Kapitel 5 - Große, braune Augen

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"Hallo. Ich bin Carla, eure Kellnerin für heute Abend. Was kann ich für euch tun?" Erst nachdem ich diese Sätze gesprochen habe, sehe ich, wer vor mir am Tisch sitzt. Jughead hebt die Hand in einer kurzen Geste der Begrüßung. "Hey Carla. Schön, dass das mit dem Job so schnell geklappt hat. Wir haben uns heute morgen verpasst. Sonst hätte ich dich direkt hier hin gebracht." "Kein Problem" winke ich ab. "Ich bin schon groß und komme allein zurecht." Meistens jedenfalls füge ich in Gedanken hinzu. "Hey, Juggie, du hast mir gar nicht erzählt, dass du so hübsche Frauen kennst" sagt ein Mann mit dunkler Stimme. Ich erröte ein wenig. Es ist lange her, seit mir jemand öffentlich ein Kompliment gemacht hat. "Ähm ja," stammelt Jug verlegen. "Dad, das ist Carla. Wir haben uns gestern kennengelernt. Carla, das ist mein Dad, FP". Ich schaue zu ihm rüber und blicke in zwei große und sehr dunkle braune Augen, die mich so intensiv anschauen, dass meine Haut anfängt zu prickeln. Jughead stellt mir auch noch die beiden anderen am Tisch vor. Der Junge mit den roten Haaren, den ich heute morgen nach dem Weg gefragt habe und seinen Dad. Ich kann mir die Namen jedoch nicht merken, da es mir schwer fällt, mich FP's Blick zu entziehen. Ich muss ein paar mal blinzeln. "Was kann ich euch denn bringen?" bringe ich heiser hervor. 

Nachdem die vier bestellt haben, gebe ich die Bestellung an die Küche weiter. Während ich auch die Bestellungen von zwei weiteren Tischen aufnehme, wandern meine Augen immer wieder zurück zu Jug und seinen Begleitern. Fast stolpere ich, weil ich FP immer wieder kurz anschaue. Mein Gott denke ich. Was ist denn nur los... Das hier ist Tag zwei in meinem neuen Leben und schon werde ich beim ersten attraktiven Mann schwach? Und FP ist attraktiv. Sehr sogar. Der Dreitagebart steht ihm ausgesprochen gut und sein Flanellhemd erinnert mich erneut an eine Figur aus meiner Lieblingsserie. Als ich den Vieren ihre Bestellung gebe, vermeide ich vorsichtshalber jeden Blickkontakt und ziehe mich schnell wieder zurück. 

Die restliche Probestunde verläuft ohne Zwischenfälle und ist schneller vorbei als ich dachte. "Gut," setzt Pop an "das sieht doch alles ganz ordentlich aus. Wenn du magst, kannst du gerne an drei Abenden die Woche für vier Stunden herkommen. Für mehr Stunden habe ich leider kein Geld und ich kann dir auch nur den Mindestlohn zahlen. Aber Mitarbeiter bekommen hier einen kostenlosen Milkshake am Tag." Er sieht mich entschuldigend an. "Hey, das macht gar nichts. Ich bin absolut zufrieden mit deinem Angebot. Das ist ein guter Anfang. Und wer weiß, vielleicht bekomme ich bald noch eine weitere Chance." 

Nach Vertragsunterzeichnung zwinkert Pop mir verschwörerisch zu und reicht mir eine Liste. Verwirrt schaue ich darauf. Ich lache. Hier steht eine Tabelle, in der jeder Mitarbeiter mit Namen und Lieblingsmilkshake aufgelistet ist. Schwierig. Ich kenne bisher nur einen Shake hier. "Ich werde einfach mal 'Muss sich noch durch die Karte arbeiten' notieren" sage ich amüsiert. "Dann fangen wir am besten direkt an" sagt Pop und erhebt sich. "Milkshake 1 von der Karte. Erdbeere. Einen Moment." Dieser Mann ist wirklich nett. Ich freue mich darüber, dass mich mein Weg so schnell hier hin geführt hat. Die Zusammenarbeit wird bestimmt toll. 

Ich ziehe mich um und lege meine Uniform in meinen Spind. An der Theke angekommen lasse ich meinen Blick durch den Laden schweifen. Das Publikum ist durchwachsen, wenn auch überwiegend jünger. Ich tippe darauf, dass die meisten die hiesige High School besuchen. Vermutlich gibt es als Dorfkind hier nicht allzu viel zu erleben an einem Freitagabend. Meine Gedanken wandern ein paar Jahre zurück. Jamie und ich stehen Stunden zu früh vor der noch verschlossenen Tür zur Konzerthalle. Wir sind so aufgeregt, weil wir unsere Lieblingsband zum ersten Mal live sehen werden und wollen unbedingt in der ersten Reihe stehen. Während wir warten, lernen wir andere Fans kennen und fangen spontan an, einige Lieder zu singen. Wir lachen und erfreuen uns am Leben. Der Moment, als unsere Lieblingsband nach und nach auf die Bühne kommt, die Lichter auf einmal explodieren und der Bass ertönt werde ich nie wieder vergessen. Ich weiß, dass das hier ein Moment ist, den ich für immer in meinem Herzen tragen werde. Hier, zusammen mit meiner besten Freundin und einer Band, die mich mehr als einmal von sehr schlechten Gedanken abgelenkt hatte.

Gott, ich vermisste Konzerte. Jamie und ich hatten seitdem unzählig viele Bands in mehreren Bundesstaaten und sogar Kontinenten gesehen. Wir hatten teilweise von Konzert zu Konzert gelebt, weil die Atmosphäre so einzigartig und lebendig war, dass es sich wie auf Droge anfühlte. Und ich vermisste Jamie...

"Na, wer ist denn da völlig in Gedanken versunken?" Langsam komme ich von meiner Erinnerung zurück. Hat jemand mit mir gesprochen? Oh... Erneut blicke ich in die tiefbraunen Augen von Jugheads Dad. Ich hatte nicht bemerkt, dass er aufgestanden war und nun direkt vor mir stand. Er ist groß. Allerdings ist neben mir auch fast jeder groß. Ich schätze ihn auf ungefähr 1,80 Meter. Er sieht mich erwartungsvoll an. "Sorry, haben Sie etwas gefragt?" murmele ich. "Na na, ich fühle mich gleich so alt, wenn ich gesiezt werde. Und so alt bin ich doch noch gar nicht, oder?" Während er das sagt zwinkert er mir zu. "Ähm... nein natürlich nicht." Verlegen streiche ich mein Shirt glatt und schaue zu Boden. Woher soll ich nun bitte wissen, wie alt er ist. Schätzen gehört nicht unbedingt zu meinen Stärken. Die ganze Situation wird mir etwas unangenehm. Nicht, dass es mir nicht schmeicheln würde, dass mit mir geflirtet wird, aber ich bin nicht gut in sowas.

Zum Glück kommt gerade in diesem Augenblick Pop mit meinem Erdbeershake zurück. "Der Drink der Lady geht auf mich" sagt FP. "Tja, da hast du ja heute Glück und kannst dein Geld behalten." Ich proste ihm zu. "Mitarbeiterrabatt." Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem leichten Lächeln und ich bekomme eine leichte Gänsehaut. Ich lächle zögerlich zurück und nippe an meinem Drink. "Ich muss jetzt los" sagt FP und schaut an den Tisch, wo sich die anderen bereits erheben. "Normalerweise bin ich nicht hier, aber das könnte sich ab jetzt ändern." Er beißt sich auf die Unterlippe und gleitet kurz mit dem Blick über meinen Körper. Und genau dieser Körper lässt mich erneut im Stich. Ich bin sehr erleichtert, dass FP sich umdreht und mit den anderen geht, denn ich kann den wohligen Schauer, der meinen Rücken heruntergleitet nicht länger unterdrücken. 

Plötzlich fällt mir ein, dass ich Jug ja zum Essen einladen wollte. Ich schlage mir mit der Handfläche vor die Stirn. Ich bin wirklich eine lausige neue Bekanntschaft. 

Finding myselfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt