Kapitel 7 - Musik = Liebe

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Ich gehe hinter die Theke und scrolle durch die Mediathek für die Musik. So Chartsmusik ist nicht unbedingt meins. Und da keiner da ist, um sich zu beschweren, mache ich klassischen Rock'n'Roll an. Ja, ich habe in den letzten Monaten immer mehr die Liebe zu dieser klassischen Variante entwickelt. Kurz vor meiner Flucht habe ich sogar einen Tanzkurs besucht, um Rock'n'Roll, Charleston und Twist zu lernen. Voller Liebe denke ich daran zurück. Mir hat kaum etwas im Leben mehr Spaß gemacht, als zu tanzen. Klavier spielen ist meine große Liebe, aber tanzen kommt gleich danach.

Ich finde das tolle Cover von Rihanna's Umbrella von den Baseballs und kann mir ein riesiges Grinsen nicht verkneifen als die ersten Töne erklingen. Ich drehe die Musik voll auf und fange an zu tanzen und zu singen. Da man nur bedingt alleine tanzen kann, improvisiere ich nach einiger Zeit. Ich wische schwungvoll die Tische und fühle mich nach langer Zeit endlich wieder frei.

"Du musst etwas richtiges studieren, Kind", sagt meine Mutter vorwurfsvoll. "Musik ist kein richtiges Studium. Niemals wirst du mit so einem emotionalen Schwachsinn Geld verdienen. Sieh dir nur deine Schwester an. Sie ist Ärztin geworden und war Klassenbeste." Das Geschwafel meiner Mutter und das Bauchpinseln meiner Schwester ziehen sich in die Länge und ich höre auf, zuzuhören. Dass meine Eltern nicht begeistert sein würden, wenn ich ihnen sage, dass ich gerne Musik studieren möchte, war mir klar. Aber dass sie sich SO sehr darüber aufregen und nicht mehr aufhören, auf mich einzuwirken, hätte ich nicht erwartet. 

Irgendwann gebe ich nach und schreibe mich für Psychologie ein. Nicht, dass mich dieses Fach nicht auch interessiert, aber Musik ist mein Leben. Mein Lebensbegleiter, mein Lebenselixier. Ich würde ohne Musik verkümmern. Meine Welt würde aufhören, sich zu drehen.

Mit einer letzten schwungvollen Drehung zum Ende des Liedes, wende ich mich wieder der Theke zu, öffne die Augen und hätte fast geschrien. Vor mir steht FP, ein freches Grinsen auf den Lippen und applaudiert. "Darling, du hast wirklich Rhythmus." "Ja, danke... Ich habe eine Zeit lang getanzt. Nichts besonderes", winke ich ab. Das kann doch nicht wahr sein. Was macht der denn hier? 

"Was kann ich für dich tun, FP?", frage ich und will mich an ihm vorbei zur Theke schieben. "Na ja,", setzt er an und geht einen kleinen Schritt zur Seite, der mich zum Anhalten zwingt "wenn du so fragst..." Ich schaue zu ihm hoch und unterdrücke einen Seufzer. Ich kann seinen Geruch einatmen. Und was ich rieche, gefällt mir außerordentlich gut. Er riecht... männlich. Warum ist er so heiß? Und seit wann fühle ich mich von Männern angezogen, die vermutlich mein Vater sein könnten?

Offensichtlich überlegt FP es sich anders - was auch immer er vor hatte, dreht sich zur Theke und setzt sich auf einen Barhocker. Erleichtert atme ich aus. Ich gehe hinter die Theke, was zusätzlich etwas Abstand und Sicherheit bietet und frage ihn erneut: "Also, kann ich dir etwas bringen oder erschreckst du einfach nur gerne Menschen?" Er sieht sich um. "Ich wollte nur sehen, ob hier alles in Ordnung ist. Juggie war vorhin mit dem Cooper-Mädchen da und meinte, dass du hier heute alleine bist." Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Wieso sollte es ihn interessieren, ob es mir gut geht oder ob ich hier ausgeraubt werde?

"Ooookay," setze ich an "das ist sehr... aufmerksam von dir. Danke." Ehrlich gesagt bin ich ziemlich erleichtert, dass er hier ist. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich mir nicht etwas Sorgen gemacht hätte. Aber das würde ich vor ihm niemals zugeben. "Da du mir keine Anweisung gibst, bringe ich dir jetzt einen Milkshake. Ich wollte mir auch gerade einen machen", sage ich und verschwinde in der Küche. Ich höre, wie sich die Musik von Rock'n'Roll in ein Lied verwandelt, welches ich nur zu gut kenne. Meine Augen werden wässrig. Kurz muss ich mich an der Küchenzeile festhalten und mich fangen. 

Atme, atme, atme weiter sage ich zu mir. Du kannst jetzt nicht zusammenbrechen. Nicht hier, nicht vor ihm. Leider habe ich nicht so viel Glück. Scheinbar kann mich FP von seinem Platz aus sehen. 

FP's POV

Carla wendet mir den Rücken zu und geht in die Küche. Netter Hintern. Bei dieser Uniform kommen mir noch ganz andere Gedanken, aber ich halte mich zurück. Ich würde sie nur verschrecken, wenn ich jetzt zu forsch bin. Als das Lied ruhiger wird, sehe ich, dass sich ihr ganzer Körper verkrampft und sie sich an der Küchentheke festkrallt. "Hey, alles okay bei dir?", rufe ich ihr zu. Sie atmet tief durch und dreht sich zu mir um. "Ja, sicher. Alles klar. Mach dir keine Gedanken." Sie versucht, aufrichtig zu lächeln, aber das Lächeln erreicht ihre Augen nicht. Welchen Dämonen versucht sie nur zu entkommen?

Carla's POV

Mit leicht zitternden Händen versuche ich unsere Shakes zu mixen. Verdammtes Lied, verdammte Jamie, verdammter Charles... "Scheiße." Das Glas zerbricht in meiner Hand und ich schnappe nach Luft. Vage nehme ich wahr, dass FP sich von seinem Platz erhebt und zu mir eilt. Ich sinke auf den Boden und fange an zu weinen. Das Blut nehme ich nicht wahr. Der Schmerz bricht über mir zusammen und ich kann die Gefühle nicht mehr aufhalten. Meine Selbstkontrolle bricht.

FP sinkt zu mir auf den Boden. "Süße, was machst du denn? Zeig mal her." Er nimmt meine blutende Hand. Er erhebt sich kurz und kommt mit einem nassen Lappen zurück. "Hier, wir müssen das sauber machen. Ich kann nicht sehen, wie schlimm es ist." Seine Stimme beruhigt mich. Sie ist so ruhig und dunkel. Ich sehe ihn mit tränenverschleierten Augen an und nicke. Als FP langsam meine Hand sauber macht, schluchze ich weiter. Ich befürchte einen richtigen Nervenzusammenbruch oder eine Angstattacke. Wundervoll. 

"Schau mich an." FP nimmt mein Gesicht in seine Hände. Ich blicke auf. "Ganz langsam ein- und wieder ausatmen, ja? Alles wird wieder gut. Ich bin bei dir." Während ich ihm in die Augen schaue und seiner Stimme folge, werde ich langsam ruhiger. Die Schluchzer werden weniger. Erst jetzt wird mir klar, dass er denken muss, dass ich wegen dem Blut so am Ende bin. Vermutlich ist das besser so. Lieber als Weichei durchgehen, als mein gebrochenes Herz auf den Tisch zu legen.

Er nimmt die Hände von meinem Gesicht und schaut wieder auf meine Hand. "Hör mal, ich fahre dich lieber ins Krankenhaus." "Nein nein, das ist  nicht nötig. Ich kann hier noch nicht weg. Meine Schicht endet erst in zwei Stunden." Ich werfe einen kurzen Blick auf meine Hand und erschrecke mich. "Oh, ich blute ja", bringe ich verwundert heraus. FP zieht die Augenbrauen zusammen, sagt aber nichts. "Wir fahren jetzt ins Krankenhaus. Keine Widerrede. Komm." Er zieht mich behutsam hoch und bindet mir ein Handtuch um die Hand. Er findet meine Schlüssel in der linken Tasche der Uniform, dreht die Musik aus und leitet mich vor die Tür. 

Bevor wir an seinem Truck ankommen, wird mir auf einmal wärmer. Eine Jacke, die verdächtig nach FP riecht, legt sich um meine Schultern. Ich steige auf den Beifahrersitz. FP steigt ebenfalls ein und kramt kurz in der Ablage herum. "Hier", sagt er nur, und reicht mir ein Paket Taschentücher. Ich muss schrecklich aussehen. Während ich meine Tränen trockne, fahren wir los.

Finding myselfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt