Kapitel 21

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„Paul, ich kann hier keine Woche bleiben. Es wird mich zerreißen. Ich kann das nicht." Mit zittriger Stimme drehte Mila sich das erste Mal seit sie das Haus betreten haben zu ihm um.

„Wir müssen hier nicht bleiben. Ich habe mir das schon fast gedacht. Robin und Cem sind unten, sie haben einen zweiten Transporter gemietet und sind ein bisschen nach uns losgefahren." Er lächelte sie schief an. Es war seine zweite Überraschung an diesem Tag. Heute Morgen noch hatte er sich auf diesen Moment gefreut, er hatte sich auf ihr Gesicht gefreut, sobald sie es erfahren würde. Er liebte es sie zu necken, doch jetzt hoffte er, dass sie nicht sauer sein würde. Ich bin aber auch ein Idiot... Warum mache ich das hier? In Ihrem alten Zuhause? Ich hätte mir doch denken können, dass es sie hier emotional zerreißen wird. Innerlich klatschte er sich die Flache Hand an die Stirn.

Mila war sprachlos. Diese Menschen, sie kannte sie doch noch gar nicht lang und doch machten sie alle sich so schnell Sorgen um sie und standen ihr bei.

Weinend fiel sie Paul um den Hals und flüsterte „danke".
Damit hatte Paul nun nicht gerechnet. Sie war nicht sauer, sie war froh darüber? Manchmal verstand er Frauen nicht. Nach einer Schocksekunde legte er seine Arme um sie und drückte sie ganz fest an sich.

So standen die beiden am Eingang zu Milas altem Reich, Arm in Arm. Da Paul auch recht klein war, musste sie sich nicht mal auf die Zehenspitzen stellen, um ihn zu umarmen. Sie löste sich letztlich aus seinen beschützenden Armen und sah ihm tief in die Augen. Sie konnte nicht aussprechen, was er ihr bedeutete, was seine Taten ihr bedeuteten. Sie hoffte einfach, dass er es wusste. Irgendwann würde sie es ihm sagen können, aber noch nicht heute.

Langsam schritt sie die Treppe nach unten. Vor dem Haus standen Cem und Robin mit dampfenden Kaffeebechern in der Hand. Die junge Frau versuchte die Männer anzulächeln. Mit zittriger Hand öffnete sie die Tür für die beiden und ließ sie ins Haus eintreten.

Die Vier packten Kiste um Kiste. Mila wollte hauptsächlich ihre Klamotten mitnehmen, und ihre Bücher. Schon beim Anblick des Bücherregals stöhnte Paul, was Mila zum Lachen brachte.
Wie Musik konnten auch Bücher sie in fremde Welten entführen.

Gegen Nachmittag saß die Gruppe am Esstisch zusammen. „Es gibt da was, was ich dir sagen muss" fing Paul seinen Satz an...

„Oh-oh, das kann nichts Gutes bedeuten."

„Ich habe die Sparkasse angerufen, damit sie dein Haus verkaufen können. Eventuell mit Einrichtung. Ich weiß, das ist alles sehr schnell."

Mila war etwas überrascht und geschockt, doch es war gut. Sie verband zu viel mit diesem Haus. Sie konnte und wollte auch nicht alles mitnehmen, was ihre Eltern über die Jahre angesammelt hatten.

„Sag doch was, Mila." Paul war sichtlich verzweifelt. Er hoffte, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Er hatte jedoch mit einer Reaktion gerechnet. Es machte ihn nervös nicht zu wissen, ob Mila damit einverstanden war oder nicht.

„Ich verbinde mit diesem Haus alles... Meine Kindheit, mein Erwachsenwerden." Scheiße, doch die falsche Entscheidung... schoss Paul durch den Kopf.

„Aber mein Leben hat sich drastisch geändert. Dieser Ort wird immer der Ort sein, an dem ich aufgewachsen bin, aber er ist nicht mehr mein Zuhause. Man sagt doch, dass das Zuhause dort ist, wo das Herz hingehört... Mein Herz gehört hier nicht mehr hin. Hier ist es in tausende Einzelteile zersprungen. Hier habe ich vom Tod meiner Familie erfahren. Paul, dieses Haus ist ein Ballast für mich. Du hast mich von ihm befreit. Danke."

Mila meinte jedes Wort. Sie sah in die Gesichter ihrer Freunde. Sie wusste, sie hatte Polizisten vor sich, die bestimmt schon viele schlimme Dinge gesehen und gehört hatten, aber jeder von ihnen war gerührt wegen der Szene, die sich vor ihren Augen abspielte.

Eine Nacht schlief die Gruppe in Milas altem Zuhause. Sie schmiegte sich eng an Paul während der Nacht. Sie fühlte sich aufgehoben und geborgen bei ihm.

Am nächsten Tag wurden beide Transporter bis oben hin gefüllt. Klamotten, Bücher, DVDs, Milas PC, Bilder, Küchenausstattung und viele andere Dinge landeten in den Transportern. Sie ging das Haus noch zwei Mal ab, fragte sich bei Vielem, ob sie es nicht doch mitnehmen sollte. Einige Sachen nahm sie mit, bei anderen entschloss sie sich dagegen. Das Wichtigste hatte sie. Sie würde ihre Familie zumindest niemals vergessen.

Am gleichen Tag kam ein Vertreter der Sparkasse. Ihre Eltern hatte noch Kredite auf das Haus laufen, der Wert des Hauses überstieg jedoch die Schulden ihrer Eltern. Mila konnte schuldenfrei in ihr neues Leben mit Paul in Köln starten.

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