„Es ist gewissermaßen unsere Pflicht, dir das jetzt mitzuteilen", meint Mitch ernst.
„Okay?"
Skeptisch sehe ich die Beiden an.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihnen trauen kann, ob sie jetzt wirklich ernst sind oder gleich mit einer Überraschung ankommen.
Obwohl es wahrscheinlich auch eine Überraschung sein wird, wenn sie ernst bleiben.
„Als du uns letztes Jahr in den Hintern getreten hast, waren wir vielleicht erst etwas schockiert, weil du so ehrlich mit uns warst und nicht wie die anderen einfach darauf gewartet hast, dass wir es selbst erkennen. Wir haben uns vor ein paar Wochen alte Videos von uns angeschaut, und wir waren beide echt verwirrt, wie wir so blind durch die Gegend rennen konnten. Aber wir haben beide irgendwie gedacht, dass wir nicht gut genug sind."
Scott seufzt und schaut vom Boden auf, direkt in Mitchs Augen.
„Amari, du hast innerhalb von einem halben Jahr so vielen Menschen das Leben gerettet, wenn hier jemand Angst haben muss, nicht genug wert zu sein, dann sind das garantiert die Leute, die dich anhimmeln, nicht du."
„Ich glaube, ich bin mit den Menschenleben immer noch im negativen Bereich", meine ich trocken.
Erst die verblüfften Blicke von Mitch und Scott lassen mich meine Worte realisieren.
„Wie viele Leute können von sich sagen, dass sie überhaupt Leben gerettet haben?", fragt Scott.
Ich verziehe das Gesicht.
Dagegen kann ich wenig sagen.
„Als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, und damit meine ich wirklich zum ersten Mal, in Frankfurt auf dem Konzert, als du über den Zaun gesprungen bist und dich angeschlichen hast... Ich glaube, ich hatte noch nie in meinem Leben größere Angst. Als wir dann in dem Raum waren, du dort auf dem Boden lagst, niemand von uns wusste, ob du lebst... Avi hat dich untersucht, so gut es eben ging, und dich für lebendig erklärt, und als er das gesagt hat, ist mir so ein Stein vom Herzen gefallen. Ich wusste nicht, dass man so viel Angst um einen Fremden haben kann, aber deine Ausstrahlung war so wahnsinnig. Du hast uns an dem Abend allen das Leben gerettet, Amari, und ich glaube, du weißt immer noch nicht, wie unfassbar dankbar wir dir dafür sind."
Obwohl Mitchs Worte so wirr sind, deutlich zeigen, dass er den Abend noch nicht wirklich verarbeitet hat, kommen mir beinahe die Tränen.
„Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich nicht mehr an allzu viel, wahrscheinlich stand ich etwas mehr unter Schock, als ich zugeben wollte", beginnt Scott, „Aber ich erinnere mich noch haargenau daran, dass Mitch, Kevin, Kirstie und ich für so ziemlich gar nichts mehr zu gebrauchen waren. Wären du und Avi nicht gewesen, wäre ich höchstwahrscheinlich einfach stehen geblieben und getötet worden. Ihr ward beide unglaublich."
„Irgendjemand musste es doch tun", meine ich leise.
Ich habe mein Handeln an diesem Abend noch nie als Heldentat betrachtet, eher als etwas ungemein Dummes und Gefährliches.
Und glücklicherweise habe ich es damit auch geschafft, Leben zu retten.
„Zeige mir eine Person, die es getan hätte, wenn du nicht gewesen wärst, Amari."
„Avi", antworte ich, nahezu automatisch, noch bevor mir sein Name in den Kopf kommt.
„Avi hätte es vielleicht versucht, aber er kannte sich nicht aus. Er konnte nur zusammen mit dir stark sein", sagt Mitch.
„Er sieht immer so aus, als würde er alles vertragen, alles können, aber bevor du gekommen bist, ist er... vertrocknet. Selbst Avi kann nicht alleine überleben", fügt Scott hinzu.
Hätte er eine andere Person in einem anderen Kontext mit einer verdurstenden Pflanze verglichen, hätte ich es wahrscheinlich lustig gefunden, doch ich habe selbst miterlebt, wie Avi neu aufgeblüht ist.
Nur hätte ich es nie mit mir in Verbindung gesetzt.
Ich bin versucht, etwas Ironisches zu sagen, um die Stimmung, um mich selbst aufzulockern, aber mein Kopf ist wie leergefegt.
„Wenn du wieder nach Amerika kommst, lehne Avis Angebot nicht ab, okay? Er würde es bestimmt lieben, Gesellschaft zu haben, sonst geht er wirklich ein", meint Scott sanft.
„Wahrscheinlich würdet ihr Beide eingehen. Ganz ehrlich, ihr braucht euch doch gegenseitig. Ich habe noch nie gesehen, dass sich zwei vollkommen Fremde von Anfang an so sehr unterstützen", ergänzt der Tenor.
Ohne eine Antwort abzuwarten, die sie heute sowieso nicht mehr bekommen hätten, denn mein Kopf streikt noch immer, ziehen sie mich einige Meter weiter auf eine Lichtung, welche ich noch nie gesehen habe.
Kevin und Kirstie pflücken weiter hinten auf der Wiese lachend Blumen, Esther breitet gerade eine Decke aus und im Schatten einer Weide mit zartgrünen Blättern bietet sich mir das wohl friedlichste Bild seit langem.
Avi sitzt dort, eine Ukulele in den Armen, die Haare offen über seinen Schultern, eine kleine, rote Blume im Haar, welche er wahrscheinlich seinen Kollegen zu verdanken hat.
Und er singt.
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Portrait (pausiert)
Fanfiction{Pentatonix Fan-Fiction} Die Tour von Pentatonix ist seit einigen Wochen vorbei, doch Amaris Fragen sind noch lange nicht geklärt, als sie in Deutschland im Krankenhaus aufwacht. Nachdem sie erfährt, wer die Anschläge begangen hat, flieht sie ein we...