5. Kapitel

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„Ich kann das nicht machen", jammere ich.
Lucia ignoriert mich inzwischen und spricht nur dann mit mir, wenn ich schneller gehen oder rennen soll, damit wir die Straßenbahn erwischen und pünktlich am Studio ankommen.
Ich habe den größten Rucksack, den ich in unserer Wohnung gefunden habe, mit allen möglichen Dingen gepackt, die ich eventuell für das Shooting gebrauchen könnte.
Perücken, Make-Up, Sonnenbrillen, Schals, Glitzer und tausende andere Sachen stapeln sich darin.
Außerdem habe ich zwei verschiedene Kameras samt Ausrüstung dabei, wobei ich eine der Taschen Lucia gegeben habe, weil ich mich wie ein Packesel gefühlt habe.
Der Gedanke, Kamera und Rucksack einfach in der Bahn zu vergessen, ist schon lange verflogen, dafür war alles zu teuer, und ich hänge an meiner Ausrüstung, kenne sie viel zu gut, als dass ich sie jetzt aufgeben könnte.
„Irgendwann musst du doch wieder anfangen", seufzt Lucia, als wir aussteigen.
„Aber wieso muss das gleich ein richtiges Shooting sein? Und wieso ausgerechnet mit Mitch und Scott?"
Verzweifelt schaue ich sie an.
„Freue dich auf die Gelegenheit, Amari", sagt meine beste Freundin grinsend. „Du hast im Krankenhaus so viel Theorie gelernt, das kannst du jetzt gleich anwenden."
Ich antworte ihr nicht, sondern schaue sie nur mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Ja, ich bewundere die Stile der anderen Fotografen, und ich will sie irgendwann mal ausprobieren, aber keines der Bilder, die ich im letzten halben Jahr gesehen habe, hat meinen Ansprüchen, meinem eigenen Stil, entsprochen. Und schon gar nicht dem Stil von Scömìche.
„Mitch und Scott werden dich nicht verurteilen, wenn die Fotos nicht perfekt werden. Genug Geld für andere Studios haben sie ja", meint Lucia glucksend.
„Außerdem sind sie die liebenswürdigsten Wesen im Universum", nicke ich, fast, um mir das selbst zu versichern.
In Gedanken füge ich wenig später noch Avi, Kevin, Kirstie, Esther, Phips und Lucia hinzu.
Als ich kurze Zeit später sanft von Lucia in eine Einfahrt geschoben werde, schlägt mein Herz allerdings doch schneller als gewöhnlich.
Scömìche erwartet uns schon im großen, hellen Studio.
„Da kommt unsere Meisterfotografin!", ruft Scott grinsend und kommt auf uns zu, um uns zu umarmen.
„Unsere nervöse Meisterfotografin, die jammert, seit ich sie abgeholt habe", korrigiert Lucia ihn und verdreht die Augen.
Ich lächele schief und wohl wenig überzeugend, denn Mitch kommt jetzt ebenfalls auf mich zu und drückt mich.
„Du musst dir keine Gedanken darüber machen, wie die Fotos werden. Sieh es als lustige Party mit deinen besten Freunden", grinst er.
Wie um Mitchs Aussage zu bestärken schnappt sich Scott sein Handy und tippt kurz etwas ein, woraufhin aus einer kleinen Box ein Lied ertönt.
„Come on, come on", steigt Mitch nach ein paar Zeilen ein und zieht mich näher an die Wand, vor der schon alles aufgebaut ist, was das Herz begehrt. Nur noch meine Kamera fehlt.
Seufzend gebe ich nach und werfe meinen Rucksack und eine Kamera in die Ecke.
Erst will ich einfach ein paar Probefotos machen, die Kamera und das Licht einstellen, mich wieder an das Gefühl gewöhnen, Momente einzufangen.
Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen als ich Mitch und Scott vor die Kamera schicke, ihnen sage, dass ich kurz noch ein paar Einstellungen ändern muss, sie sich aber schon mal warm machen sollen.
Etwas an der Methode erinnert mich an den Tag, an dem ich Phips im Aufnahmestudio fotografiert habe, ohne, dass sie es geahnt hat, ohne, dass sie wirklich bereit war.
Und so lege ich einfach wieder los, möglichst unauffällig, bis ich den offiziellen Start nicht mehr länger herauszögern kann.
„Okay. Was für Bilder braucht ihr denn?"
„Hübsche", grinst Mitch.
„Das wird einfach, wenn ihr drauf seid."
Der trockene Kommentar meiner besten Freundin bringt mich zum Lachen.
Sie hat eindeutig verstanden, worum es hier geht.
„Ich brauche unbedingt wieder ein paar Fotos für Instagram und Profilbilder im allgemeinen", seufzt der Tenor.
„Ja, einfach irgendwas, was man posten kann. Und unter das man geheime Botschaften schreiben kann."
Scotts Grinsen verrät, dass es nicht das erste Mal wäre, dass sie heimlich Hinweise auf die unterschiedlichsten Dinge geben.
„Bad 4 Us war so schön Scömìche, aber niemand hat wirklich darauf reagiert", sagt Mitch beinahe traurig.
„Wie auch immer", meine ich und scheuche die Beiden zurück vor meine Kamera, „Wir fangen mal an und schauen, was dabei entsteht."
Wenige Sekunden später weiß ich genau, was das hier ergeben wird.
Tausende Fotos, die Scömìche beweisen.

Portrait (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt