10. Kapitel

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Ich bekomme nicht viel davon mit, als Scott mich ins Wohnzimmer trägt, bin mit den Nerven am Ende, mehr ein Wrack als ein Mensch.
Zusammengerollt liege ich auf dem Sofa und schluchze, fühle mich einer Ohnmacht nahe, spüre kaum, wie Mitch mir durch die Haare streicht, wie Scott eine Decke über mich legt.
Ihre Stimmen vermischen sich, als sie leise anfangen, zu singen, sie wirken beinahe hypnotisierend, beruhigend, und nach einer Weile holen sie mich zurück.
Obwohl das Beben in mir verebbt ist, streicht Mitch noch eine Weile weiter durch meine Haare, während Scott Hallelujah singt.
Beinahe fangen die Tränen wieder an, auf den hellblauen Stoff unter mir zu tropfen, denn Scotts Stimme in Kombination mit diesem Lied ist unglaublich berührend.
„Wie wäre es, wenn wir uns irgendeinen kitschigen Film anschauen? Scott hat tausende auf seinem Laptop", schlägt Mitch dann leise vor.
„Für dich", meint Scott zu dem Tenor und bringt meine Mundwinkel zum Zucken.
Ich nicke, unsicher, ob meine Stimme nicht doch brechen würde, wenn ich etwas sagen würde.
„Unser Hotel ist gleich um die Ecke", sagt Mitch, weshalb ich Scotts Vorschlag, mich zu tragen, mit einem heiseren Lachen ablehne.
Der Blonde schließt hinter uns ab, die Erinnerungen ein, als wir die Wohnung verlassen.
Den Weg ins Zimmer der Beiden bestreiten wir schweigend.
Erst, als wir dort angekommen sind, wird Mitch wieder hellwach.
„Können wir irgendeinen Disneyfilm schauen? Ich habe viel zu lange nicht mehr Schneewittchen geschaut!"
„Amari darf entscheiden", hält Scott seinen Freund davon ab, in einem Monolog über Filme zu versinken.
„Schneewittchen hört sich gut an", sage ich grinsend, als ich Mitchs traurigen Blick sehe.
Mitch und ich schmeißen uns auf das Doppelbett, während Scott seinen Laptop hochfährt und sich dann auf meine andere Seite setzt.
Fast tut es mir leid, dass ich jetzt zwischen den Beiden sitze, doch ich beschwere mich nicht.
Sie geben mir das Gefühl, als wäre alles normal.
So normal es eben ist, zwischen zwei berühmten Sängern in einem Hotelzimmer zu sitzen und Schneewittchen zu schauen.

Schneewittchen war für mich noch nie ein besonderer Film, vielleicht ein guter, aber keiner, zu dem ich eine Bindung spüren würde.
Doch als ich ihn dieses Mal schaue, fühlt es sich ein wenig so an, als würde jemand meine Geschichte zu einem Märchen umgeschrieben haben.
„Man sollte das Amari und Pentatonix nennen, das würde viel besser passen", gluckst Mitch irgendwann ebenfalls.
Scott springt begeistert auf und fängt gemeinsam mit Mitch an, die Geschehnisse zu verknüpfen.
„Amari ist eindeutig Schneewittchen, und wir und Esther und Phips sind die Zwerge", sagt er.
„Sie ist weggerannt, weil der Typ sie umbringen wollte. Also, nicht der Jäger, sondern eben dieser Sicherheitsmann", meint Mitch.
Eigentlich sollten diese Worte wehtun, doch die kindische, spielerische und begeisterte Weise, auf die Mitch und Scott sie herüberbringen, lässt selbst mich grinsen.
„In Houston hat mir besagter Sicherheitsmann den giftigen Apfel gegeben, und ihr habt mich wieder aufgeweckt", ende ich und schaue Scömìche zufrieden an.
Doch die sehen gar nicht glücklich aus.
„Das ist kein so romantisches Ende", schmollt Mitch.
„Es kann nicht alles so sein wie in einem Märchen", seufze ich.
„Wieso nicht? Ich bin mir sicher, dass da draußen ein Prinz darauf wartet, dass du den richtigen giftigen Apfel erwischst. Und dann kommt er und küsst dich wach", grinst Scott.
Ich schüttele nur den Kopf und lasse mich gähnend in die Kissen fallen.
„Steht dein Angebot, dass du mich trägst, immer noch? Ich muss irgendwie nach Hause kommen", frage ich den Blonden.
„Kommt gar nicht in Frage. Du schläfst hier. Es ist schon fast zwei Uhr!"
Mitch springt protestierend auf.
„Quatsch, das geht schon", entgegne ich müde.
„Nichts da. Ich kann auf dem Sofa schlafen, dann hast du hier im Bett Platz."
Jetzt ist es Scott, der aufspringt, als er die Worte des Tenors hört.
„Auf gar keinen Fall. Wenn, dann schlafe ich auf dem Sofa. Du weißt genau, dass du davon Rückenschmerzen bekommst."
„Scott!"
Scott klettert über mich und bringt Mitch mit einem Kuss zum Schweigen.
„Oder ich schlafe auf dem Sofa", meine ich trocken, „Dann erwarte ich aber von euch, dass ihr nicht übereinander herfallt."
„Kommt gar nicht in Frage. Ich schlafe auf dem Sofa und meine beiden Königinnen teilen sich das Bett", meint Scott mit einem Grinsen, sichtlich zufrieden mit sich selbst.
Und so kommt es, dass ich keine zehn Minuten später tatsächlich neben Mitch liege und Scott zuhöre, der ein weiteres Mal leise Hallelujah singt.


Portrait (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt