16 Schwul?

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Da saßen wir.
Nur wir vier.
Schweigend.
Am Mittagstisch.
Jeder vertieft in seinen Auflauf.
Keiner sagte etwas.

Sicht von Kostas

Meine Mutter beobachtete mich fragend. Ich hatte das Thema anfangen. Ich musste es auch zu Ende bringen. "Deine Mutter meinte, du wolltest mit uns reden. Soll..." Mein Vater deutete mit der Gabel auf Mik. "Marik, Schatz!", ergänzte meine Mutter. "Soll Marik etwa auch dabei sein?", beendete er seine Frage. Miki schaute zu mir und betrachtete mich genau als ich nickte. Leicht streichelte er mir über das Knie, sodass meine Eltern es nicht sehen konnten. "Ja, er soll mit dabei sein", antwortete ich ihnen. "Und worum geht es nun?", erkundigte sich meine Mutter und steckte sich eine Gabel voll Kartoffelgratin in den Mund. "Ich..." Ich atmete noch einmal tief durch. "Ich habe mich von Alina getrennt." Ohne die beiden anzusehen aß ich weiter. Miki beobachtete die Szenerie und blieb still. Ich konnte kein Klappern von Besteck mehr hören. Während Miki etwas trank, starrten meine Eltern mich nur entgeistert an. "Wieso das denn?", meldete sich meine Mutter zu Wort. "Das kannst du doch nicht tun! Weißt du, wie verantwortungslos das ist? Du bist überfordert mit der Situation. Dafür haben wir ja Verständnis gezeigt, aber das geht auf jeden Fall zu weit." Ihre Stimme überschlug sich. Mein Vater hielt sich immer noch zurück und schien zu überlegen, während er Marik beim Essen zusah. "Es ist nicht deswegen. Das hätte ich schon vorher machen sollen!", antwortete ich ihr. Sie schüttelte den Kopf: "Aber warum denn? Du liebst sie doch." Ich legte mein Besteck auch beiseite und schüttelte nun ebenfalls den Kopf. "Damit hat er, dieser...", wieder deutete er auf Mik, "... Junge, zu tun, richtig?" Überrascht sah ich meinen Vater an. Meine Eltern kannten mich beide nur wenig, aber er wusste ja kaum meinen Namen. Ich blickte nun wieder zu meiner Mutter. "Ja, es stimmt. Ich bin schwul." Sie öffnete den Mund, aber schloss ihn wieder. Stille breitete sich wieder aus. Da niemand mehr aß, nahm Miki meine Hand und wir blickten uns kurz in die Augen.

Sicht von Mik

"Wie habt ihr beiden euch das vorgestellt?", übernahm sein Vater die Unterhaltung. Bevor ich anfing zu sprechen, holte ich mir erst die stille Erlaubnis von Kostas, der mich beruhigt ansah. "Mein Vater hat mir bereits eine Ausbildung samt Wohnung in Potsdam organisiert. Donnerstag findet der Umzug statt. Unser Plan war, dass Kostas dort mit einzieht und ebenfalls eine Stelle dort annimmt. Wenn sie ihm ein Studium finanzieren, akzeptieren sie bestimmt auch seine Bewerbung für eine Ausbildung." Kostas' Vater unterbrach mich: "Er soll sein Stipendium ablehnen?" Ich nickte und Kostas bestätigte: "Wo soll sonst das Geld herkommen? Sein Geld würde die Unterhaltskosten abdecken und mein Gehalt würde an Alina gehen." Seine Mutter hatte sich langsam wieder gefangen. "Jan, das klingt sogar recht vernünftig", beichtete sie ihm. Der jedoch war strikt dagegen. "Das sieht aber nicht nach einer viel versprechenden Zukunft aus!" Kostas seufzte und ich sah zu ihm herüber. "Das schaffen wir schon. Sehen Sie, wenn man erstmal Fuß gefasst hat..." "Danke Miki, aber das würde ich gerne selbst beenden." Weiterhin hielt ich seine Hand zur Unterstützung. Ich war stolz auf ihn.

"Ich sehe endlich Licht am Ende des Tunnels. Vielleicht hätte ich mir das alles früher überlegen können, aber ich bin ehrlich gesagt nicht traurig darüber, dass das Stipendium in Regen fällt. Wenn das alles so klappt, wie geplant, bin ich glücklich. Reicht das nicht?" Seine Eltern sahen ihn perplex an. Dann schaute seine Mutter zu seinem Vater hinüber. Die beiden schienen sich über Blicke zu verständigen. Kostas legte seine Hand auf meine, die derweil immer noch auf seinem Knie geruht hatte.

Sicht von Kostas

"Wenn...", meine Mutter blickte noch einmal zu meinem Vater. "Wenn du das so willst, dann müssen wir das akzeptieren. Allerdings hätten wir uns für dich eine bessere Zukunft gewünscht - mit Aufstiegschancen. Doch, wir sind auch der Meinung, dass du für deinen Fehler gerade stehen musst." Ich nickte. Natürlich wusste ich das. Ich hatte viele Fehler gemacht, die ich am liebsten alle rückgängig machen würde, aber mir bleibt nichts anderes mehr, als mich bestmöglich zu entschuldigen. Jetzt werde ich das Richtige machen. "Ja, das verstehe ich. Deswegen würde ich auch gerne nochmal zu Alina gehen und mit ihr über die ganze Situation sprechen." Meine Eltern stimmten mir zu und so machten Miki und ich uns auf den Weg zu Alina.

Vor ihrer Haustür blieben wir stehen. "Na dann, viel Glück", verabschiedete sich Miki von mir. Ich hielt ihn an der Hüfte fest und gab ihm noch einen Kuss. Seine Hände lagen hierbei in meinem Nacken. "Danke Miki, ich schreibe dir nachher, wie es gelaufen ist." Mit einem letzten Kuss ließ ich ihn gehen, als die Tür sich öffnete. Alina.

Sie stand regungslos in der Tür und sah zwischen Mik und mir hin und her. "Es stimmt also?", fragte sie, wobei sie ihren Blick weiter schweifen ließ. "Alina, können wir beide bitte rein und darüber nochmal sprechen?", fragte ich sie und hielt sie leicht an den Schultern fest. "Nein! Erst will ich eine Antwort! Marik?", richtete sie sich nun an ihn. Er hatte gerade verschwinden wollen. Mit offenem Mund sah er perplex zu mir und wusste nicht, was er sagen sollte. "Ja, es stimmt. Ich weiß zwar nicht genau, was du gehört hast, aber das mit uns beiden stimmt", erlöste ich ihn. Nachdem ich ihm ein Zeichen gab, machte er sich auf den Weg zurück. "Wie kann das sein? Er ist auch schwul? Seit wann läuft das, Kostas? Hast du mich die ganze Zeit betrogen? Das zwischen euch ist bestimmt nicht erst seit gestern!" Alina war wieder den Tränen nahe. Ich hielt sie weiter fest und ging mit ihr die Treppen wieder hoch zu ihrer Wohnung. "Ich will Antworten!" Wir standen immer noch im Treppenhaus. "Lass uns erst einmal hochgehen, Alina", versuchte ich es erneut. "Nein! Ich will nämlich, dass du so schnell wie irgend möglich verschwindest!", schrie sie mich an. Danach blieb sie weiterhin stehen und wartete auf meine Antwort.

Bi? Schwul? Hetero?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt