Teil I - Kapitel 6

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Kapitel 6

Die Flaute hielt an und am vierten Tag spürte man die Auswirkungen an Bord deutlich.

Das Deck blitzte und blinkte vor Sauberkeit, die Fischernetze waren bestens repariert, die Ladung gesichert und abgesehen von Fedder, der sich immerhin noch um das Essen kümmern konnte, hatten die Seeleute nichts mehr zu tun. Sie saßen an Deck, würfelten oder starrten vor sich hin, während sie darauf warteten, dass Wind aufkam. Die Stimmung war gereizt und die Seeleute übellaunig. Nicht selten endete ein Würfelspiel in Streit, der aber bisher immer wieder durch den Schiffer hatte geschlichtet werden können.

Morten und Bertin maßen sich mit kalten Blicken, hatten seit dem Vorfall vor wenigen Tagen aber kein Wort mehr miteinander gewechselt und mieden sich auf dem Schiff, so gut es ging. Dafür wich Harro Morten kaum noch von der Seite. Wo auch immer Morten war, konnte man in dessen Schatten den kleinen Schiffsjungen sehen.

Johann versuchte sich, aus allen Streitigkeiten herauszuhalten, so, wie seine Mutter es ihm vor seiner Abreise geraten hatte. Er war viel für sich, saß auf dem kleinen Bugkastell, sah in die Ferne und dachte nach. Es gab vieles, worüber es sich nachzudenken lohnte – die Reise, die anstehenden Verhandlungen in Tyskebryggen, seine Zukunft, Klara. Doch am vierten Tage drehten sich seine Gedanken nur noch im Kreis und die allgemeine Unruhe erfasste auch ihn.

Immerhin – körperlich ging es ihm wieder gut. Die Seekrankheit schien er zu seine Erleichterung endgültig überstanden zu haben. Fedder hatte ihn die letzten Tage über beim Essen mit den besten Bissen versorgt und er war wieder zu Kräften gekommen. Sein Tappert hatte sich wieder gefunden und er hatte ihn Harro gegeben, um ihn zu reinigen, ebenso sein zerrissenes Untergewand zum Nähen, als dieser gerade einmal nicht in Mortens Nähe gewesen war. Er hatte sich und auch seine Haare ausgiebig gewaschen, saubere Kleidung angelegt und fühlte sich wieder wie ein ganzer Mensch. Er war dankbar gewesen, dass Harro seine Kajüte gereinigt hatte und inzwischen nichts mehr dort an seinen rebellischen Magen erinnerte. Doch je gesünder er sich fühlte, desto schwieriger war es auch für ihn, die Untätigkeit an Bord des Schiffes zu ertragen. In Lübeck hatte er sich den Tag über den verschiedensten Beschäftigungen gewidmet und kaum jemals Zeit für Müßiggang gehabt. Ohne die Möglichkeit zu lernen, zu musizieren oder anregende Diskussionen über politische oder wirtschaftliche Themen zu führen wurde ihm schnell ebenso langweilig wie den Seeleuten.

An diesem vierten Tag der Flaute empfand Johann die Stimmung an Bord als besonders angespannt. Er hatte das Gefühl, nicht mehr auf einem Schiff, sondern auf einem Pulverfass zu sitzen, das jeden Moment in die Luft zu gehen drohte. Also beschloss er, dieser Explosion so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Als Fedder zum Essen rief, ließ er sich seine Holzschüssel mit Eintopf füllen und setzte sich, wie bereits die Tage zuvor, nicht zu den anderen Seeleuten, sondern suchte zum Essen seinen einsamen Winkel auf dem Bugkastell auf, der ihm in den letzten Tagen bereits als Zuflucht gedient hatte.

Dort aß er in Ruhe und Frieden, bis seine Schüssel leer war.

Er hätte gerne noch eine zweite Portion gehabt, haderte aber kurz mit sich, ob er nicht darauf verzichten und auf dem Bugkastell sitzen bleiben sollte, anstatt sich noch einmal in die Mitte der Mannschaft zu wagen, die ihm an diesem Tag noch unberechenbarer erschien als sonst schon. Doch die Vorstellung, nachher in seinem Bett zu liegen und das angenehme Wohlgefühl eines gefüllten Magens zu vermissen, brachte letztlich die Entscheidung. Er würde zu Fedder gehen, seine Schüssel füllen lassen und sich sofort wieder zurückziehen. Wenn er Glück hatte, würde ihn kaum jemand dabei beachten. Und wenn er den Kopf unten hielt, niemanden ansah und niemanden ansprach außer Fedder, würde schon alles gut gehen.

Von dieser Hoffnung und seinem halbleeren Magen getrieben, kletterte er die Leiter des Bugkastells hinunter und machte sich auf den Weg zu Fedder und dessen großen Kessel. Doch noch bevor er den Koch erreicht hatte, musste er einsehen, dass er etwas zu zuversichtlich gewesen war. Denn laut und vernehmlich empfing ihn eine Stimme, die er inzwischen nur zu gut kannte.

„Sieh an, der Goldjunge beehrt uns doch noch mit seiner Anwesenheit."

Natürlich gehörte die Stimme Morten, der die letzten Tage über zu sehr mit Harro und Bertin beschäftigt gewesen war, um ihn wirklich zu beachten, der aber in diesem Moment augenscheinlich beschlossen hatte, dies wieder zu ändern.

Johann tat sein Bestes, um Morten zu ignorieren aber das war gar nicht so einfach, denn Morten schien es nicht bei dieser ersten Bemerkung auf sich beruhen lassen zu wollen, sondern legte sogleich nach.

„Ist sich seit Neuestem wohl zu fein, um mit den niederen Ständen zu speisen."

Spätestens jetzt hatte Morten die Aufmerksamkeit der gesamten Mannschaft und erstes, verhaltenes Lachen zeigte ihm, dass die übrigen Seemänner nur zu gerne bereit waren, der Anbahnung eines Streits beizuwohnen, der ihnen die Langeweile zumindest für kurze Zeit zu nehmen versprach.

Kurz überlegte Johann, einfach umzukehren und mit leerer Schüssel und nur halb gefülltem Magen in seine Kajüte zu gehen aber das wäre einem feigen Rückzug gleich gekommen, der in Mortens Augen und vielleicht auch in den Augen der anderen alle Vorurteile, die sie gegen ihn, den Sohn des Kaufmanns, hegten, bestätigt hätten. Er hatte die Worte seines Vaters noch gut im Ohr, dass er sich Herausforderungen stellen und Respekt und Anerkennung einfordern sollte. Also entschied er sich dafür, einfach hoch erhobenen Hauptes und mit der Hoffnung, dass seine Wangen nicht wieder anfangen würden zu glühen, weiter zu gehen und Morten mit Missachtung zu strafen.

Dies schien Morten aber nur noch mehr aufzustacheln, denn er erhob sich und stellte sich Johann in den Weg, so dass dieser sein Vorhaben schnell wieder aufgeben und sich Morten stellen musste, wenn er sich nicht endgültig lächerlich machen wollte.

Er bemühte sich um einen festen Blick und eine feste Stimme, um seinen nächsten Worten soviel Autorität wie möglich zu verleihen.

„Lass mich vorbei, Morten."

„Zum Kochen, Putzen und Nähen sind wir dir gut genug, aber anscheinend nicht, um mit uns zu essen."

Johann musste einsehen, dass es mit seiner Autorität nicht sehr weit her zu sein schien oder dass Morten grundsätzlich Autoritäten gegenüber eher unempfänglich war. Er atmete tief durch, während er versuchte, trotzdem ruhig zu bleiben.

„Ich möchte keinen Streit. Ich möchte nur etwas zu essen."

Doch Morten blieb, wo er war und ließ Johann nicht vorbei. Er stand breitbeinig, die Hände in den Hüften und mit gefährlich blitzenden Augen.

So unauffällig wie möglich sah Johann sich um, ob er Schiffer Petters irgendwo entdecken konnte, doch zu seinem Leidwesen war Petters nirgendwo zu sehen. Möglicherweise hielt er sich in seiner Kajüte, im Laderaum oder auf dem Donnerbalken auf. Er musste wohl einsehen, dass er momentan keine Hilfe bekommen würde. Also tat er sein Bestes, um sich nicht einschüchtern lassen.

„Warum wendest du dich nicht an Bertin, wenn du Streit suchst? Oder hast du solche Angst vor ihm, dass du dir jemanden suchst, der eher deine Kragenweite hat?"

Zu Johanns Verdruss fing Morten an zu lachen.

„Wie kommst du auf die Idee, dass du meine Kragenweite sein könntest? Vatersöhnchen wie dich verspeise ich zum Frühstück."

Das Wort ‚Vatersöhnchen' traf Johann schlimmer als der ‚Goldjunge', mit dem Morten ihn bisher betitelt hatte. Das Wort ‚Goldjunge' war für Johann bisher der Beweis gewesen, dass Morten ihn im Grunde seines Herzens beneidete. Immerhin lebte er im Gegensatz zu Morten in Wohlstand, war gebildet und sein weiteres Leben schien gesichert, während Morten sein Leben lang von der Hand in den Mund leben würde. Doch als ‚Vatersöhnchen' bezeichnet zu werden, hatte eine andere Bedeutung. In diesem Wort schwang Verachtung mit. Es weckte die Befürchtung zu wissen, wie Morten und möglicherweise auch andere ihn wirklich sahen – als verlängerten Arm seines Vaters ohne eigene Persönlichkeit. Es rührte einen Punkt in ihm an, der ihn selbst in manchen schlaflosen Nächten schon beschäftigt hatte, nämlich die Frage, wie er es je schaffen sollte, aus dem Schatten seines Vaters herauszutreten. Möglicherweise war dies ein Grund gewesen, warum er sich auf diese Reise gefreut hatte – weil er sich weit fort von seinem Vater eine Antwort auf diese Frage erhofft hatte. Nun aber vor Augen geführt zu bekommen, wie weit er von der Beantwortung seiner Frage entfernt war, traf ihn unvorbereitet. Gleichzeitig spürte er wie er wütend wurde – auf sich selbst, sein Leben, seinen Vater und vor allem auf Morten, der seine eigene Unsicherheit mit solcher Zuverlässigkeit aufdeckte und vor der gesamten Mannschaft ausbreitete. Jede Stichelei, jede Beschimpfung, jeden verächtlichen Blick nahm er Morten übel und wie er nun vor ihm stand, breitbeinig und herausfordernd, schlug Johann alle guten Ratschläge seiner Mutter in den Wind.

Er machte einen Schritt auf Morten zu, bis er dicht vor diesem stand und sah ihm unverwandt in die Augen.

„Quod esset demonstrandum, pecus."

Er sah mit einiger Zufriedenheit, wie sich Mortens Augenbrauen den winzigsten aller Millimeter zusammenzogen. Es war offensichtlich, dass er kein Wort dessen verstanden hatte, was Johann gerade gesagt hatte, auch die Beleidigung am Ende nicht. Doch er schien zu vermuten, dass es keine Nettigkeiten gewesen sein konnten, denn er erwiderte:

„Bist du zu fein, um deutsch mit mir zu sprechen? Oder zu feige?"

„Es ist nicht meine Schuld, wenn du zu ungebildet bist, um mich zu verstehen. Oder bist du einfach nur dumm?"

Mortens Augen wurden kalt und gefährlich.

„Schlau genug, um auf mich selbst gestellt zu überleben. Dabei hilft dir Latein nicht weiter. Und auch dein Vater kann dich nicht immer und überall beschützen. Gerade jetzt zum Beispiel ist er nicht hier. Hier zählt nur, wer man ist. Und du bist nicht mehr als ein hilfloses Kind, das ohne die Hand seines Vaters nicht auf eigenen Beinen stehen kann. Selbst Harro ist mehr Mann als du."

Johann hörte die anderen Seeleute, die, wie er am Rande wahrnahm, inzwischen einen Ring um Morten und ihn gebildet hatten, lachen und pfeifen und zustimmend murmeln und sah Rot.

Er wusste selbst nicht genau, wie ihm geschah, aber noch ehe er darüber nachdenken konnte, hatte seine rechte Hand sich zur Faust geballt, ausgeholt und Morten mitten ins Gesicht geschlagen. Er spürte, wie die Knöchel seiner Hand auf Mortens Nasenbein trafen, hörte das Knirschen von Knochen auf Knochen. Mortens Kopf flog nach hinten, er stolperte rückwärts, hob dabei die Hände, um sein Gesicht zu schützen.

Auf dem Deck war es totenstill geworden.

Johanns Faust war noch immer geballt, aber langsam ließ er sie sinken und öffnete sie wieder. Die Wut war verraucht. Stattdessen erfasste ihn Entsetzen ob seiner eigenen Tat, das sich nur noch verstärkte, als Morten die Hände von seinem Gesicht nahm und mit Erstaunen im Gesicht das Blut betrachtete, das sich über seine Finger verteilt hatte und ihm nach wie vor aus der Nase quoll.

Johann hatte noch nie absichtlich einen anderen Menschen verletzt. Raufereien galten in seinen Kreisen als unkultiviert, Meinungsverschiedenheiten trug man in der Diskussion oder auf politischer Ebene aus. Morten nun verletzt zu sehen und zu wissen, dass es seine Schuld war, regte Johanns schlechtes Gewissen. Gleichzeitig wusste er nicht, was nun geschehen würde, rechnete aber fest damit, nicht nur Mortens Hass, sondern auch den Ärger der übrigen Seeleute endgültig auf sich gezogen zu haben. Auch der Schiffer, der noch immer nirgendwo zu sehen war, würde von diesem Vorfall Kenntnis erlagen und er wusste nicht, welche Folgen dies für ihn haben würde.

Er machte einen Schritt auf Morten zu, der sich mit der Hand über die noch immer blutige Nase wischte. Aus den Augenwinkeln sah Johann Harros entsetztes Gesicht, das seinem Gewissen einen weiteren Schlag versetzte.

„Morten..."

Mit der Nennung seines Namens sah Morten auf. Doch wenn Johann Wut und Hass erwartet hatte, sah er sich getäuscht. Johann musste einmal die Augen zusammenkneifen und sie wieder öffnen, um sicher zu sein, dass er sich nicht täuschte, denn Morten grinste ihn an. Offen und aufrichtig, beinahe fröhlich und Johann verstand die Welt nicht mehr. Deshalb war er auch zu verwundert, um zu reagieren, als Morten einen Schritt auf ihn zuging und ihm einmal kurz auf die Schulter klopfte.

„Gut gemacht, Goldjunge. Gerade eben bist du wahrscheinlich zum ersten Mal in deinem Leben für dich selbst eingestanden. Vielleicht sind Hopfen und Malz bei dir doch noch nicht ganz verloren."

Dröhnendes Gelächter der Männer um sie herum folgte auf Mortens Worte, doch jetzt war es ein gutmütiges, beinahe freundliches Gelächter, das Johann das Gefühl gab, irgendetwas getan zu haben, um sich zumindest ein wenig Respekt bei der Besatzung zu verdienen.

Innerlich schüttelte Johann den Kopf. Er erinnerte sich an die Aufgabe, die sein Vater ihm mit auf den Weg gegeben hatte, nämlich die Schwierigkeiten, die Morten ihm seit ihrer ersten Begegnung bereitet hatte, zu meistern und aus dem Weg zu räumen. Johann war sich sehr sicher, dass sein Vater nicht damit gemeint hatte, sich mit Morten zu schlagen und wahrscheinlich die Hände über den Kopf zusammen schlagen würde, wenn er davon wüsste, ebenso wie seine Mutter, die ihn darum gebeten hatte, sich aus allen Gewalttätigkeiten herauszuhalten.

Doch dann verbannte er diese Gedanken so schnell, wie sie gekommen waren. Weder sein Vater noch seine Mutter waren hier. Er war alleine auf dieser Reise und hatte seine eigene Entscheidung treffen müssen. Auch, wenn er nach wie vor nicht genau verstand, was ihn dazu getrieben hatte Morten zu schlagen, hatte ihm dieser Schlag doch augenscheinlich den Respekt Mortens und der übrigen Seeleute eingebracht. Der Zweck heiligte ja bekanntlich die Mittel. Vermutlich sollte er einfach froh sein, dass diese Konfrontation so glimpflich ausgegangen war – zumindest für ihn.

Über das Gelächter der Männer hinweg hörte er die Stimme Fedders.

„Komm her, Morten. Ich sehe mir deine Nase einmal an. Außerdem solltest du dir das ganze Blut abwaschen. Das Jungchen hat ganze Arbeit geleistet."

Morten grinste ihn noch einmal an, dann nahm er die Hand von seiner Schulter und wandte sich ab, um Fedder zu folgen, der wiederum bereits Harro ein Zeichen gegeben hatte, einen Eimer Wasser aus dem Meer zu holen.

Johann sah Morten hinterher und widerstand dabei der Versuchung nachzusehen, ob Mortens Hand Blutspuren auf seinem Tabbert hinterlassen hatte.

Der Ring von Männern löste sich auf und Johann erinnerte sich an seine Holzschüssel, die er noch immer in der linken Hand hielt. Trotz oder vielleicht auch wegen der Aufregung der letzten Minuten hatte er noch immer Hunger. Er beschloss, nun ebenso gut zu tun, warum er überhaupt hierhergekommen war und holte sich aus Fedders großem Topf eine zweite, große Portion Eintopf. Kurz haderte er mit sich, dann aber setzte er sich mit seiner Schüssel zu den anderen Männern auf das Deck des Schiffes und begann zu essen.

~ o ~
„Ist wirklich alles in Ordnung mit dir, Morten?"

Harros besorgtes Gesicht ließ Morten lächeln. Beruhigend strich der dem Jungen über das schwarze Haar, obwohl seine lädierte Nase schmerzte und das Salzwasser, mit dem Fedder ihn wusch, ihm in der Nase brannte.

„Es geht mir gut Harro."

Harro sah nicht überzeugt aus, harrte aber treu und still weiterhin neben ihm aus, während er Fedders nicht gerade feinfühlende Behandlung über sich ergehen ließ. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen zu jammern oder sich zu beschweren. Zum einen, weil er schon früh gelernt hatte, dass es keinen Sinn hatte, weil sich niemand dafür interessierte. Zum anderen aber auch, weil er wusste, dass er sich seine Verletzung selbst zuzuschreiben hatte.

Er wusste selbst nicht genau, warum er sich hatte dazu hinreißen lassen einen Streit mit Johann vom Zaun zu brechen.

Er hatte sich anstecken lassen von der Stimmung an Bord und er hatte den unausgetragenen Konflikt mit Bertin noch nicht verdaut. Diese innere Unruhe hatte ihn vier Tage lang begleitet. Aber er hatte es besser gewusst als sie an Bertin auszulassen, auch wenn er die richtige Person dafür gewesen wäre. Zum einen würde er sich mit Bertin nur dann offen anlegen, wenn es keine andere Möglichkeit gab. Man musste nur Augen im Kopf haben um zu wissen, dass Bertin ihm körperlich überlegen war, auch wenn er im Ernstfall nicht davor zurück geschreckt hätte, sich mit Bertin zu messen. Zum anderen hatte der Schiffer deutlich gemacht dass er Bertin und ihn im Auge hatte.

Wahrscheinlich war ihm da Johann gerade recht gekommen, um seine aufgestaute Wut und Unzufriedenheit zu entladen.

Natürlich war Johann ein dankbares Ziel gewesen.

Morten hatte seit ein paar Tagen bereits beobachtet, dass Johann sich von der Mannschaft zurück gezogen hatte und für sich geblieben war, abgesehen von den Momenten, in denen er Harro Putz- oder Nähaufgaben übertragen hatte – natürlich immer dann wenn Morten nicht in der Nähe gewesen war. Es hatte wunderbar in Mortens Bild gepasst, das er sich von Johann gemacht hatte – dem verwöhnten Goldjungen und Vatersöhnchen, der sich für etwas Besseres hielt.

Und so hatte es nicht viel gebraucht, um ihn wieder einmal in Schwierigkeiten zu bringen. Sein Temperament hatte ihm schon des Öfteren Kopf und Kragen gekostet und dieses Mal eine blutige Nase eingebracht.

Trotzdem war er wieder guter Laune. Seine Wut war verraucht, seine innere Unruhe ebenfalls.

Über Harros Kopf hinweg sah er aus den Augenwinkeln heraus Johann bei der Mannschaft sitzen und seinen Eintopf löffeln und konnte ihn mit ganz anderen Augen betrachten. Mit dem Schlag auf die Nase war etwas aus Johann herausgebrochen, das er in dieser steifen Schale niemals vermutet hätte, etwas, das tief in ihm wohnte. Es trotzte Morten ein wenig widerwilligen Respekt ab und weckte seine Neugier. Denn vielleicht war dort, wo dieser Schlag seinen Ursprung hatte, noch mehr zu entdecken. Vielleicht war in Johann doch noch die eine oder andere Überraschung verborgen, die lohnte, aus ihm herausgekitzelt zu werden. Und Morten schien genau der richtige Mann für diese Aufgabe zu sein.

Trotz der Schmerzen musste Morten grinsen. Die Reise versprach doch aufregender zu werden, als er dies bisher vermutet hatte. Und das Beste war – sie hatte gerade erst begonnen.

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