9. Das Antlitz der Bäume wird verschmutzt und wir feiern trotzdem eine Party

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9. Das Antlitz der Bäume wird verschmutzt und wir feiern trotzdem eine Party

Mit ebenso schwachen Händen hob ich die Akte vom Boden auf und ließ sie zurück in meine Umhängetasche gleiten. Upps, die sich auf dem Boden niedergelassen hatte, beobachtete mich aus müden Augen dabei. Ich konnte mir dieses Papier nicht weiter anschauen. Zu groß war schon der Widerwillen gewesen, sie Luke zu zeigen.

Schon als ich sie bei Hydra entdeckt hatte, wusste ich, sie würde mein Leben vollständig durcheinander bringen. Sie würde alles zerstören, was ich mir so mühsam im Laufe der Jahre errichtet hatte. Sie würde alles einstürzen lassen, wie ein Kartenhaus, das nur einen kleinen Anstubser benötigte.

Und vielleicht geschah das gerade wirklich. Möglicherweise hatten diese Papiere gerade mein Leben ruiniert.

Doch obwohl ich es geahnt hatte, obwohl meine Vernunft versucht hatte, über dieses seltsame Verlangen zu siegen, hatte ich sie mitgenommen. Weil es meine Aufgabe war. Weil es einfach sein musste.

»Weißt du, mich hat das ja auch schockiert. Aber trotzdem solltest du das Andenken dieser armen Bäume, die für die Akte sterben mussten, nicht beschmutzen, in dem du sie auf den Boden fallen lässt«, sagte ich.

Luke sah verstört zu mir herüber. Sein Blick wirkte leer. »Was bin ich für dich?«, fragte er völlig unvermittelt und unzusammenhängend.

»Was?!« Perplex musterte ich ihn.

»Was bin ich für dich?«, wiederholte er. Diesmal sprach er langsamer, als rede er mit einem kleinen Kind, das einfach nicht verstehen wollte.

»Tut mir leid, ich weiß nicht, wie du das meinst.« Ich runzelte verwirrt die Stirn. »Du bist mein Bruder. Mein bester Freund. Mein Sandkastenkumpel.«

Freundschaftlich stieß ich ihm in die Seite. »Lass uns mal nach den anderen sehen.«

Ich ging und ließ die Tür hinter mir offen stehen, damit Luke mir folgen konnte. Dabei entging mir die plötzliche Härte in seinem Blick. Die Härte, die zugleich unendlich leer wirkte.

Es dauerte eine ganze Weile, bis wir die Helden fanden.

»Warum habt ihr Smoothies und ich nicht?«, rief ich aus und schnappte mir den lilanen Smoothie von Tony.

»He!«, protestierte er. Doch ich versteckte mich schnell hinter Luke, ehe er ihn sich zurückholen konnte.

»Wer's findet, darf's behalten«, sagte ich und streckte dem Erfinder die Zunge raus.

Ich ließ mich auf einen Drehstuhl nieder, rollte etwas hin und her und schlürfte zufrieden meinen Smoothie. Die anderen redeten über irgendetwas, doch ich hörte nicht wirklich zu. Meine Gedanken schweiften wieder einmal ab, während ich meine Umhängetasche umklammerte. Ich hatte es einfach nicht über das Herz gebracht, sie zurückzulassen.

Die letzten Tage waren wirklich schlimm gewesen, einer schlimmer als der andere. Doch dieser Tag - den konnte man wohl ins Guinness Buch der Rekorde als den allerschlimmsten, lebensversauensten Tag aller Zeiten eintragen.

Na schön, ich hatte Upps wiedergesehen - Oh, und Luke ebenfalls -, doch konnte bei jedem Schritt, den ich tat, die Last auf meinen Schultern spüren, die die Akte dort mal eben abgelegt hatte. So nach dem Motto: Oh, durch einen bescheuerten Unfall hast du seltsame Fähigkeiten bekommen, mit denen du nun andauernd die Welt retten musst? Wie schade. Naja, dann mach ich mal alles noch schlimmer, indem ich dich mir offenbare! Das wird lustig!

Es war nicht lustig. Ganz und gar nicht.

Wobei ich hatte schon wieder ein solches Pech, dass es schon beinahe albern war. Konnte man das als lustig gelten lassen?

Jasmin Strange - Wir lassen Gras darüber wachsenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt