4. Kapitel

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Kaela

Am nächsten Tag setzten wir unseren Weg fort. Ich wünschte, ich wüsste wo wir gerade waren. Ich wünschte, dass ich den Weg zurück selber wüsste. Auf eine Reisebegleitung wie Naksa konnte ich gut und gerne verzichten. Seine Laune schien auf dem Gefrierpunkt zu liegen. Er war seit dem Vorfall mit dem Adler noch schlechter drauf als sonst. Falls das überhaupt möglich war. Er sprach nur noch mit mir, wenn er musste. Seine Stimme klang dabei harsch und abgehackt, als müsste er sich zwingen sie zu benutzen.

Es war gerade so um die Mittagszeit und wir hatten höchstens drei, vier Wörter gewechselt. Es war zum aus der Haut fahren. Ich war eigentlich ein Mensch der gerne und viel redete. Das Schweigen war mir zuwider. Doch schon wenn ich den Mund aufmachte um etwas zu sagen, warf Naksa mir einen drohenden Blick zu. Manchmal gab er noch dieses seltsam animalische Knurren von sich, was mich jedesmal aufs neue entsetzte.

Wir kamen zu einem See. Sofort rannte ich hin. Ich war sehr durstig. Ich beugte mich hinab um zu trinken. Plötzlich schoss eine zähnenbewerte, lange Schnauze aus dem Wasser. Ich schrie auf und taumelte rückwärts. Es war ein Krokodil!
"Hahahaha!", Naksa's Lachen brachte mich zum zittern. Gleichzeitig wurde ich wütend. Ich drehte mich zu ihm um.
"Du lachst? Du lachst!", tobte ich,
"Ich hätte jetzt tot sein können!"
Er hörte auf zu lachen.
"Wäre vielleicht besser so gewesen. Dann müsste ich jetzt nicht mehr Kindermädchen spielen -"
"Kindermädchen?! Du bist so, so....arghhh!", ich war außer mir. Schäumend vor Wut drehte ich mich um.
"Ich gehe jetzt. Den Weg finde ich schon alleine, vielen Dank für deine Hilfe!", meine Stimme troff vor Ironie. Ich zwang mich langsam und bestimmt zu gehen. Kaum war ich aber aus Naksas Blickfeld verschwunden, fing ich an zu rennen.

Askan

Ich sah ihr nach. Eigentlich sollte ich jetzt froh sein. Es war gefährlich sich in meiner Nähe aufzuhalten. Doch irgendwie verspürte ich eine leise Traurigkeit. Dieses Mädchen hatte etwas Schwung in mein Leben gebracht. Wenn sie es nicht sogar verändert hatte. Sie hatte mich dazu gezwungen meine menschliche Gestalt anzunehmen. Etwas, was ich schon lange nicht mehr getan hatte. Und es tat verdammt gut.

Sie wusste gar nicht, was sie verursacht hatte. Ich hatte mich bewusst von meinem Menschendasein distanziert. Ich war voll und ganz ein Tiger geworden. Das hatte ich mir zumindest immer eingeredet. Doch mein Herz war das eines Menschens. Es verlangte nach meiner menschlichen Gestalt. Das war ein kaum auszuhaltener Druck. Ihm nachzugeben war göttlich. Für eine Zeit konnte ich ich sein. Ich war nicht mehr so ruhelos. Ich empfand anders, nein, mehr. Die Welt bekam wieder Farbe, mein Leben einen Sinn. Der Tag war nicht mehr nur dazu da zu überleben, sondern ihn wirklich zu leben. Es war ein herrliches Gefühl ein Mensch zu sein.

Doch der Angriff des Adlers hatte mich wieder in das Loch zurückgestoßen, aus dem ich gerade in Begriff gewesen war, herauszuklettern. Erinnerungen an mein altes Leben kamen zurück. An den Tag wo das Grauen begann und ich alles verlor. Meine Mutter und meinen Vater. Doch damit nicht genug.

Nach einiger Zeit als Tiger fing mein Bruder an sich zu verändern. Er wurde mehr und mehr zum Einzelgänger. Außerdem wurde er eifersüchtig auf mich. Ich war der Prinz der Tiger. Ich wurde vergöttert und umworben. Mein Bruder kam sich neben mir unbedeutend vor.

Immer wieder versuchte ich die Kluft, die zwischen uns entstanden war, zu überbrücken. Ich redete stundenlang mit ihm. Ab und zu bat ich ihn, sich zu verwandeln. Wir taten Sachen zusammen, die wir zuletzt als kleine Jungen gemacht hatten.

Ich ging mit ihm jagen. Wir kletterten um die Wette. Doch es half alles nichts. Eines Tages war er weg. Der Schmerz über sein verschwinden brachte mich fast um. Er war das Einzige was mir von meinem früheren Leben geblieben war. Er hatte mir Halt gegeben. Ich schwor, mich nie mehr zu verwandeln. Ich würde fortan alle Erinnerungen an ihn und mein früheres Leben ausradieren. Ich würde einfach nur Askan, der Prinz der Tiger sein. Wild, gefährlich und die Menschen hassend, für das was sie mir angetan hatten.

 Der Prinz der TigerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt