Kapitel 4 - Northside & Southside

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Vom Motel aus wende ich mich nach rechts. Nach wenigen Minuten tauchen die ersten Häuser auf. Schicke Straßen, mit hübsch bepflanzten Vorgärten. Die Wege sind sauber und es gibt nicht mal Unkraut rund um die gepflanzten Bäume. Die Häuser sind individuell und reichen von weiß gestrichenen Holzhäusern bis hin zu verklinkerten Häusern, die ich aus der Ferne kaum erkennen kann, da mich ein Tor vom Weitergehen abhält. Eine riesige Einfahrt und ein Vorgarten der größer ist als jede Wohnung die ich bisher hatte, sind das einzige, was ich sehen kann. Diese Art Häuser sind allerdings doch eher die Ausnahme. Dennoch ist dieses Viertel für die besser verdienenden Mitbürger der Stadt. Nachdem ich einige dieser Straßen gesehen habe, wende ich mich Richtung Pop's. 

Ich bin weder neidisch noch traurig, dass ich mir so eine schicke Wohngegend wohl in absehbarer Zeit nicht leisten werden kann. Ich mag es familiärer.  Außerdem sind die meisten Leute in solchen Gegenden oft eh nicht meine Kragenweite. Zu verklemmt. Zu sehr auf sich und ihr Image bedacht. 

Als hätte ich es beschrien, kommt just in diesem Moment eine Frau aus ihrem Haus. Sie trägt ein gelbes Kostüm. Bleistiftrock, Bluse, Blazer und farblich exakt passende Schuhe. Seit wann kann man denn auch Schuhe passend dazu kaufen? Vermutlich in Geschäften, die ich bisher nur von außen gesehen habe. Die Haare sind in einer perfekten Dauerwelle zurecht gemacht und um ihren Hals hängt eine Perlenkette, die mit Sicherheit teurer war als meine letzten 3 Monatsgehälter. Ich muss schmunzeln. 

Während ich gehe und der anderen Seite der Stadt immer näher komme, fällt mir der Unterschied erst recht auf. Es gibt keinen weichen Übergang von Villen zu Häusern zu Wohnungen und Wohnwagen. Der Schnitt erfolgt ziemlich genau bei Pop's. Wirklich kurios. Ich muss Jug unbedingt danach fragen. Da er bisher meine einzige Bekanntschaft hier ist, ist er auch meine einzige Quelle. Ich komme an einer Siedlung an, die nur aus Wohnwagen zu bestehen scheint. Ein paar Leute sitzen auf ihren Campingstühlen draußen vor dem Wagen. 

Zum Glück habe ich mich umgezogen. Ich wäre hier völlig deplatziert mit meinem Bewerbungsoutfit. Von diesem Ort geht eine subtile Wildheit aus. Ich kann nicht genau benennen, woran es liegt, aber ich bekomme eine Gänsehaut. Ich rüge mich selbst, da ich das Ganze auf meine miesen Vorurteile schiebe. Ich möchte offen bleiben für jeden Menschen. Dennoch komme ich mir den ganzen Weg durch die Siedlung beobachtet vor. 

Am frühen Abend sitze ich auf der Terrasse meines vorübergehenden Zimmers. Von weit her höre ich Donnergrollen. Noch zwitschern die Vögel, aber sobald sie verstummen, weiß man, dass entweder Regen oder ein Gewitter nicht mehr weit sind. Ein paar einzelne Regentropfen fallen zur Erde. Ich sehe tief schwebende Schwalben. Ja, es ist eindeutig schlechtes Wetter im Anmarsch. Nicht, dass ich Regen per se ablehnen würde. Ganz im Gegenteil. Ich liebe es, mich drinnen in eine Decke zu kuscheln, Tee zu trinken und bei Kerzenlicht einen Film zu sehen. Vorzugsweise mit einem Partner. Ich schnaube frustriert. Das mit dem Partner ist auf Eis gelegt. Zu tief sitzen der Schmerz und die Enttäuschung. 

Ich beobachte noch ein paar weitere Regentropfen, gehe hinein und schnappe mir meinen Regenschirm. Bevor die Schleusen des Himmels sich öffnen, möchte ich bei Pop's angekommen sein. Drinnen ist es um diese Uhrzeit an einem Freitagabend deutlich voller. Ich bemerke mehrere Gruppen von Teenagern die miteinander lachen und Milkshakes trinken. Einige sehe ich auch mit den leckeren Taccos von gestern. Ich wende mich zur Theke.

"Pop?" rufe ich in die Küche hinein. "Einen Moment  bitte." Ein paar Augenblicke später kommt Pop heraus. Er grinst mich an. "An Sie erinnere ich mich. Möchten Sie erneut von unseren Taccos probieren?" Ich grinse zurück. "Nein danke. Obwohl sie unglaublich köstlich waren. Ich bin hier wegen der Ausschreibung. Sie suchen eine Kellnerin?" "Aber ja! Kommen Sie her. Wir reden kurz im Büro." Das 'Büro' ist ein mit Papieren und Abrechnungen vollgepackter, kleiner Verschlag, der mir sofort sympathisch ist. Ähnlich sah mein Zimmer im Studentenwohnheim auch aus. Außer, dass unter dem ganzen Kram irgendwo ein Bett zu finden war. "Also," beginnt Pop "Sie möchten bei uns anfangen. Zuerst möchte ich zum 'Du' übergehen, wenn Ihnen das recht ist." "Aber natürlich, sehr gerne" sage ich fröhlich. "Ich bin Carla." "Ich bin Pop, aber da bist du ja schon selbst drauf gekommen." Er zwinkert mir zu. "Carla, hast du Erfahrungen oder ist das Kellnern neu für dich?" "Ich habe während meiner Studienzeit jahrelang als Kellnerin gearbeitet. Ich kann dir das gerne zeigen" schlage ich vor. Er klatscht in die Hände. "Hervorragend. Ich würde sagen, ich besorge dir eine Uniform und du arbeitest eine Stunde zur Probe. Danach besprechen wir uns, ob alles passt". 

Ich trage nie gelb. In der Uniform fühle ich mich etwas unwohl, aber der Blick in den Spiegel zeigt mir, dass ich ganz passabel aussehe. Ich stecke mir die Haare zu einem Dutt zusammen und fasse mir kurz über meine Halskette. Sie besteht aus einer Raute mit einem blassrosa Morganit. Mein Geburtsstein, den ich von meiner Großmutter bekommen habe, soll dabei helfen, Gefühle besser greifen und verarbeiten zu können. Auch, wenn ich nicht an astrologische oder kosmologische Zeichen glaube, so hat mir diese Kette schon oft innere Ruhe gegeben. 

Ich schnappe mir Tablett und Notizzettel und wende mich lächelnd dem ersten Tisch zu. 



Finding myselfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt