Am Abend
Die Angst trifft mich in Wellen. Meistens abends oder nachts, wenn ich schlafen sollte, aber mein Gehirn einfach nicht still sein will und sich das Gedankenkarrussel wie verrückt dreht. Heute ist es wieder so weit. Ich liege seit Stunden wach und bereue jede Entscheidung, die ich in den letzten Wochen, nein Jahren, getroffen habe. Wie konnte ich nur jemals glauben, ich wäre gut genug? Nein, ich war definitiv nicht gut genug. Ich war nicht gut genug für Charles, obwohl ich mein ganzes Herz, mein ganzes Sein in diese Beziehung gelegt habe und unaufhörlich an mir gearbeitet habe. Ich wollte es so sehr. Es sollte halten. Er sollte derjenige sein, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringe. Haus in einer Vorstadt, zwei Kinder, Hochzeit, Job, Freunde, Familie. Doch das alles ist mit einem Moment in sich zusammen gefallen. Ich musste diesen Traum begraben. Warum also sollte ich nun genug sein? Es war nie genug. Ich war nicht genug.
Tränen rollen erneut meine Wangen herunter. Ich habe Schwierigkeiten zu atmen, da meine Nase zugeschwollen ist vom vielen Weinen in den letzten Stunden. Wie konnte alles nur so schrecklich schief gehen in meinem Leben? denke ich frustiert. Wie konnte ich mich von einem fröhlichen, lebensbejahenden und selbstbewussten Teenager zu einer verängstigten, unsicheren und zynischen Frau entwickeln? Ich habe einen Abschluss in Psychologie und habe theoretisch Ahnung, wie es dazu kommen konnte, aber es schockiert mich trotzdem immens. Ich habe einen Nervenzusammenbruch. Und diesmal ist niemand da, der mich auffängt, der mir sagt, dass ich kein so schlechter Mensch bin wie ich denke und der mich in den Arm nimmt, bis meine Tränen trocknen. Diesmal muss ich alleine durch diesen Schmerz.
Der Schmerz ist enorm.
Noch immer leicht verkatert von der letzten Nacht und der festen Überzeugung, dass FP niemals mehr in mir sehen wird, versuche ich weiter verzweifelt endlich einzuschlafen. An manchen Tagen geht es mir gut. Seit ich in Riverdale bin, war es eigentlich ganz schön. Ich hoffe sehr, dass Jug und ich gute Freunde werden, ich meinen Job als Schulpsychologin gut mache und sich irgendwann wieder etwas wie Normalität einspielt. Und erst dann wollte ich mich wieder für eine Beziehung öffnen. Langsam. Mit der Zeit. Doch mein Herz sagt längst etwas anderes.
Ich kann absolut nicht leugnen, dass der Abend mit FP - und eigentlich jede Begegnung mit ihm - mehr als schön war. FP gibt mir das Gefühl, beschützt zu werden. Bei ihm muss ich nicht stark sein. Nicht kämpfen. Aber wie soll das nur klappen? Er hat so viele Frauen um sich. Zunächst mal seine Ehefrau. Wow, wie sich das anhört... Ehefrau... Mit der er zwei Kinder hat. Kinder, von denen das eine nur ein paar Jahre jünger ist als ich. Wenn das unseren Altersunterschied nicht deutlich zeigt, was dann?
Und was sollte er ernsthaft von jemandem wollen, der theoretisch sein Kind sein könnte. Vor allem, da es jede Menge Serpent-Frauen gibt, die viel hübscher und interessanter sind. Trotzdem hatte er gestern nur Augen für dich und hat sogar mit dir vor allen anderen geknutscht. Und, er ist mit dir zusammen aus der Bar verschwunden. Eine kleine, hoffnungsvolle Stimme meldet sich. Ja, vielleicht wird diesmal alles anders. FP ist nicht Charles. FP ist so viel, was Charles nie sein wird.
Ich schniefe ein letztes Mal, trinke einen Schluck und richte mich im Bett auf. Schluss mit der Angst. Schluss mit den Selbstzweifeln. Schluss. Ich greife mein Handy und suche FP's Nummer. Meine Hand verharrt einen Moment über dem Knopf für den Hörer. Soll ich das wirklich machen? Vielleicht schläft er schon. Vielleicht... Nein! Ich mache es einfach.
Es klingelt.
Nach drei unendlich langen Momenten, in den es am anderen Ende klingelt, hebt FP endlich ab. "Hey du. Was verschafft mir die Ehre?" FP klingt wach.
"Ich... also, ich hab mich gefragt, ob du Lust hast, vorbei zu kommen. Es ist schon spät, schon klar. Aber..." "Aber?", höre ich ihn am anderen Ende der Leitung etwas zu amüsiert fragen. Na toll, er spielt mit mir... Ich straffe mich innerlich und setze mich dabei auch aufrechter hin. "Aber," setze ich an "ich würde dich gerne sehen." So, da habe ich es gesagt. Frei heraus.
"Bin in 10 Minuten da." Ich kann hören, wie er lächelt und freue mich. Sehr. Wir legen auf.
10 Minuten? Ohjeeee, da muss ich mich aber schnell wieder herrichten. Etwas hektisch, aber euphorisch rase ich ins Bad. Der Abend nimmt doch noch eine überraschende und sehr schöne Wendung. Fühlt es sich so an, wenn man sich durch die Angst kämpft? Vielleicht sollte ich das öfter probieren.
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Finding myself
FanfictionCarla lässt ihr altes Leben hinter sich und fährt ohne Ziel ins Unbekannte um ihr Leben wieder neu zu ordnen. Die Bewohner ihrer neuen Heimat sind größtenteils nett und zuvorkommend - zumindest auf der einen Seite der Stadt. Und obwohl Carla sich na...