natürlich die üblichen Klassiker wie Darwins Weltumsegelung. Wenn man sich dann umdreht erkennt man einen schönen schwarzen Flügel in der Ecke, aber irgendwie passt der dort nicht hin. Es ist dunkel, viel zu dicht an der Wand, wo durch sich die Töne nicht richtig entfalten können und außerdem vergeht einem dann die Lust zu spielen. Mir jedoch kribbelt es in den Fingern, da ich schon ewig keine Note mehr gespielt habe. Unsere Nachbarn sind nämlich zur Zeit in Texas und besuchen dort ihre Enkelkinder und weil man aus Blue Wood so schlecht raus kommt, haben sie sich dazu entschieden für einen ganzen Monat weg zu bleiben. Ja ich vermisse es einfach dieses Gefühl von Leidenschaft, das meinen Körper durchfährt, wenn ich die erste Note anschlage. Also überlege ich nicht lange und setze mich auf den rot gepolsterten Hocker vor dem Flügel und beginne ein Lied zu spielen, dass ich mir vor einigen Monaten beigebracht habe. Es ist ein modernes mit vielen zarten aber auch impulsiven Tönen. Ich mag es, wenn diese zwei Komponenten aufeinander treffen. Das verleiht einem Lied so viel Freude, Ausdruck und Leidenschaft.

Wie in Trance spiele ich die Töne, drücke Taste für Taste und bin für einen kurzen Moment in einer komplett anderen Welt. Eine Welt in der es kein Hass, kein Krieg und keine schlechten Dinge gibt. Es gibt nur mich und das schwarze Holz des Flügels mit den rein weißen Tasten, die wie geschaffen für meine Finger sind.

Luna - menschliche Gefährtin Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt