Kapitel 17

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Paul hatte Mila derweil aus Klaus' Büro gezogen. Er wollte mit ihr alleine sein, ihr alles erklären, ihr sagen, dass sie keine Last für ihn ist. Er teilte sich ein Büro mit Cem. Er hoffte inständig, dass sein Kollege derzeit nicht im Büro war. Als er die Tür aufmachte, wurden seine Gebete jedoch nicht erhört. Überrascht schaute Cem auf, als Paul die Tür aufstoß. „Seid ihr hier wegen Milas Aussage?" fragte Cem verwundert. Er hatte zwar heute mit seinem Freund gerechnet, aber vor einigen Stunden schon. Als sie nicht auftauchten, hatte Cem sich erstmal nichts weiter dabei gedacht. Niemand würde sie zu einer Aussage zwingen.

Mila rutschte das Herz in die Hose. Ihre Aussage, die hatte sie ganz vergessen. „Ich... ich kann das jetzt nicht, Paul." Mila riss ihre Hand aus Pauls und rannte aus dem Büro, direkt in Robins Arme. „Hey, wohin des Weges?" fragte er sie mit einem leichten Grinsen auf dem Gesicht. Als er in Milas Gesicht schaute, sah er Angst und Verzweiflung. „Was ist denn los, Mila? War Klaus sehr sauer auf euch?"

„Nein, das ist es nicht" schluchzte Mila. „Ich bin doch eine Last für euch alle. Ich mach euch alles kaputt, was ihr habt. Cem will eine Aussage von mir haben, aber ich kann das nicht. Ich kann nicht beschreiben, was diese Frauen mit mir gemacht haben."

Robin nahm sie in seine Arme. „Shhh... Komm mit in mein Büro, okay? Tom hat heute keinen Dienst, das heißt wir sind auf jeden Fall alleine."

„Jetzt erzähl mal, Mila. Was ist los?" setzte Robin an, nachdem er Mila in sein Büro gebracht hatte. Er sah eine verzweifelte junge Frau vor sich sitzen. Ihre Haare waren durcheinander, ihre Haut blass. Die letzten Tage hatten sie stark mitgenommen, verständlicherweise. So ganz hatte er Milas Aussagen auf dem Flur nicht verstanden.

„Ich weiß doch, dass es total albern ist. Ich fühl mich einfach scheiße. Euer Leben war doch vor diesem Einsatz so viel leichter. Jetzt müsst ihr nur nach mir gucken. Ich will das nicht. Ich will euer Leben nicht schwerer machen."

Mila dachte das wirklich. Sie war schon immer ein sehr emotionaler Mensch gewesen. Sie fasste schnell Vertrauen zu Menschen, doch hatte dann das Gefühl eine Last zu sein. Sie war so gewohnt, alleine zu sein, dass ihr das Gefühl von Nähe und Zutrauen komplett fremd war. Sie verstand nicht, warum Paul, Robin, Franco und alle anderen Polizisten sich so um sie sorgten und ihr helfen wollten. Ihr war so etwas noch nie passiert.

Etwas sprachlos sah der Beamte Mila an. Hat sie das gerade wirklich gesagt? Das kann doch nicht ihr ernst sein... Innerlich haderte Robin damit, Pauls Geschichte zu erzählen. Es sollte eigentlich nicht an ihm legen, es zu erzählen, doch er sah keine andere Möglichkeit. Sie war wirklich aufgelöst. Innerlich hatte sie sich schon auf den Gedanken versteift, dass sie eine Last war.

„Mila, lass mich dir mal was erzählen. Paul hatte seit Jahren keine Freundin mehr. Seine letzte hat ihn mit seinem Bruder betrogen. Sie wurde von ihm schwanger und hat es abtreiben lassen. Sie hat Paul in dem Glauben gelassen, es wäre seins, nur um ihm wehzutun. Sein größter Wunsch ist es, einmal eine kleine Familie zu haben. Er war einsam bis du kamst. Er ist genauso einsam wie du auf der Welt. Seine Eltern haben den Kontakt abgebrochen und zu seinem Bruder hegt er verständlicherweise keinen Kontakt. Die Polizei ist seine Familie. Du bist keine Last. Du bist ein Segen für ihn. Du bist das, was er sich seit Jahren wünscht. Also bitte, versuch doch nicht die ganze Zeit stark zu sein. Er hat das auch versucht und irgendwann zerbricht man daran."

In einem Schwall erzählte Robin alles. Er hoffte nur, dass das in Ordnung für Paul war. Aber was hätte er sonst tun sollen?

Robins Rede bewirkte etwas in Mila. Sie war zwar immer noch der Meinung, sie würde die anderen belasten, aber Pauls Leben bewegte sie doch sehr. Mit gesenktem Kopf saß sie einfach nur auf Robins Couch. Was soll ich jetzt nur tun? Ich hab ihn doch komplett blamiert hier. Ich habe mich komplett blamiert. Sie war überrascht, dass Paul auch einmal eine Familie wollte. Das konnte nicht sonderlich leicht sein in diesem Beruf. Schichtdienste, lange Schichten, der hohe körperliche Einsatz... Jederzeit konnte etwas passieren. Aber sie fand Paul und all seine Kollegen so unglaublich mutig und wichtig. Er konnte gar nicht verstehen, warum seine Eltern keinen Kontakt mehr zu ihm hegten. Wenn sie Kinder hätte und sie würden sich für die Gesellschaft einsetzen... Sie wäre so unglaublich stolz.

Tief in Gedanken versunken merkte sie nicht, dass Robin Cem anrief, um Paul in sein Büro zu schicken.

Als sein Freund eintrat, erschreckte er sich stark. Paul war kreideweiß, tiefe Tränensäcke unter den Augen. Er bedankte sich mit einem Nicken bei Robin, der leise das Büro verließ. Sanft legte Paul einen Arm um Milas Schultern.

„Es tut mir leid, dass ich dich angemotzt habe" entschuldigte sich Paul.

„Es tut mir leid, dass ich einfach so weggegangen bin. Ich wollte das alles nicht." Da war dieses Gefühl wieder. Warum konnte sie nur so unglaublich gut alles ruinieren?

„Alles okay. Ich habe mir doch nur Sorgen gemacht, als du nicht mehr in der Wohnung warst. Köln ist gefährlich um die Uhrzeit." Innerlich haderte der junge Polizist mit sich selbst. Er wusste, er hatte Mila verletzt. Er hatte gesehen, wie sie ihren Kopf senkte, als er sie angemotzt hat. Konnte sie denn aber nicht begreifen, dass sie in einer Großstadt waren? Dazu noch in Köln. Klar, es gab gefährlichere Städte abends, aber dennoch wollte er nicht, dass ihr erneut etwas geschah.

„Es tut mir wirklich Leid..."

Nervös spielte Mila mit ihren Fingern. Sie wollte Paul eigentlich fragen, ob er bereit wäre, dass sie zu ihm ziehen könnte, zumindest für eine Zeit, bis sich ihr Leben geregelt hätte.

„Paul?"

„Mmhm?" antwortete er gedankenverloren.

„Ich... ich hab ein bisschen nachgedacht... Denkst du, ich könnte eine Weile bei dir unterkommen? Also, weißt du, ich will nicht mehr in meine Heimat zurückkehren. Ich will hier bleiben."

Mila wurde immer leiser gegen Ende. Sie wusste, dass es einer großer Schritt war, jemanden, den man kaum kannte, bei sich aufzunehmen. Sie war nervös wegen seiner Antwort.

„Ich werde Urlaub beantragen, dann fahren wir deine Sachen gemeinsam holen, okay?" Innerlich jubelte Paul vor Glück. Eigentlich wollte er sie fragen. Er wusste nur nicht, wann der richtige Zeitpunkt wäre. Jetzt hatte sie ihn gefragt. Ja, sie wollte zwar nur zu ihm ziehen und nicht bei ihm einziehen. Dennoch hätte er jetzt durchs Zimmer springen können. Sie würde auf jeden Fall bei ihm bleiben.
Mila war erstaunt. Damit hatte sie nicht gerechnet. Er wollte ihr auch noch helfen. Gerührt von Pauls Antwort umarmte sie ihn.

Sie wusste nicht, ob es richtig war zu Paul zu ziehen, aber sie wusste, sie musste ihr altes Leben hinter sich lassen.

Sie konnte an ihren alten Erinnerungen nicht mehr festhalten. Sie musste sich Neue schaffen. Ein neues Leben aufbauen. Und selbst, wenn aus ihr und Paul kein richtiges, normales Paar werden sollte, so könnten aus ihnen bestimmt auch gute Freunde werden. Wer weiß, was die Zukunft bringt...

„Hey, nicht auf meiner Couch, ihr Beiden" sagte Robin lachend, als er das Büro wieder betrat.

„Bleibst du kurz hier? Ich muss was klären" sagte Paul schon im Aufspringen.

„Was ist denn in den gefahren?" wollte Robin wissen, aber Mila war genauso ratlos.


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