14. Kapitel

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„Ich hab ihn schon gefunden", grinst Scott und zieht Avi näher zu uns.
„Ich bitte dich", sage ich und verdrehe die Augen, versuche, möglichst überzeugend auszusehen.
Ich weiß, wie sehr Avi es hasst, mit anderen Leuten verkuppelt zu werden.
„Wir sollten uns mal an unseren Plan halten, sonst war die ganze Arbeit umsonst."
Es überrascht mich, dass ich auch aus Esthers Stimme den beinahe alarmierten Unterton höre, hätte ich doch nicht gedacht, sie bereits so gut zu kennen.
Lucia klatscht in die Hände, sichtlich froh darüber, wieder mitreden zu können.
„Kevin und Avi werden dich jetzt entführen", kündigt sie an, woraufhin ich sie mit hochgezogenen Augenbrauen ansehe.
„Seit wann darf ich wissen, wenn ich entführt werde?", frage ich, doch als keine fünf Sekunden später ein Tuch meine Sicht versperrt, verstehe ich, was sie vorhaben.
Natürlich weiß Lucia, dass ich inzwischen jede noch so kleine Ecke von Frankfurt kenne, weil ich früher immer Orte gesucht habe, die zum Fotografieren geeignet waren.
Obwohl ich bezweifle, dass mich meine Blindheit daran hindern wird, die Stelle zu erkennen, an welche wir gehen, sage ich nichts und lasse sie im Glauben, dass ihr Plan grandios ist.
Was ich nicht anzweifeln will, denn Lucias Pläne sind eigentlich immer spektakulär, einzig und allein die Tatsache, dass sie es nie schafft, mich mit ihnen zu überraschen, schadet ihnen ein wenig.
Doch zusammen mit Pentatonix, die Meister darin sind, Leute zu überraschen, könnte es tatsächlich ein durch und durch perfekter Tag werden.
Sie lassen mir nicht viel Zeit, um nachzudenken, denn ich werde sofort aus dem Hotel geführt und von den Beiden in eine Unterhaltung verwickelt.
„Ich glaube langsam nicht mehr, dass ihr Menschen seid. Nach all dem, was passiert ist, müsstet ihr Engel sein", meint Kevin und bringt mich zum Lachen.
„Kevin!", bringt Avi seinen Freund dann jedoch zum Schweigen, und auf einmal werde ich misstrauisch.
Was ist passiert, von dem ich nichts weiß?
„Kann mich mal jemand aufklären?", frage ich.
„Dafür solltest du sitzen und in einer guten psychischen Verfassung sein", meint Avi trocken.
„Keine Angst, Lucia hat uns davon überzeugt, dass wir uns mal ernsthaft mit dir hinsetzen und alles, was bisher passiert ist, besprechen sollten."
Kevin gluckst leise.
„So wie ich Scott und Mitch kenne, muss ich mir sowieso nur ein paar ihrer Lieder anhören, um das herauszufinden", grinse ich.
„Das stimmt. Ich weiß nicht, wie uns nicht auffallen konnte, dass sie wirklich zusammen sind", sagt der Beatboxer.
„Wären sie mit Gesang nicht weitergekommen, hätten sie Schauspieler werden können", stimmt auch Avi uns zu.
„Schauspielerinnen", korrigiere ich ihn grinsend.
Darauf bekomme ich keine Antwort mehr, denn, entgegen meinen Erwartungen, laufen wir anscheinend nicht nur, sondern fahren sogar mit dem Zug.
„Wir dürfen jetzt leider nicht mehr mit dir sprechen, weil wir totale Geheimniskrämer sind", meint Kevin beinahe schon bedauernd, als sich die Türen hinter uns schließen.
Und so verbringen wir die restliche Fahrt schweigend.
Erst, als wir aussteigen müssen, dirigiert mich Avi mit wenigen Worten nach draußen.
Der Name des Bahnhofs hat mir nichts gesagt, und zum ersten Mal bei einer von Lucias Überraschungen steigt die Spannung tatsächlich unglaublich an.
Vielleicht auch, weil ich weiß, dass Pentatonix damit zu tun hat.
Und weil Avi seit Monaten wieder neben mir herläuft, als wäre nie etwas geschehen.

„Wieso darf ich nicht wissen, wo wir hingehen?", frage ich irgendwann, als ich die Stille nicht mehr aushalte, doch abgesehen von einem leisen Glucksen bekomme ich wieder keine Antwort.
Irgendwann verstummt der letzte Autolärm und ich spüre, wie der Boden unter meinen Füßen weicher wird.
Wir sind im Wald, an einer Stelle, die niemand so wirklich kennt, denn abgesehen von ein paar Tieren und dem Rauschen der Blätter höre ich nichts.
Fast muss ich mich zwingen, nicht zu überlegen, wo wir sein könnten, damit die Überraschung doch eine bleibt.
Doch als Avi vorsichtig den Knoten löst und mir das Tuch abnimmt, merke ich, dass es nicht darauf angekommen ist, wohin wir gehen.
Viel mehr war wichtig, dass ich nicht mitbekomme, wie Kevin verschwunden ist.

Portrait (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt