Kapitel 7

499 9 0
                                    

--- Harry POV ---

„Sie soll bei uns bleiben?", fragte Louis mich argwöhnisch. Ich nickte. Wir konnten dieses Mädchen nicht töten. „Das heißt, sie muss uns vertrauen, damit sie nicht zur Polizei rennt?"

Ich nickte ein weiteres Mal: „Sie ist einfach nur ein Mädchen, dass zur falschen Zeit am falschen Ort war. Wenn wir sie so behandeln, wie ein ganz normales 17-jähriges Mädchen, dann wird sie mit der Zeit wieder aus ihrem Schneckenhaus raus kommen. Ich meine natürlich nicht, dass wir ihr einfach so vertrauen können. Wir müssen unsere Handys immer bei uns tragen und sie nicht aus den Augen lassen, die Tür muss abgeschlossen sein. Ebenso, wie die Fenster. Noch können wir ihr nicht vertrauen. Aber hoffentlich bald."

Alle schienen einverstanden. Es war jedem lieber, als einen Menschen zu töten. Dafür waren wir nicht die Typen. Entführer, ja. Mörder, nein. Wir brauchten das Geld. Wirklich. Es war nicht so, dass wir vollkommen arm waren, aber dennoch waren wir sicher nicht wohlhabend. Zayn sorgte nebenbei noch für deine Schwester und seine Mutter und Liam wollte endlich aus den Showkämpfen raus, die er machte, um Geld zu verdienen. Wir anderen wollten, wie Liam, einfach nur aus diesem Viertel raus. Voller Drogengeschäfte, Straßenkämpfe, Mord und teilweise auch Menschenhandel. Wir hatten keine Lust mehr auf diese Art Einfluss und deshalb hatten wir uns gedacht, dass es ja nur ein einziges Mal war. Nur eine Person, die wir entführen würden, nur eine Person, für die wir Lösegeld wollten.

Ich konnte nicht glauben, dass es so furchtbar schiefgegangen war. Wir hatten geplant! Monate lang hatten wir geplant und alles ausgeklügelt.

„Wie konnte es sein, dass ich sie verwechselt habe? Sie sehen genau gleich aus!", sprach Liam die Gedanken aus. „Wie kann das sein?"

„Manche Leute sehen sich eben ähnlich. Es ist nicht deine Schuld", beruhigte ihn Zayn und klopfte ihm auf die Schultern.

„Ich nehme ihr die Fesseln und die Kopfhörer ab. Die Augenbinde. Ich denke, dass nur einer dabei sein sollte, sonst ist sie vielleicht etwas überfordert", meinte ich und schluckte. Ich wollte es eigentlich gar nicht machen, aber ich war der einzige, mit dem sie bereits Kontakt hatte. Vielleicht sollte ich mich bei der Gelegenheit auch dafür entschuldigen, dass ich sie geschlagen hatte.

Die anderen nickten mir zu und verließen das Zimmer. Mein Herz raste. Ich schloss die Haustür noch einmal sicherheitshalber ab und versteckte den Schlüssel auf einer Anhöhe, wo sie niemals herankommen konnte. Dafür wäre sie viel zu klein. Vorsichtig lief ich zu ihr und nahm ihre Kopfhörer ab.


--- Harry POV Ende ---


Mir wurden die Kopfhörer abgenommen. Jetzt würden sie mich umbringen. Ich wusste es. Sie würden mich töten und meine Leiche irgendwo verscharren. Ob man mich im Wald wiederfinden würde? Oder in einem Fluss? Wo genau wollte ich mir gar nicht vorstellen.

Ängstlich begann ich zu wimmern. Ich wollte noch nicht sterben. Ich war 17 Jahre alt und die meiste Zeit meines Lebens war grauenvoll gewesen. Mit meiner Mutter hatte ich nur noch Stress seit mein Vater uns für eine andere Frau im Stich gelassen hatte, in der Schule war ich zwar gut, war aber auch der totale Außenseiter und Stella war meine einzige Freundin, mit der ich mich aber auch nicht sehr oft treffen konnte, weil sie, im Gegensatz zu mir, viele Freunde hatte, die aber nichts mit mir zu tun haben wollten. Ich hatte Depressionen gehabt, Essstörungen und es war gerade mal wieder etwas besser geworden. Doch jetzt war ich hier und sie würden mich töten.

Mach doch was! Versuch wegzurennen. Befrei dich! Versuch es doch wenigstens!

Meine innere Stimme jammerte weinerlich vor sich hin. Das war doch nicht möglich. Das hier war real, verdammt! Aber trotzdem versuchte ich die Fesseln abzuschütteln. Hilflos wand ich mich und versuchte die Hand loszuwerden, die mir sanft über die Wange strich.

„Keine Sorge. Ich tue dir nicht weh. Weißt du noch? Ich habe dir gestern geholfen. Und jetzt tue ich das auch", versuchte mich die Stimme zu beruhigen, die auch gerade schon vor mir gesessen hatte. Er hatte mich gestern geschlagen und gerade, ebenso, wie er jetzt wahrscheinlich auch nicht davor zurückschrecken würde, dass zu tun.

„Bitte beruhige sich", flehte die Stimme und strich mir über den Kopf. „Ich tue dir nichts. Ich nehme dir jetzt alle fesseln ab. Sei leise. Bitte. Nicht schreien, okay?"

Ohne auf eine Antwort zu warten, nahm er mir den Knebel aus dem Mund. Ich hustete leicht. Mein Mund tat weh. Dann wurden mir die Fesseln an den Beinen weggenommen.
Als mir die Fesseln an den Handgelenken weggenommen wurden, spürte ich endlich, wie der Druck darauf verschwand. Die Hände waren etwas rau. Nicht schwielig, aber rau. Wie die Hände eines hart arbeitenden Menschen. Es fühlte sich eigentlich ganz angenehm an.

Was dankst du dir denn da? Das sind deine verdammten Entführer! Du solltest warten, bis du frei bist und dann rennen!

Das war eine gute Idee! Nervös wartete ich. Das einzige was mich jetzt noch von der Flucht abhielt, war die Augenbinde. Er musste sie wegnehmen. Ich konnte es nicht selbst tun. Das würde ihn auf meinen Plan aufmerksam machen.

„Ich nehme dir jetzt die Augenbinde ab. In Ordnung?", die Stimme war nur noch leise. Er flüsterte. Ich nickte vorsichtig und kniff meine Augen zusammen. Mein Herz pochte schnell und nahezu ununterbrochen vor sich hin.

Wollte er mir wirklich nichts tun? Oder wollte er, dass ich ihm in die Augen sah, wenn er mich tötete?

Vorsichtig wurde der Knoten meiner Augenbinde hinter meinem Kopf geöffnet und der Stoff glitt von meinem Gesicht.

Ich öffnete meine Augen nicht. Schwer schluckte ich. Ich hatte Angst, dem Mann vor mir in die Augen zu sehen. Wie sah er aus? Wie ein typischer Schläger?

„Du musst schon deine Augen öffnen", ich konnte hören, dass die Stimme mir gegenüber leicht amüsiert klang, auch wenn es nur ein Hauch war. Es war kein lustiges Thema. Das war mir klar.

„Wie heißt du?", wisperte ich und senkte meinen Kopf mit den geschlossenen Augen auf den Boden.

Ist das so wichtig? Du haust gleich eh ab.

„Harry."

Ich nickte leicht und versuchte die Augen zu öffnen. Aber es war zu hell. Keuchend schloss ich sie wieder und hielt mir die Hände vor die Augen: „Es ist so hell."

Ich spürte, wie Harry aufstand. Dann ein Klicken und ich konnte, obwohl meine Augen zu waren, sehen, dass es dunkler wurde. Wieder versuchte ich meine Augen zu öffnen und dieses mal gelang es mir blinzelnd. Ich hielt mir immer noch die Hände vor die Augen. Es war dunkel, wodurch es mir leicht fiel, meine Augen aufzubehalten.

Plötzlich fühlte ich, wie sich zwei Hände um meine Armgelenke schlossen und meine Hände von meinen Augen wegdrückten. Vorsichtig sah ich zu meinem Entführer und was ich sah, verschlug mir die Sprache. Dieser Junge war ganz sicher nicht um die 30 Jahre alt, wie ich geschätzt hatte. Dunkle, gelockte Haare, die ihm bis etwas über die Ohren gingen, hingen ihm ins Gesicht. Seine Lippen waren relativ dünn, rot und zu einem schmalen Lächeln verzogen. Seine Augen waren grün-grau und leuchteten.

Ich schluckte schwer. Er sah so gut aus.

Du starrst! Und zwar so was von! Na toll. Er sieht gut aus. Das tun viele Jungs. Jetzt zisch endlich hier ab!

Aber ich konnte nicht. Ich konnte mich einfach nicht von dem Gesicht lösen. Das Lächeln des Jungen wurde breiter.

„Du bist Lacy. Nicht wahr?", wollte Harry wissen und ich nickte leicht. Das war doch mein Name, oder? Ich war so verwirrt. Diesen Jungen hatte ich mir nicht vorgestellt. Er sah nicht aus, wie ein Entführer. Er erschien einfach viel zu nett.

„Ich nehme an, dass du dich vielleicht etwas frisch machen willst?", er deutete auf eine Tür. „Da ist das Bad."

Ich nickte ein weiteres mal und versuchte aufzustehen, schwankte aber sofort. Ich war gerade dabei zu stürzen, als sich Harry's Arm um meine Hüfte schloss, um mich zu stützen. Augenblicklich schubste ich ihn von mir weg und hielt mich an der Wand fest. Auch wenn er mir nicht ganz so unsympathisch war, wie der alte Mann, der nach Schweiß roch und junge Mädchen entführte, den ich mir eigentlich vorgestellt hatte, wollte ich nicht, dass er mich anrührte.

„Entschuldigung", murmelte Harry peinlich berührt, und legte dann aber trotzdem seine Hand wieder sanft auf meinen Rücken. „Da vorne ist das Bad."
Ich nickte leicht und ließ mich von ihm führen. Im Bad langte er an einen Schalter an der Wand und ließ dadurch das Licht anschnippen. Wieder begannen meine Lider, wie verrückt zu blinzeln, um sich ein wenig an die Helligkeit zu gewöhnen.
„Da vorne liegen Handtücher. Wir haben kein Frauenshampoo oder so, aber du kannst meins benutzen. Zahnbürsten findest du da im Schrank. Die Zahnpasta steht da", er zeigte auf alles und ich nickte erneut. „Ich lass dich dann mal alleine."

Damit verließ er den Raum und ich war zum ersten Mal seit einiger Zeit wieder wirklich alleine.



VertauschtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt