15. Kapitel

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„Ich gestehe, wir sind ein wenig im Kreis gefahren", schmunzelt Avi.
Die Stelle, an welcher wir stehen, ist nur wenige Meter von der Lichtung entfernt, auf welcher mich Scott und Mitch überrascht haben.
Und doch habe ich nicht gemerkt, dass wir hier sind, weil ich natürlich nie einen längeren Weg gewählt habe, als wirklich nötig.
„Und wir haben dabei Kevin verloren", füge ich trocken hinzu.
„Ich hoffe, das macht dir nichts aus", grinst der Basssänger, doch aus seiner Stimme kann ich tatsächlich einen Hauch von Unsicherheit hören.
„Quatsch. Ich habe es ehrlich gesagt vermisst, mit dir im Wald zu sein. Es ist anstrengend, ein halbes Jahr im Krankenhaus zu verbringen", seufze ich.
„Das glaube ich gerne."
Avi legt einen Arm um meine Schultern.
„Was hast du die letzten Tage so mit Mitch und Scott getrieben?", fragt er dann.
„Sie haben mich sehr überzeugend dazu gebracht, ein Fotoshooting mit ihnen zu machen. Vorhin haben wir noch die Bilder aussortiert", antworte ich. „Die eigentliche Frage ist ja wohl eher, was du mit den anderen angestellt hast."
„Wir haben den Plan perfektioniert. Und wir dachten, dass wir dich mit Scott und Mitch am ehesten ablenken können, ohne, dass du etwas mitbekommst."
Avi grinst mich an, beinahe stolz, und für einen kurzen Moment möchte ich ihn einfach nur küssen.
Bis ich meinen Gedanken realisiere und mich selbst vor ihm erschrecke.
„Das hat funktioniert", meine ich, verwirrt davon, was in meinem Kopf vor sich geht.
Avi gluckst nur, bevor er mich sanft weiter schiebt, wobei ich angestrengt versuche, zu vergessen, was eben geschehen ist.
Und prompt über eine Wurzel stolpere.
Als ich auf meiner Hüfte lande, durchfährt mich ein stechender Schmerz, und ich muss mich stark zurückhalten, um nicht aufzuschreien.
Avi stürzt sofort zu mir und will mir beim Aufstehen helfen, doch als er sieht, wie ich mein Gesicht verziehe, lässt er sich erst mal neben mich sinken.
Der Schmerz lähmt meinen Körper, raubt mir den Atem, und lässt mich in einen dichten Nebel fallen.
Goodnight.
Die Kugel kommt auf mich zu, vom anderen Ende der Halle, und durchdringt meine Taille, Zentimeter für Millimeter für Mikrometer, und ich kann sie haargenau spüren, das kalte Metall, welches sich durch meinen Körper bohrt.
„Alles ist gut, Amari. Höre mir zu. Du bist nur hingefallen, es ist nichts passiert. Atme tief durch", dringt eine Stimme zu mir, und obwohl sie so beruhigend wirkt, so, als würde sie zu den Nebelschwaden gehören, lichtet sich nach einer Weile wieder alles um mich herum.
Der Schwindel legt sich, und mit ihm verschwinden die stechenden Kopfschmerzen, welche ich erst bemerke, als ich wieder klar denken kann.
Ich will mich aufsetzen, als ich sehe, dass ich liege, doch Avi hält mich zurück und besteht darauf, dass ich kurz auf dem Boden bleibe.
„Darf ich mir kurz deine Wunde anschauen?"
Erst nachdem ich genickt habe, realisiere ich, welche Wunde er meint - und wo sie liegt.
Doch lange kann ich nicht nachdenken, denn schon wenige Sekunden später trifft die Frühlingsluft auf meinen Bauch.
„Deine ist ja noch besser verheilt als meine", schmunzelt Avi, als er den Stoff meines T-Shirts wieder glättet.
Ich nicke nur.
Das Gefühl von Fingern auf meiner Narbe habe ich im Krankenhaus nie gemocht, doch die Berührung von Avi fühlt sich beinahe an wie ein Schmetterling, der nur zufällig die Stelle berührt, an der die Kugel in mich eingedrungen ist.
„Willst du dich hinsetzen?", fragt der Basssänger dann, und beinahe schüttele ich den Kopf, ich will einfach noch ein wenig neben ihm liegen bleiben, die hellgrünen, frischen Blätter über uns ansehen, doch ich weiß genau, dass ich ihm das nicht so sagen kann.
Als ich jedoch neben Avi sitze, stelle ich fest, dass das noch viel besser ist, der Sänger vertraut meinem Gleichgewichtssinn anscheinend nämlich immer noch nicht und zieht mich an sich, um mich zu stützen.
„Wir bringen den Plan durcheinander", murmele ich.
„Die Wurzel bringt den Plan durcheinander", korrigiert mich Avi und bringt mich zum Lachen.
Und dann kommen die Worte, welche er eben gesagt hat, doch noch richtig bei mir an.
„Wieso hast du auch eine Narbe?", frage ich.
„Weil du mein Engel bist", antwortet Avi mit einem leichten Lächeln und zieht mich noch ein bisschen näher.
„Erinnerst du dich an den Anschlag?", fragt er dann, so leise, als wäre es ein Geheimnis, etwas voller Gefahren.
Mein Nicken ist genauso versteckt, nur ein Hauch, doch ich bin mir sicher, dass er die Bewegung an seiner Schulter gespürt hat.
„Die Kugel, die dich getroffen hat, war wahrscheinlich für mich bestimmt. Aber sie hatte keinen Schwung mehr, nachdem..."
Der Basssänger verstummt, und mir wird wieder übel.
Nachdem sie durch meinen Körper gedrungen war.
„Und ich dachte, wir wären quitt mit dem Leben retten", gluckst Avi leise, als er bemerkt, dass ich seinen Satz selbst vervollständigt habe.

Portrait (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt