Teil I - Kapitel 23

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Als Johann neben Gustav auf dem Weg zum Schütting durch die Gassen Tyskebryggens lief, kam er nicht umhin, sich, trotz aller Wehmut darüber, Bergen bald verlassen und den letzten Teil seiner Reise antreten zu müssen, auch ein wenig auf seine Freiheit an Bord der 'Agnes' zu freuen, wo ihn niemand zwang, einem langweiligen, bedeutungslosen und darüber hinaus unendlich scheinenden Treffen von Kaufleuten beizuwohnen.

Morten hatte Wort gehalten und ihn am Morgen rechtzeitig geweckt. Wie er es fertig gebracht hatte, in der dunklen Kabine genau zu Sonnenaufgang aufzuwachen, würde Mortens Geheimnis bleiben. Vermutlich entwickelte man ein inneres Gefühl, wenn man seit Jahren regelmäßig bei Sonnenaufgang auf den Beinen war.

Widerwillig hatte er sich von Morten verabschiedet und war zum Kontor seines Großonkels zurückgekehrt. Dort hatte er sich gewaschen und umgezogen und zusammen mit Gustav ein bescheidenes Frühstück eingenommen. Gustav hatte hierbei mit keinem Wort erwähnt, dass er in der Nacht nicht zurückgekommen war. Ob Gustav es nicht bemerkt hatte oder ob es ihn nicht interessierte, wusste Johann nicht und er war zufrieden damit nicht nachzufragen.

Zusammen mit Gustav betrat er schließlich das Schütting. Wieder begrüßte er an Gustavs Seite die bereits anwesenden Kaufleute, brachte sich in Erinnerung, wo er bereits vergessen worden war, antwortete höflich auf Fragen, unterhielt sich über seine baldige Abreise, das Wetter, den bevorstehenden Winter und die Preise für Wolle in England und dachte dabei an Morten und welch wundervolles Gefühl es gewesen war, neben diesem einzuschlafen und am Morgen wieder aufzuwachen. Immer wieder trafen Neuankömmlinge ein, gerade wenn Johann meinte, seiner Pflicht endlich genüge getan zu haben. Doch endlich hatte er mit allen Kaufmännern gesprochen und es gelang ihm, sich für einen Moment zurückzuziehen, indem er sich einen Becher Wein einschenkte.

Mit dem Becher in der Hand und für den Moment unbehelligt beobachtete er aus einer Ecke heraus die anwesenden Kaufleute und stellte fest, dass die Stimmung unter ihnen an diesem Tag eine andere war als, vor zwei Tagen, nämlich gelöster, beinahe ausgelassen. Es wurde mehr gescherzt und gelacht und Johann konnte sich keinen Reim darauf machen.

Gustav gesellte sich wieder zu ihm und schenkte sich ebenfalls einen Becher mit Wein ein. Johann nutzte die Gelegenheit und fragte: „Worum geht es denn heute im Rahmen der Versammlung eigentlich?"

Gustav grinste und irgendetwas in diesem Grinsen gefiel Johann nicht. Verstohlen zeigte Gustav auf einen jungen Mann in der Ecke des Raumes, der offenbar ebenso verzweifelt wie erfolglos versuchte, seine Nervosität zu verstecken. Er konnte nicht viel älter sein, als Johann. Dass er aus gutem Hause kam, sah man an der Qualität seiner Kleidung. Seine blonden Haare waren kurz und akkurat geschnitten. Seine Haltung war makellos. Aber seine Augen verrieten ihn, denn sie huschten gehetzt im Raum hin und her.

„Siehst du das Jüngelchen dort drüben?"

Johann nickte.

„Das ist Kaspar Klaasen. Er ist neues Mitglied des Kontors und wie jeder Neuankömmling hat er eine Aufnahmeprüfung zu bestehen, um als vollwertiges Mitglied anerkannt zu werden."

Johann zog erstaunt die Brauen hinauf.

„Ein Aufnahmeritual?"

Gustav nickte.

„Es geht darum, Mut und Durchhaltevermögen zu beweisen. Jeder Neuankömmling muss sich diesem Ritual unterziehen."

„Musstest du das auch?"

Wieder nickte Gustav.

„Oh ja und ich kann mich noch sehr gut daran erinnern."

Johann ahnte nun, warum die gesetzten Kaufleute an diesem Tag so gutter Stimmung waren. Die nächsten Stunden dienten nicht der Fortsetzung der langwierigen Diskussionen vom Sonntag, sondern dem Vergnügen. Zumindest dem schadenfrohen Vergnügen derjenigen, die sich zurücklehnen und einen anderen in demselben Maße leiden sehen konnten, wie sie selbst einst gelitten hatten. Johann ahnte, dass diesem Klaasen nichts Gutes blühte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 19, 2020 ⏰

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