Prolog

88 10 13
                                    


Es ist eine sanfte Stimme, ein Wispern, welches mich zusammenschrecken lässt.
„Goodnight."
Ich reiße die Augen auf, doch kann nicht klar sehen, es ist nebelig um mich herum.
„Bleib liegen, Amari."
Meine Augen fallen wieder zu, es wird dunkel, doch die stickige Wärme bleibt.

Was ist passiert?

„Sie hat eine Menge Blut verloren. Es ist normal, dass es ihr noch nicht gut geht, aber ich versichere Ihnen, dass sie in einem stabilen Zustand ist."
Müde lasse ich meinen Kopf zur Seite fallen, um den Arzt zu beobachten, welcher mit meiner Pflegemutter spricht, und ihr dabei immer wieder versichert, dass ich nicht sterben werde.
Jedenfalls nicht in näherer Zukunft.
„Wir nehmen an, dass sich ihr Körper selbst erholen wird. Sie braucht dafür nur viel Zeit und Ruhe. Es wurden keine lebenswichtigen Organe beschädigt, machen Sie sich keine Gedanken deswegen. Wir haben sie genau untersucht und festgestellt, dass die Kugel ganz durch sie gedrungen ist, und das so, dass nur der Blutverlust tödlich hätte enden können. Sie hat Glück, dass so schnell gehandelt wurde."
Die Worte ergeben in meinem Kopf keinen Sinn, sind ein Teppich aus Buchstaben, viel zu eng gewebt.
Nur die Stimme des Arztes hat etwas Sanftes, Beruhigendes.
Sie erinnert mich an jemanden.
„Was ist mit Avi?", frage ich, heiser, meine Stimmbänder sind gelähmt von den Tagen, Wochen, welche ich schweigend verbracht habe.
„Avi?"
In ihren Augen kann ich die Verwirrung erkennen, als meine Pflegemutter mir antwortet, sie wird, sie kann nicht damit gerechnet haben, dass ich ihr jetzt so ins Wort falle.
Ich hingegen lasse mich wieder fallen, in das Dunkle, wo alles so leicht scheint.
Es kann nicht passiert sein.
Sonst würde sie wissen, wer Avi ist.
War es Avi?

„Es könnte sein, dass sie halluziniert, sie bekommt momentan starke Schmerzmittel."

Avis Arme halten mich, als er mich nach draußen trägt, und auf einmal ist die Luft nicht mehr stickig, sondern kühl, ich fühle mich frei, und doch kann ich mich nicht bewegen.
„Soll ich das Fenster wieder zu machen?", fragt die Stimme meiner Pflegemutter.
Ich merke, wie ich den Kopf schüttele.
Es ist kein offenes Fenster.
Es ist der Platz vor der Jahrhunderthalle in Frankfurt, gefüllt mit Menschen, Polizisten, Ärzten, Krankenwägen, Verletzten.
Avi trägt mich an ihnen vorbei, bis wir an einem Krankenwagen ankommen.
„Sie wurde ohnmächtig."
Die tiefe Stimme gehört nicht dem Basssänger, und das lässt mich zusammenschrecken, ich kämpfe mich durch meine Benommenheit, bis die Worte klarer werden.
„Sie kommt zu sich", sagt jemand.
Als ich die Augen öffne, sehe ich den Arzt, der leicht den Kopf schüttelt.
„Sie verliert schon wieder Blut, die Wunde ist offen. Wieso ist hier niemand dazu fähig, eine Schusswunde ordentlich zu vernähen!?"
Ich spüre einen leichten Stich in meiner Seite.
Jemand hebt die Decke von mir und ich sehe zum ersten Mal den blutgetränkten Verband um meinen Bauch.
„Welche Blutgruppe?", höre ich eine andere Stimme.
„B negativ."
„Wir brauchen einen Spender."
„Im Lager muss noch 0 negativ sein."
Das Rot breitet sich aus, wird immer dunkler, bis die Schwärze mich wieder umgibt.
„Es wird nicht reichen."


„Sie können hier nicht rein, tut mir leid. Wir müssen Frau Ginsers erst stabilisieren."
Avi steht vor dem Krankenwagen, immer noch blass, und ich lächele ihm müde zu.
„Wie hast du es geschafft, Scömìche wahr zu machen?", fragt er.
„Herr Ginsers, ich verstehe, dass Sie zu ihrer Tochter wollen, aber ihr Zustand ist nicht sicher."
Es kann kein Beruhigungsmittel sein, welches durch meine Adern fließt, denn das Gefühl, welches mich bei diesem Namen erfasst, ist viel zu stark.
Herr Ginsers.
„Ich kann ihr Blut spenden", sagt er, „Ihre Pflegemutter hat mir davon berichtet. Ich habe auch B negativ."
„Sie können ihr jetzt nicht mehr helfen, Herr Kaplan."

~~~~~~~~~~

Überraschung! Ich hoffe, euch verwirren Amaris Halluzinationen (wer weiß, ob es denn wirklich welche sind ;)) nicht so sehr wie mich beim Schreiben... Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen! :)

Portrait (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt