Sechsundsiebzig

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Nach mehreren "Bleibt stark", "Verzweifelt nicht" und weitere solcher leeren Phrasen gehen Twyla und Reece wieder. Die beiden sind bis zum Ende der Besucherzeit geblieben und wurden dann von der entnervten Krankenschwester rausgeschmissen. Dylan und ich dürfen natürlich bleiben, so wie die Tage davor.

Die Zeit mit denen hat Avery anscheinend echt gut getan. Sie haben gelacht und Witze erzählt, Reece hat von 'guten alten Zeiten' gesprochen und ich war heilfroh, als er unsere Nacht nicht erwähnt hat. Obwohl Avery natürlich davon weiß, wäre es trotzdem nicht gut für ihn es zu erwähnen, da es ihn sehr zusetzt, das von mir und Reece.

Twyla ist sehr speziell mit Reece umgegangen und war wegen jedem Wort, das aus seinem Mund kam gereizt. Keine Ahnung was zwischen den beiden passiert ist, aber es muss etwas schlimmes gewesen sein, dass sie ihn zur Zeit so sehr zu hassen scheint.

"Hast du Hunger?", flüstert Dylan, da Avery vor ein paar Minuten eingeschlafen ist. Schweigend nicke ich.

"Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll", gestehe ich ihm, während wir lausige Sandwiches essen.

"Mit was genau?" "Mit Allem: Avery's Krankheit, dem Kind, das ich in mir trage... Einfach mit Allem."

"Das können wir nun mal nicht ändern. Und wegen dem Kind, ich habe dir bereits gesagt, dass ich dir vollkommen zur Seite stehen werde und dir mit Allem helfe."

Mir steigen abermals die Tränen in die Augen. "Wir könnten, mit einer Chemo-", er unterbricht mich sofort.

"Joy, er will keine. Bitte lass uns dieses Thema ein für alle mal beenden." Dylan legt sein Sandwich auf's Teller, als ob ihm der Appetit vergangen wäre. Auch mir ist der Appetit vergangen, obwohl ich nicht mal die Hälfte gegessen habe.

"Du sollest bald zum Arzt gehen, wegen einer Ultraschalluntersuchung", lenkt er vom Thema ab. "Lass uns am besten morgen anrufen und einen Termin machen, damit Avery sein Kind wenigsten auf einem Sonarbild sehen kann." Bei seinem Satz zieht sich meine Brust zusammen.

Er merkt das auch und legt seine Hand über meine. "Tut mir Leid", entschuldigt er sich zwar, nimmt es aber nicht zurück. Obwohl ich weiß, dass er recht hat, treffen mich seine Worte trotzdem sehr hart.

Wieder zurück in Avery's Zimmer, setze ich mich auf den Stuhl und nehme seine Hand in meine. Ich schmiege sie an meine Wange und küsse sie dann zärtlich, sodass er nicht aufwacht.

-

"Dylan", ruft Avery seinen Bruder, als dieser gerade zur Tür reinkommt. Dylan hat uns was vom Restaurant von gegenüber mitgebracht, damit Avery und auch wir uns nicht mehr diesen kaum geniessbaren Krankenhausfrass antun müssen.

Als er am Bett ankommt, nimmt Avery Dylan's Hand in seine und meine in die andere Hand. Er sieht mich traurig, aber doch mit einem leichten Lächeln, an.

"Joy, mein Baby. Kaum habe ich deine Liebe, verliere ich dich." Mit Tränen, die mir meine Wangen runterkullern, schüttle ich den Kopf. "Du verlierst mich nicht. Ich liebe dich", versichere ich ihm und drücke ihm einen Kuss auf den Mund. Er erwidert das 'Ich liebe dich' und sieht Dylan an.

"Liebster Bruder, ich vertraue dir hier die Liebe meines Lebens und unser Kind an. Gib acht auf Joy und beschütze das Kind, das sie in ihrem Bauch trägt, als wäre es dein eigenes", er lässt meine Hand los und legt sie auf meinen Bauch, während er mir sanft zulächelt.

"Dieses Kind-", fängt er an, wird jedoch von einem Huster unterbrochen. "Ich möchte, dass du mit Joy dieses Kind aufzieht und es als dein eigenes ansiehst." Ich schüttle ungläubig den Kopf und schluchze, doch er fährt fort.

"Wenn der oder die Kleine irgendwann mal fragt, wer der heiße Typ neben seinem Vater auf den Bildern ist, dann sagt es ihr oder ihm nicht. Ich werde Onkel Ave sein, der seiner Nichte oder seinem Neffen von oben beschattet und beschützt."

"Als würdest du jemals in den Himmel kommen", witzelt Dylan mit Tränen in den Augen und einem aufgesetzten Lächeln, während ich ihm gegenüber auf der anderen Bettseite stehe und kein Wort rausbekomme.

Avery fängt an zu lachen und Dylan stimmt mit ein. Ich jedoch weine nur noch heftiger, als Avery mich zu sich ins Bett zieht und ich mich an seine Brust gekuschelt habe.

JoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt