Zweiundfünfzig

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Schon seit vier Tagen bin ich in Denver. Der Todestag meiner Mutter ist morgen, um genau zu sein in ein paar Stunden, denn dann ist es Mitternacht.

Ich kann mich noch vage daran erinnern, wie meine Mutter mir zu meinem sechsten Geburtstag die leckerste Torte auf der ganzen Welt gemacht hat. Eine Schwarzwälder Kirschtorte. Sie war so lecker, dass ich ihr gesagt habe, dass ich diese Torte zu jedem Geburtstag von ihr gemacht bekommen will. Mit einem 'Natürlich mein Schatz, für dich doch Alles', hatte sie mir damals geantwortet. Leider konnte sie meinen nächsten Geburtstag keine Torte mehr machen, denn da war sie schon halbtot im Krankenhaus gelegen.

Trotzdem habe ich eine leckere Schwarzwälder Kirschtorte bekommen, zwar nicht von ihr gemacht, aber diese hat's auch getan. Bei der Erinnerung meiner Mutter in dem himmelblauen Kilt und den ganzen Schläuchen, kommen mir die Tränen.

Sie war so eine starke Frau und ich hätte alles getan, um sie vor dem Tod zu bewahren, doch das Schicksal wollte es so. Und das Schicksal bekommt immer was es will. Scheiß Schicksal!

Später als es dann zu Mitternachtsstunde geschlagen hatte, hat mein Dad die Schwarzwälder Kirschtorte ins Krankenzimmer meiner Mom gebracht und wir haben gesungen und gelacht. Bei dieser wunderschönen Erinnerung ziert ein trauriges Lächeln mein von Tränen durchströmtes Gesicht.

Das war der letzte wirklich schöne Moment in meiner Familie. Knapp ein Jahr später ist sie gestorben und wurde von ihren unendlichen Qualen befreit. Ein wundervoller Mensch hat diese Erde verlassen und eine todtraurige gebrochene siebenjährige Tochter hinterlassen. Was für ein Schicksalsschlag mitten ins Gesicht.

In schönen und gleichzeitig traurigen Erinnerungen schwelgend, fahre ich mit dem Mietwagen, den ich, als ich hier angekommen bin, gleich gemietet habe, zum Friedhof.

Wie jedes Jahr verbringe ich dort die ganze Nacht und den ganzen Tag.

Durch die ganzen Grabsteine hindurch gehend, finde ich wie auf anhieb das meiner Mutter.

Marissa Sophia Collister.

Geliebte Ehefrau, Freundin und Mutter.

05. Februar.1967 - 26. Juni 2000

Ja, meine Mutter ist mit jungen 33 Jahren von uns gegangen. Sie hätte noch so viel erleben können...

"Hey Mom", begrüße ich sie und lasse meine Finger ihren Grabstein entlang gleiten. "Ich vermisse dich..." Ein paar Tränen fließen sachte über meine Wangen, die ich schnell mit dem Ärmel meiner Jacke wegwische.

Ich setze mich vor ihrem Grab hin. "Ich hab dir viel zu erzählen." Ich weiß, es ist komisch mit einem Stein zu reden, aber ich glaube fest daran, dass sie mir vom Himmel aus zuhört.

"Es ist so einiges in diesem Jahr passiert", fange ich an.

"Also zuerst einmal, solltest du wissen, dass ich schwanger bin", ich halte kurz inne, schaue auf meinen noch flachen Bauch und streichle ihn. Ein sanftes Lächeln umspielt meine Lippen, bei dem Gedanken einen wunderschönen kleinen Dylan in mir zu tragen.

"Er heißt Dylan", wende ich mich wieder dem sauber gemeißelten Grabstein meiner Mutter zu.

"Ich meine den Vater, sein Name ist Dylan und er ist echt ein toller Mensch. Keine Sorge, Mom. Er ist nicht von hier, er nimmt weder Drogen, noch trinkt er Alkohol. Zumindest glaube ich das, denn einmal auf einer Party bei ihm zuhause, hat er gemeint, dass er nicht trinkt. Ein anderes Mal, ist er in die Bar, in der ich arbeite, vorbeigekommen und wollte einen doppelten Whiskey, den er letztendlich doch nicht getrunken hat, denn er ist wütend aus der Bar geschnellt.

Ach ja und ich arbeite jetzt in einer Bar. Aber keine Angst, seit der Entzugsklinik habe ich es mit dem Trinken nicht zu übertrieben. Ja, hin und wieder habe ich das ein oder andere Gläschen mehr getrunken, aber ab jetzt ist Schluss damit, denn ich trage ein Leben in mir, dass ich nicht mit meinem Mangel an Kontrolle vergiften will." Wieder lege ich meine Hand auf den Bauch und lasse sie dort verweilen, während ich weiterrede.

JoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt