Teil I - Kapitel 2

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Kapitel 2

Der nächste Morgen fand Johann zurück im Lagerraum der ‚Agnes', die Wachstafel und den Stilus wieder in den Händen.

Gut die Hälfte des Lagerraums war bereits mit Waren gefüllt und es sah ganz danach aus, als würden sie rechtzeitig mit dem Beladen fertig werden, um am nächsten Morgen wie geplant in See stechen zu können, wenn ihnen die Winde hold waren.

Gewissenhaft überprüfte er die Ladung, die von der Besatzung der ‚Agnes' und angeheuerten Hafenarbeitern in den Lagerraum gebracht wurde. Dabei musste er sich beim Verstauen der Fässer, Säcke und Kisten auf die Erfahrung der Seeleute verlassen, die die Ladung so platzierten und vertäuten, dass sie nicht nur vor Rutschen sicher war, sondern sich auch da Gewicht einigermaßen gleichmäßig verteilte. Johann hatte keine Ahnung vom fachgerechten Verstauen der Ware und war ganz froh darüber, dass er sich nicht darum kümmern musste. Überhaupt versuchte er nach besten Kräften, den Männern aus dem Weg zu gehen. Er hatte noch immer das ungute Gefühl, dass sie hinter seinem Rücken über ihn schmunzelten und das behagte ihm ganz und gar nicht. So hielt er den Kopf meist über seine Wachstafel gebeugt und beäugte die ankommende Ware, ohne den jeweiligen Träger anzusehen. Bisher hatte auch noch keiner der Träger das Wort an ihn gerichtet und so war Johann nicht wenig überrascht, als er plötzlich angesprochen wurde.

„Ich habe gehört, dass du uns auf der Fahrt nach Bergen begleiten wirst."

Johann sah von seiner Wachstafel auf, wünschte sich aber schon im nächsten Moment, es nicht getan zu habe, als er sah, wer ungezwungen mit verschränkten Armen an der Wand des Lagerraumes lehnte, einen Getreidesack zu seinen Füßen. Die Umstände seines unvorteilhaften Sturzes vom gestrigen Tag waren Johann noch gut im Gedächtnis und gegen seinen Willen stieg ihm erneut die Hitze in die Wangen. Er redete sich ein, dass seine Wut auf diesen Morten der Grund dafür war, der ihn, wie er fand, genau wie am gestrigen Tag unverschämt angrinste und damit das Blut in Johann zum Kochen brachte. Wachstafel und Stilus fest umklammert reckte Johann trotzig das Kinn in die Höhe.

„Und wenn schon? Immerhin gehören sowohl Schiff als auch Ladung meinem Vater."

Beinahe gutmütig schüttelte Morten den Kopf.

„Das Lebe an Bord ist hart und rau. Es taugt nicht für Stubenhocker."

Morten zeigte seine Hände.

„Siehst du die Schwielen? Ich wette, deine Hände sind weich wie Frauenhände, weil sie in ihrem ganzen Leben noch nie harte Arbeit verrichten mussten."

Johann widerstand der Versuchung, seine Hände hinter seinem Rücken verstecken zu wollen, denn erneut fühlte er sich von diesem Morten ertappt. Seine Hände waren tatsächlich weich und wenn sie Schwielen hatten, dann nur durch das Halten und Führen des Stilus. Doch das wollte er diesem Morten gegenüber auf keinem Fall zugeben. Und so flüchtete er sich auf den einzigen Boden, den er meinte halbwegs beherrschen zu können – den kaufmännischen Boden.

„Ich bin sicher, dass mein Vater dich nicht für das Herumstehen bezahlt."

Er sah, wie sich die Miene des anderen bei diesen Worten verdunkelte. Offensichtlich hatte Morten die unausgesprochene Drohung in seinen Worten verstanden. Ein neuer Seemann war schnell angeheuert. Draußen am Kai standen sie Schlange.

Langsam und bedächtig hob Morten den zu seinen Füßen liegenden Getreidesack auf und trug ihn die wenigen Schritte zu Johann, bis er dicht vor ihm stand, so dicht, dass Johann alle Willenskraft aufbieten musste, um nicht zurück zu weichen. Er konnte die kurzen Bartstoppeln auf Mortens Kinn und Wangen erkennen. Die blauen Augen funkelten ihn ärgerlich an. Dann ließ Morten den Getreidesack zu Boden fallen – Johann auf die Füße. Der Sack war prall gefüllt und schwer und Johann zuckte vor Schreck und Schmerz zusammen.

„Du magst mit dem Geld deines Vaters prahlen, so viel zu willst. Aber ich bin ein freier Mann und niemandes Eigentum. Du kannst mich weder kaufen noch erpressen. Merke dir das."

Dann drehte Morten sich um und ging mit großen Schritten davon.

Johann blieb sprachlos zurück. Er rollte den schweren Sack von seinen schmerzenden Füßen und biss die Zähne zusammen. Langsam aber sicher wich die Überraschung der Wut. Er nahm sich vor, sich bei seinem Vater und Schiffer Petters über diesen Morten zu beschweren. Er würde mit allen Mitteln verhindern, dass dieser ungehobelte, offensichtlich gewaltbereite Kerl auf demselben Schiff fuhr wie er selbst. Sein Vater würde sicherlich nicht dulden, dass Teile der Mannschaft ihn verspotteten oder sogar misshandelten. Sein Vater würde schon dafür sorgen, dass alles wieder ins Lot kam, so wie er bisher immer dafür gesorgt hatte. Gleich nachdem er die ordnungsgemäße Beladung des Schiffes abgeschlossen hatte, würde er mit seinem Vater dieses Problem besprechen und dabei zusehen, wie dieser es für ihn aus der Welt schaffen würde.

Und mit diesem beruhigenden Gefühl widmete er sich wieder seiner Wachstafel.

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