Kapitel 8

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„Ich denke, ich hau mich mal ein paar Stunden aufs Ohr. Letzte Nacht waren es auch nur knapp drei Stunden, die ich geschlafen habe" verabschiedete sich Robin, nachdem sie den Film fertig geguckt hatten.

„Willst du dich auch ausruhen?" fragte Mila Paul besorgt. „Du kannst ja nicht viel mehr geschlafen haben."

„Neee, ich bin noch nicht wirklich müde. Wie sieht es bei dir aus?"

„Ich kann gerade auch nicht schlafen."

So saßen die beiden still schweigend einige Minuten auf der Couch, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft.

Paul dachte über diesen wunderbaren Menschen nach, der da neben ihm saß. Er mochte Mila wirklich gerne. Sie hatte aber so viel durchgemacht, da wollte und konnte er jetzt keinen Schritt auf sie zugehen.

Mila hingegen dachte über ihre Familie nach. Wie gerne hätte sie Köln mit ihnen erkundet. Es würde so vieles geben, das ihre Familie nicht miterleben würde.

Milas ersten Freund, ihre Hochzeit, Kinder... Ihre Kinder würden nie ihre Oma und Opa kennenlernen. Nie würde ihre Mutter sie trösten können, wenn ihr mal das Herz gebrochen wird. Eins stand dennoch fest für Mila: Sie wollte leben.

Die Taten der vier Frauen waren schrecklich für sie. Niemals hätte sie sich ausmalen können, dass Menschen so grausam sein können.

„Ich will leben" flüsterte Mila leise. Sie bemerkte gar nicht, dass sie es laut ausgesprochen hatte.

„Ich würde auch nicht wollen, dass du gehst" antwortete Paul ebenso leise.

Das holte Mila aus ihrer Trance zurück. „Hab ich das eben etwa laut gesagt?" Mila war erschrocken. Sie wollte nicht, dass jemand ihre Gedankengänge mitbekam.

„Ja, hast du. Aber ich meine es ernst. Das klingt jetzt vielleicht falsch, aber ich bin froh, dass du hier bist, auch wenn die Umstände alles andere als schön sind.

„Ich verstehe, was du meinst, Paul. Ich bin auch froh, euch kennengelernt zu haben."

Sie umarmte Paul, denn die war wirklich glücklich, Robin, Franco und Paul getroffen zu haben. Die Drei hatten ihr Mut und Hoffnung geschenkt und ihr das Vertrauen an die Menschheit zurückgegeben.

„Du Paul, wie alt bist du eigentlich?" fragte Mila schließlich.

„Ich werde in ein paar Monaten 30."

„So siehst du noch gar nicht aus."

„Schleimerin" sagte Paul, während er Mila zuzwinkerte.

Mila hing erneut ihren Gedanken nach.

„Ich bin in diesem Bunker aufgewacht, weißt du. Meine Hände waren hinter meinem Rücken gefesselt. Ich hatte etwas auf den Augen, denn ich hab nichts gesehen. Sprechen konnte ich auch nicht. Jemand hat mich geschlagen auf den Rücken, ich habe Tritte im Bauch gespürt. Und dann.. Rammte etwas in... Ich war bis vor zwei Wochen noch Jungfrau..."

Milas Stimme brach immer wieder ab. Tränen kullerten über ihr Gesicht.

„Ssshh... Du musst das nicht erzählen, okay?" Sanft schlang Paul seine Arme um den zärtlichen Körper. Er wippte langsam hin und her, bis Mila eingeschlafen war.

Die Ereignisse hatten sie verständlicherweise stark mitgenommen und geschwächt.

Als Paul sicher war, dass Mila schlief, hob er sie behutsam auf und legte sie ins Bett. Gerne hätte er sich neben sie gelegt, war sich aber nicht sicher, wie sie reagieren würde. Ein letztes Mal strich er ihr zärtlich über die Wange und wollte das Zimmer gerade verlassen.

„Bitte bleib" hörte er Mila flüstern. Sie schlief also doch nicht so fest, wie er dachte. Ganz vorsichtig legte er sich neben sie. Sofort rückte Mila näher an Paul, denn sein großer Körper strahlte so viel Wärme und Geborgenheit aus, nach der sie sich so sehr sehnte.

Auch Paul war müde. Die letzten zwei Tage gingen auch an dem jungen Polizisten nicht spurlos vorbei. So fiel er ebenfalls in einen erholsamen Tiefschlaf.

Mila träumte von Franco und Paul. Sie hörte Pauls Stimme über sich, als sie bewusstlos in der Gartensiedlung lag. Es war seine starke Stimme, die sie wieder ins Hier und Jetzt zurückkommen ließ. Und dann war da Franco. Ein Knistern bereitete ihr etwas Angst, doch der Sanitäter redete auf Mila ein. Es wurde ihr auch sofort wärmer, nachdem das Knistern weg war.

Doch dann strömten auf einmal andere Bilder auf sie herein. Bilder der Polizisten, die Mila nach der Arbeit Zuhause aufsuchten. Sie war verwundert gewesen, da niemand Zuhause war, als sie von der Arbeit kam, es war aber nichts Ungewöhnliches.

Und dann klingelte es an der Tür. Diesen Besuch würde Mila nie wieder vergessen können.

Schon als sie in die Gesichter der Polizisten an der Tür blickte wusste Mila, dass etwas passiert war. Sie blickte in traurige Augen, als sie die Tür öffnete.

„Sind die Mila Bauer?" fragte einer der Polizisten freundlich. Doch in seinen Augen lag Trauer. Er hoffte so sehr, dass er nicht diesem jungen Menschen das restliche Leben versauen würde.

„Ja, die bin ich." Seine Gebete wurden nicht erhört.

„Dürfen wir reinkommen?" fragte sein Partner freundlich. Doch auch ihm war die Anspannung aufs Gesicht geschrieben.

„Um was geht es bitte?"

„Dürfen wir erst reinkommen bitte?"

„Na gut. Ich bin sowieso alleine Zuhause."

‚Und wirst es auch bleiben' dachte sich der Polizist, während er das geräumige Haus betrat.

Es war liebevoll und gemütlich eingerichtet. Das Wohnzimmer im Landhaus-Stil. Die Bewohner hatten offenbar viel Liebe und Zeit investiert... und jetzt würden die Bewohner nie wieder hier hin zurückkehren.

„Frau Bauer, es tut mir leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Familie einen schweren Autounfall hatte."

„W...was?" Tränen lösten sich aus den Augen der jungen Frau. Geschockt und ungläubig sah sie den Beamten an.

„Sie müssen sich irren."

‚Verleugnung. Sie will es nicht wahrhaben. Natürlich will sie es nicht wahrhaben. '

„Es tut mir wirklich leid, Frau Bauer, aber wir irren uns nicht. Die Rettungssanitäter haben alles versucht, aber man konnte Ihre Familie nicht mehr retten. Ihre Verletzungen waren zu schwer."

Genau in diesem Augenblick sah er in die Augen von Mila. Er sah förmlich, wie ihr Herz in tausend Teile zersprang. Der Schock würde noch eine Weile halten, bis sie begreifen würde, was der Beamte ihr gerade erzählt hatte.

„Wie... was? Wer..." Ganze Sätze formen konnte Mila nicht. Zu sehr unter Schock stand sie in diesem Moment. Sie wollte weinen, schreien, aber sie konnte es nicht. Wie angewurzelt blieb sie auf der Couch sitzen und starrte in diese mitleidigen Gesichter der Beamten.

„Ein junger Mann ist viel zu schnell auf der Autobahn gefahren. Er wollte Ihre Eltern rechts überholen. Vor ihm auf der rechten Spur war aber ein Fahrzeug, so dass er nach links auswich... Direkt in das Fahrzeug Ihrer Eltern. Sie prallten gegen die Leitplanke. Der Unfallverursacher war nicht angeschnallt und wurde aus seinem Auto geschleudert. Er hat den Unfall ebenfalls nicht überlebt."

In diesem Augenblick überkam Mila eine Traurigkeit und sie begann laut zu schluchzen und die Beamten anzuschreien, dass sie gehen sollten.

Noch heute bereitete ihr der Gedanke an diesen Besuch Panik. Das Gefühl, jemand würde ihr Herz aus der Brust reißen, war heute immer noch so präsent wie damals. Schluchzend und schreiend wachte Mila auf.

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