15. Kapitel

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Kaela

In Sicherheit des Dschungels hielten wir an. Ich sank neben Askans leblosen Körper zu Boden und weinte.
"Oh, bitte nicht!", schluchzte ich immer wieder, "Bitte wach auf!"

Doch ich wusste, dass es zu spät war. Sein Herz schlug nicht mehr. Plötzlich leuchtete etwas neben mir auf.

Ein Tiger mit ergrauter Schnauze stand auf einmal vor mir. Seine Gestalt waberte wie Nebel. So, als stände ich einem Geist gegenüber.
"Liegt dir etwas an ihm?", fragte der Geistertiger.
"Ja, natürlich!", rief ich unter Tränen.

"Ich schlage dir einen Handel vor: Sein Leben, gegen deine menschliche Gestalt", ich sah den alten Tiger ungläubig an.
"Du kannst ihn zurück ins Leben holen? Und dafür willst du nur meine menschliche Gestalt?", fragte ich.
"Das ist richtig!", bestätigte er.
"Dann soll es so sein!", entschied ich mit fester Stimme.

Ein Blitz erhellte die Nacht. Geblendet schloss ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete war irgendetwas anders. Ich sah an mir herab und stellte fest, ich war nun ein Tiger. Ein cremefarbener Tiger. Nicht ganz weiß, aber auch nicht orange. Ein Mischling. Nur meine bernsteinfarbenen Augen waren mir von meiner menschlichen Gestalt geblieben.

Der alte Geistertiger war verschwunden. Ich sah zu Askan hinüber. Erst passierte nichts, dann stöhnte er jedoch und öffnete die Augen. Ich schnurrte glücklich.

"Was?", kam es nur verwirrt von ihm. Er sah zu dem Tiger, der mich gerettet hatte und der sein Bruder sein musste. Er und seine Gefährtin sahen ihn entschuldigend an. Er wandte sich wieder zu mir um.
"Kaela?", krächzte er. Ich schnaubte bestätigend.

"Nein! Sag mir, dass das nicht wahr ist!", entsetzt sah er mich an. Ich war verwirrt. Als Askans Bruder nun sprach konnte ich jedes Wort verstehen:
"Es war ihre Entscheidung. Ihre menschliche Gestalt gegen dein Leben".

Askan, der ihn, obgleich in menschlicher Gestalt, verstanden haben musste, verwandelte sich in den weißen Tiger. Wütend knurrend fuhr er mit den Krallen über einen Baumstamm. Ich trat zu ihm.
"Es ist in Ordnung", sagte ich sanft.

"In Ordnung?!", er sah mich nicht an, "Nichts ist in Ordnung! Du solltest nicht hier sein! Du gehörst zu deiner Familie und deinem Verlobten!"
Er spuckte das letzte Wort geradezu aus.
"Du gehörst nicht zu uns Monstern! Du -", verzweifelt hielt er Inne.

Ich ging einige Schritte rückwärts.
"Ich bin nicht verlobt!", rief ich, auf einmal wütend geworden.
"Ach nein? Das habe ich aber anders gehört!", giftete Askan zurück.
So hatte ich mir ein Wiedersehen nicht vorgestellt.
"Wie kommst du dazu, einfach in unser Gebiet zu stapfen und uns auszuspionieren?!", schrie ich ihn nun an. Ich wusste nicht, warum ich diese Worte gerade gesagt hatte. Es klang aus meinem Mund wie ein Vorwurf, dabei machte es mich eigentlich ganz kribbelig. Alles ging schief!

"Weil ich dich verdammt nochmal liebe!", brüllte er zurück. Stille. Mein Atem stockte. Er liebte mich! Und ich liebte ihn, das wusste ich jetzt. Klammheimlich hatte er sich in mein Herz geschlichen und erst jetzt realisierte ich es.

"Ich liebe dich doch auch!", Tränen traten mir in die Augen. Doch sie blieben ungeweint, denn ich war kein Mensch mehr. Askan trat näher an mich heran.
"Wirklich?", fragte er ungläubig.
"Ja, wirklich!", bestätigte ich schnurrend. Seine Schnauze berührte meine und er schnurrte tief. Es fühlte sich seltsam an, aber gut.

Ravi und Dayita zogen sich zurück. Askan sah mir tief in die Augen.
"Wir werden einen Weg finden, das hier rückgängig zu machen. So sehr ich mir auch wünsche, dass du bei mir bleibst, es geht nicht. Du gehörst zu deinem Stamm. Ich kann dir nichts bieten, außer einer ständig wechselnden Gestalt und Unsicherheit", sagte er dann traurig.

"Denkst du das geht? Denn wenn es so wäre, vielleicht gibt es dann auch einen Weg dich wieder komplett menschlich zu machen!", ich ignorierte Askans Versuch mich zur Vernunft zu bringen. Ich wollte bei ihm bleiben! Mein Stamm würde mich nach dem Desaster am Fluss wohl auch nicht mit offenen Armen empfangen. Immerhin hatte ich einen todbringenden Tiger verteidigt!

"Es muss gehen! Wie ist das Ganze hier eigentlich passiert? Wer hat dich verwandelt?", Askan sah mich mit ahnungsschweren Blick an.
"Da war auf einmal ein alter Tiger. Er schien nicht wirklich lebendig zu sein. Es wirkte, als wäre er aus Nebel. Er sagte, er könne dich retten. Ich musste ihm nur meine menschliche Gestalt geben", versuchte ich es zu beschreiben.

"Nur!", schnaubte Askan, "Ist dir klar was du da getan hast? Ist dir klar wer das war?". Askan betonte jede einzelne Silbe.
"Ich habe dir das Leben gerettet", antwortete ich nüchtern, "es ist mir egal wer er war. Du lebst und das zählt".
Um meine Worte zu unterstreichen schnurrte ich sanft.

Askan brummte nur. Ihm schien nicht zu gefallen was ich getan hatte, aber gleichzeitig wirkte er verlegen.

"Du verstehst es nicht oder? Der Tiger, den du gesehen hast, das war auch der Tiger, der mich zu dem gemacht hat, was ich bin. Es war der alte Prinz der Tiger. Er ist der Einzige der das alles hier möglicherweise rückgängig machen kann. Ich bezweifle jedoch, dass er das tun wird. Nicht ohne Gegenleistung. Doch was sollen wir ihm bieten?", Askan schüttelte verzweifelt den Kopf.

"Aber ich will doch gar nichts wieder ändern. Ich bin jetzt ein Tiger. Das sind wir beide. Ist das so schlimm für dich?", ich verstand ihn einfach nicht.
"Ja! Glaube mir, irgendwann wirst du deine Entscheidung bereuen. Es mag am Anfang in Ordnung sein, aber wenn du merkst wie du dich immer mehr von deinem alten Ich entfernst, wird sich das ändern! Ich wünschte, ich hätte damals eine Wahl gehabt. Ich wäre lieber ein Mensch als ein Tiger. Ich möchte nicht, dass du dich veränderst und das wirst du mit Sicherheit, wenn du ein Tiger bleibst", argumentierte Askan.

Ich wollte es nicht zugeben, aber da könnte er Recht haben. Noch spürte ich die menschliche Seite in mir. Bei dem Gedanken sie zu verlieren, ganz ein Tiger zu werden, bekam ich Angst. Askan kannte das Gefühl. Er kämpfte seit Jahren um seine menschliche Seele.

"Außerdem wirst du mit einem Monster vorlieb nehmen müssen, wenn du ein Tiger bleibst. Willst du wirklich mit jemanden zusammenleben, der so viele Menschenleben auf dem Gewissen hat? Einem Verräter deines Volkes? Was ist wenn sich deine Gefühle ändern? Du wärst für immer ein Tiger und könntest nicht einfach zu deinem Stamm zurück kehren. Wir sollten das so schnell wie möglich beenden", der Tigerprinz blieb bei seiner Ansicht.

Was die Frage um meine Gefühle und meine Zukunft mit Askan betraf, so machte ich mir keine Sorgen. Ich war mir sicher, dass ich zu ihm gehörte. Das machte ich ihm auch klar.

"Gibt es denn keine Möglichkeit eine Vereinbarung zu treffen, die wir beide akzeptieren?", seufzte ich dann schließlich. Er dachte nach. Ich ebenfalls.
"Wie wäre es mit einer Probezeit? Wir schauen wie es so funktioniert und halten die Augen offen, ob sich eine Möglichkeit bietet das alles rückgängig zu machen", schlug ich vor.

"In einigen Wochen findet ein Treffen der Tiger statt. Da gibt es ein paar Älteste die uns vielleicht helfen könnten. Ich hab sie schon öfters gefragt, ob sie etwas wissen und sie haben sich stets bedeckt gehalten. Ich bin mir aber sicher, dass sie etwas wissen. Vielleicht sagen sie dir ja etwas", eröffnete er mir.

"In Ordnung. Wir gehen zu diesem Treffen und reden mit ihnen. Doch bis dahin lassen wir das Thema beseite und schauen, wie es sich so entwickelt, abgemacht?", fasste ich zusammen.
"Abgemacht!", Askan schnurrte zufrieden. Es war bereits Nachmittag, als wir uns auf die Suche nach Ravi und Dayita begaben.

 Der Prinz der TigerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt