Das zweite Mal an diesem Tag, dass ich einer Situation nicht gewachsen war. Ich fuhr mit den Händen durch meine Haare und versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren.
„Okay, Viola. Du hast hier einen Fall von unreinem Dope, wie auch immer man damit umgeht.", beruhigte ich mich selbst, was mich jedoch nur noch panischer machte.
Ich zückte mein Handy, um einen Krankenwagen zu rufen. Ich hatte die Kurzwahl eingegeben und wollte den Anruf gerade starten als ich innehielt. Drogen waren hier in Deutschland illegal. Was, wenn es rechtliche Konsequenzen gab?
Hin und her gerissen, rief ich dann doch an. Ein Menschenleben ging hundertprozentig vor.
Nach einer gefühlten Ewigkeit ging endlich die Notrufzentrale des städtischen Krankenhauses heran.
Ich atmete einmal tief durch.
„Also, ich bin Viola Hochreiter und ich sitze hier an Gleis 3 am Bahnhof mit einem Freund, der gerade wegen...", begann ich meinen Satz, stoppte jedoch.
Ich konnte ja schlechte etwas von den Drogen sagen.
„Ähm, wegen einer Fremdeinwirkung bewusstlos geworden ist.", fuhr ich fort.
Dann ging alles ganz schnell. Der Sanitäter am Telefon schickte sofort einen Krankenwagen los, sagte mir, dass ich reanimieren sollte und legte dann auf.
In der 8. Klasse hatte ich mal einen Reanimierungskurs, weshalb ich, wenn auch etwas eingerostet, mit den Händen auf seiner Brust pumpte.
Alexander sah so tot aus, ich war fest davon überzeugt, ihn nie wieder lebendig zu sehen. Mir kamen die Tränen, da noch nie jemand in meinen Armen gestorben war. Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, als ich von weiter weg laute Rufe hörte.
Ich drehte mich um und sah durch meine mit tränen gefüllten Augen drei Sanitäter, die auf mich zu gerannt kamen.
Als sie bei mir ankamen, wanden sich zwei von ihnen Alexander zu, während der dritte mich vom Geschehen etwas wegzog.
„Sie sind Frau Hochreiter?", fragte er mich.
Wenn ich jetzt etwas sagte, würde ich endgültig anfangen zu weinen. Ich nickte ihm zu.
„Alles klar, meine Kollegen kümmern sich um ihn.", meinte der Sanitäter beruhigend.
Ich bekam wie in den ganzen Krimi Serien, eine Decke mit Alufolie um die Schultern und saß einfach nur da.
Der dritte Sanitäter hatte sich nun auch zu den anderen begeben, hatte aber noch ein Auge auf mich.
„Wir brauchen die Trage.", meinte der eine dann.
In mir drin brach wieder alles zusammen. Die eben noch aufgebaute Hoffnung tauschte wieder mit der Angst.
Der Sanitäter, der mir die Decke gegeben hatte, rannte mit einem anderen los.
„Frau Hochreiter, am Telefon sagten sie etwas von Fremdeinwirkung. Könnten sie etwas konkreter werden?", fragte mich der übrig gebliebene, der noch neben Alexander kniete.
Was sollte ich denn jetzt sagen? In mir drin sah es gerade aus wie eine zermatschte Birne und mein Gehirn würde jetzt wohl keine brauchbare Ausrede ausspucken.
„Ich bin übrigens Dr. Brand.", stellte er sich vor, nachdem ich eine Weile nichts gesagt hatte.
„Sie stehen unter ärztlicher Schweigepflicht?", fragte ich dann.
Er nickte ruhig und begann seine Utensilien wieder einzupacken. Ich hörte, wie die anderen beiden Sanitäter wiederkamen und beschloss es einfach zu sagen.
„Ich hab keine Ahnung was genau, aber er hat Drogen genommen.", antwortete ich mit zittriger Stimme.
Nun flossen die Tränen nur so aus mir heraus und ich schluchzte laut. Das letzte Mal, dass ich vor Fremden geweint hatte, war mindestens ein Jahr her. Doch die Anspannung, machte mich einfach total labil.
Dr. Brand nickte wissend, denn im gleichen Moment waren die Sanitäter mit einer Trage bei uns angekommen. Sie hoben Alexander auf die Trage und rollten ihn dann schnell weg.
Unsicher und mit meinem Sandwich in der Hand folgte ich ihnen. Ich versuchte mich selbst ein wenig zu beruhigen, was mir jedoch keineswegs gelang.
Als wir den Tunnel gerade herauskamen, sah ich schon den Krankenwagen auf dem Bürgersteig mit angeschaltetem Blaulicht.
Dr. Brand bot mir an, mit dem Krankenwagen mitzufahren, was ich natürlich tat. Auf der Fahrt wurde mir dann übel. Eigentlich hatte ich ziemlichen Hunger, was mir zu dem Zeitpunkt aber nicht bewusst war, denn der Anblick von Alexander, der halbtot auf dieser Liege lag und gerade eine Infusion bekam, brachte mich wieder auf den Gedanken, mit der Spritze in dieser ranzigen Wohnung.
Ich konzentrierte mich einfach auf Alexanders Hand, die ich hielt.
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Take my pain away
Teen FictionViola führt ein relativ normales Leben, bis sie plötzlich, im wahrsten Sinne des Wortes, über den geheimnissvollen Jungen Alexander stolpert, dessen Geschichte ihr nicht mehr aus dem Kopf geht.