Teil I - Kapitel 8

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Kapitel 8

Morten, Fedder und Harro blieben gerade lange genug an Bord der ‚Agnes', um die Vorräte im Laderaum zu verstauen. Dann machten sie sich auf den Weg zur nächstgelegenen Hafenkneipe, um den freien Abend an Land so gut und ausgiebig wie möglich zu nutzen.

Es war Fedder gewesen, der Johann gefragt hatte, ob er sich ihnen anschließen wolle und obwohl Morten genau gesehen hatte, dass Johann der Gedanke an eine zwielichtige Spelunke nervös gemacht hatte, hatte er doch auch die Neugier in Johanns Gesicht ausmachen können. Die Neugier hatte schließlich die Oberhand behalten und so war es gekommen, dass sie erneut zu viert von Bord gegangen waren.

Die nächste Kneipe war nicht allzu weit in einer verwinkelten Gasse Dragørs und als sie die Tür zum Schankraum öffneten, sah Morten ohne Verwunderung, dass sich die halbe Mannschaft dort drängte.

Im Wirtsraum war es schummrig, obwohl die Sonne draußen noch nicht unter gegangen war. Aber die Fenster waren nur klein und mit verschmutzten Tierhäuten verhangen, die nur wenig Licht in die Spelunke ließen. Der Wirtsraum selbst wurde von Kerzen erhellt, deren Ruß über die Jahre das Holz der Decke, der Wände und der grob behauenen Tische und Bänke schwarz gefärbt hatten. Es roch nach Fett und Fisch und verschüttetem Bier, nach den Ausdünstungen vieler Menschen und nach Ruß und Rauch. Es war laut – ein wildes Durcheinander von Stimmen, Gelächter und Gegröle, Streitgesprächen und Gesängen.

Wie für die meisten Seemänner gehörten auch für Morten Spelunken wie diese zu seinem Leben dazu wie salzige Luft und der Geruch nach Tang. Er fühlte sich dort wohl, mochte den groben, ungezwungenen Umgang und die Möglichkeiten, sich durch Bier, Spiel und Gesang von den Mühen und Entbehrungen an Bord eines Schiffes abzulenken.

Doch Johann musste eine solche Spelunke wie ein Pfuhl aus einer vollkommen anderen Welt vorkommen. Morten drehte so unauffällig wie möglich den Kopf in Johanns Richtung, der seitlich hinter ihm stand und konnte sich das Grinsen kaum verkneifen, als er Johanns erstaunt-entsetztes Gesicht sah. In diesem Moment kreuzten sich ihre Blicke und Morten konnte erkennen, wie sich Johanns Gesichtsausdruck veränderte, entschlossen wurde und Johann tapfer einen weiteren Schritt in die Spelunke hinein machte, offenbar nicht gewillt, kampflos das Weite zu suchen und Morten gegenüber eine Schwäche zu zeigen.

Morten hielt Harro an seiner Seite, als er sich mit Fedder und Johann zu den übrigen Männern der Mannschaft setzte. Er landete Johann gegenüber, der sich neben Fedder gesetzt hatte. Harro saß neben ihm und sah sich ebenso staunend wie Johann in dem kleinen, dämmrigen Raum um.

Morten winkte dem Schankwirt zu, um auf sich aufmerksam zu machen und bestellte gegen den allgemeinen Lärm anbrüllend vier Bier und vier Essen. Es dauerte nicht lange, bis der Wirt die Bestellung an den Tisch brachte und vor Fedder, Johann, Harro und ihn selbst vier volle Humpen und vier gefüllte Teller hinstellte. Das Essen bestand aus Hering, gedünsteten Zwiebeln und Brot und sah durchaus annehmbar aus. Zufrieden nahm Morten einen großen Schluck aus seinem randvoll gefüllten Humpen. Dabei begegnete er Johanns verwunderten Blick, der offensichtlich nicht damit gerechnet hatte, dass er ihn bei seiner Bestellung berücksichtigen würde. Er schenkte Johann über den Rand seines Bierkruges hinweg ein schiefes Grinsen und ein Schulterzucken, bevor er noch einen Schluck nahm. Johanns Antwort war ein zögerliches Nicken.

Mit Appetit begann Morten dann seinen Fisch, die Zwiebeln und das Brot zu essen, bis seine Finger vom Fett glänzten und nichts weiter als die Fischgräten mehr auf seinem Teller lagen. Das Essen war tatsächlich erstaunlich gut gewesen und satt und zufrieden schob er den Teller schließlich beiseite, wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes über den Mund und putzte sich seine Finger unter dem Tisch an seinen Beinlingen ab, die er sowieso bald wieder einmal würde reinigen müssen.

Sein Blick fiel dabei auf Johanns Teller, der noch immer zur Hälfte gefüllt war und mit wachsender Belustigung beobachtete er, wie Johann sich mit spitzen Fingern und vor Konzentration gefurchter Stirn bemühte, sich beim Auseinandernehmen des Fisches dem Fett nicht mehr als nötig auszusetzen. Johann schien seine Blicke bemerkt zu haben, denn er sah auf und seine Augen verengten sich angesichts Mortens Spott, der ihm deutlich anzusehen sein musste, sofort.

Und wieder überraschte ihn Johann, als dieser über seinen Schatten zu springen schien und begann, den restlichen Fisch unter dem vollen Einsatz seiner beiden Hände zu zerlegen und sich die einzelnen Stücke in den Mund zu schieben. In kürzester Zeit glänzten Johanns Hände und Mund ebenso vor Fett wie die aller anderen im Raum. Aus den Tiefen seines Tapperts zog Johann schließlich ein Taschentuch hervor, das aussah, als sei es aus Seide, und wischte sich daran schließlich seine Finger und seinen Mund ab, während er Morten herausfordernd ansah. Morten grinste, nahm seinen Bierhumpen und prostete Johann in einer stummen Geste zu. Dies schien Johann wiederum zu überraschen, dann aber nahm er seinen eigenen Humpen hoch und erwiderte die Geste, wenn auch ein wenig zögerlich. Morten beobachtete, wie Johann, ebenso wie er selbst, schließlich einen großen Schluck aus dem Humpen nahm.

Das Bier war unverdünnt und stark und stillte nach dem fettigen, salzigen Essen den Durst. Es ließ ihn außerdem die Anspannungen der letzten Tage und Wochen vergessen. Irgendwo hatten Seeleute ein dänisches Seemannslied angestimmt, das er kannte und er fiel mit lauter Stimme darin ein.

Das ließen seine Kameraden nicht auf sich sitzen und stimmten ihrerseits ein Lied auf Deutsch an und in kürzester Zeit war die Spelunke erfüllt von mehrstimmigem Gesang, laut und teilweise falsch, immer darauf bedacht, einander zu übertönen. Irgendjemand holte eine Fidel hervor und spielte mal die eine, mal die andere Weise.

Erst, als das Bier knapp wurde und von allen Seiten eine neue Runde bestellt wurde, hörte der Gesang wieder auf.

Auch Morten hatte bereits die zweite Runde für sich selbst, Fedder und Johann und einen Humpen verdünntes Bier für Harro bestellt. Ein Blick zu Johann zeigte ihm, dass das Bier auch bei diesem seine Wirkung tat. Seine sonst makellos gerade Haltung hatte gelitten und er wirkte gelöster als je zuvor. Gerade lauschte er aufmerksam Fedder, der wild gestikulierend auf ihn einredete. Was auch immer Fedder zu ihm sagte – er konnte über den Lärm in der Gaststube kaum etwas verstehen – schien unterhaltsam zu sein, denn plötzlich legte Johann den Kopf in den Nacken und lachte aus vollem Halse.

Hätte Morten in diesem Moment gerade aus seinem Humpen getrunken, hätte er sich wahrscheinlich vor Überraschung verschluckt. So blieb ihm nur der Mund offen stehen, unfähig irgendwo anders hinzusehen als zu dem aus vollem Halse lachenden Johann, der mit einem Male so viel jungenhafter und freundlicher aussah als sonst. Es war ein ansteckendes Lachen, echt und aus vollem Herzen und Morten ertappte sich dabei, wie er sich wünschte, dass Johann öfter auf diese Art lachen würde, auch ohne dass er zuvor zwei Humpen Bier getrunken hatte.

Dann entdeckte Morten, dass Johanns Lachen nicht nur seine Aufmerksamkeit auf ihn gezogen hatte, sondern auch das des leichten Mädchens, das in jeder Spelunke wie dieser anzutreffen war, immer in der Hoffnung auf ein gutes Geschäft. Der kostbare Tappert musste ihr ebenfalls ins Auge gesprungen sein, denn geschmeidig wie eine Katze bewegte sie sich durch den Raum auf Johann zu. Ihre blonden Haare waren in Locken auf ihrem Kopf getürmt. Ihr schmutziges Kleid zeigte ihre nackten Beine und ihren Ausschnitt und überließ wenig der Fantasie. Im schummrigen Dämmerlicht des Gasthauses war schwer zu erkennen, wie alt sie war, Morten vermutete aber, dass sie bereits weit jenseits der zwanzig sein musste.

Johann bemerkte sie erst, als sie hinter ihm stand, ihm die Arme um den Hals schlang, ihre Wange an Johanns Wange drückte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Morten konnte kein Wort verstehen. Aber dem entsetzten Ausdruck in Johanns Gesicht nach zu urteilen und der verräterischen Röte, die sich in seinem Gesicht zeigte und die Morten trotz der Lichtverhältnisse erkennen konnte, musste es etwas Unanständiges gewesen sein. Es fiel Morten schwer, sich das Lachen zu verkneifen. Es wunderte ihn nicht, dass die Dirne offenbar etwas Deutsch sprechen konnte, denn Frauen wie sie lebten davon, sich fremden Seemännern aus den unterschiedlichsten Ländern anzubieten. Fast jede sprach einige Brocken in den gängigsten Sprachen.

Noch bevor Johann sich zu irgendeiner Antwort hätte durchringen können, hatte sich die Frau bereits auf Johanns Schoss gesetzt und präsentierte ihm ihre halbnackten Brüste. Zu Mortens Belustigung bemühte sich Johann darum, seinen Blick kein einziges Mal in diese Richtung zu senken. Stattdessen versuchte er, die Metze sanft aber bestimmt von seinem Schoß hinunter zu schieben. Doch diese gab nicht so leicht auf. Ihre linke Hand fuhr an Johanns Brust entlang, was diesen dazu veranlasste, sich hin und her zu winden, um der tastenden Frauenhand zu entkommen. Morten wusste, was nun kommen würde. Er hatte dieses Spielchen bereits zu oft gesehen und am eigenen Leib erfahren. Die Hand der Dirne entschwand aus seinem Blickfeld, als sie sie immer weiter nach unten bewegte, bis sie, das wusste Morten, in Johanns Schritt enden würde. Er war gespannt auf Johanns Reaktion und musste nicht lange darauf warten. Mit einem überraschten Schrei sprang Johann von der Bank auf, stolperte rückwärts und fiel über die Bank nach hinten, während das leichte Mädchen unsanft halb auf der Bank, halb zwischen Bank und Tisch landete.

Wenig elegant rappelte sie sich wieder auf, wobei sie lautes Gelächter der Männer im Raum begleitete. Mit einem Schwall dänischer Schimpfwörter und hoch erhobenen Hauptes stapfte sie schließlich davon, an Johann vorbei, der noch immer mit entsetztem Gesichtsausdruck inmitten des Raumes stand und dabei völlig fehl am Platze wirkte. Nur langsam traute er sich schließlich wieder, sich auf seinen Platz zu setzen. Dabei hielt er den Kopf gesenkt und auch, wenn Morten es in dem schummerigen Licht nicht genau sehen konnte, ahnte er doch, dass Johanns Wangen vor Scham und Verlegenheit brannten.

Es dauerte ein paar Minuten, bis der Vorfall wieder in Vergessenheit geriet. Die Fidel erklang wieder und am anderen Ende des Raumes wurde gesungen und geklatscht und schließlich tanzten die ersten Seeleute auf den Tischen.

Harro, der in den letzten Minuten die Augen nicht mehr hatte offen halten können und seinen Kopf schwer auf seine Schulter gelegt hatte, wachte davon wieder auf und Morten schickte den erschöpften Schiffsjungen zurück aufs Schiff, was dieser sich widerspruchslos gefallen ließ.

Doch Harros Platz blieb nicht lange unbesetzt.

Es wunderte Morten nicht einmal sonderlich, als sich die Dirne, die sich offensichtlich von ihrer Empörung erholt hatte und auf den nächsten Fang des Abends aus war, der vielleicht ein wenig zugänglicher sein würde als Johann, plötzlich neben ihn setzte. Johann nicht eines Blickes würdigend drückte sie sich an seine Seite und raunte ihm in schlechtem Deutsch ein paar anzügliche Worte zu.

Morten wusste, dass er auf Frauen eine gewisse Anziehungskraft ausübte und dass auch leichte Mädchen dem nicht widerstehen konnten. Er sah ansprechend und ehrlich aus und nicht wie ein Schläger, der eine Metze schlecht behandelte. Deshalb war er es gewohnt, in den Spelunken regelmäßig angesprochen zu werden. Fast ebenso regelmäßig lehnte der die Angebote der Frauen ab. Nur ging er hierbei deutlich geübter und charmanter vor, als Johann.

Er lächelte die Dirne an, die aus der Nähe betrachtet älter war, als er zunächst angenommen hatte, ergriff ihre Hand, deutete eine Verbeugung und einen Handkuss an und sagte:

„Ein verlockendes Angebot, meine Schöne. Aber leider könnte ich eine Frau wie dich niemals bezahlen. Ich bin nur ein armer Seemann und habe wenig Geld. Was ich hatte, habe ich bereits ausgegeben. Aber ich bin sicher, dass du in diesem Gasthaus wohlhabendere Männer als mich finden wirst."

Das leichte Mädchen kicherte geschmeichelt und gab ihm dann lächelnd einen Kuss auf die Wange, während sie sich erhob und mit nun wieder federndem, leicht beschwingtem Schritt davonging, zweifellos auf der Suche nach dem nächsten, diesmal zahlungskräftigeren Freier.

Zufrieden widmete sich Morten wieder seinem Bier. Dabei streifte sein Blick Johann, der ihn und die Metze beobachtet haben musste. Er konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Möglicherweise reichten seine Umgangsformen im Gegensatz zu Johanns nicht für den Hof des Königs. Aber sie waren weltgewandt genug, um sich in einer Hafenspelunke nicht zum Gespött des ganzen Gastraumes zu machen und einer Dirne ihr letztes bißchen Würde zu belassen.

Zufrieden mit sich und dem Verlauf des Abends nahm Morten endlich den nächsten Schluck seines Bieres.

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