ACHTUNDZWANZIG | Greenlight

86 6 2
                                    

Ich laufe durch die vollen Flure meiner Uni, doch ich habe nicht das Gefühl, dass mich jemand wahrnimmt. Als würden sie mich gar nicht sehen. Genervt versuche ich mich zwischen den Studenten hindurchzuschlängeln, um zum Ausgang zu gelangen. Ich muss unbedingt nach Hause und mir weitere Notizen machen, so lange, wie ich noch weiß, was ich noch alles ergänzen wollte.
Als ich es endlich geschafft habe, sehe ich, dass mein Bus gerade ankommt. Heute habe ich wohl Glück, denke ich und lächle, als ich einsteige und auch noch einen leeren Platz finde, auf den ich mich fallen lasse.
Nach dem Aussteigen laufe ich die paar Blocks bis zu mir nach Hause. Sobald ich meine Haustür sehe, sehe ich auch den Postboten, der verzweifelt auf meinen Klingelknopf drückt und sich anschließend kopfschüttelnd umdreht. Ich stehe lächelnd vor ihm: „Das ist dann wohl für mich."
Er macht ein erleichtertes Gesicht und lässt mich unterschreiben. Als ich auf den Absender blicke, habe ich sofort alles vergessen, dass ich mir irgendwie merken wollte. Sydney, Australien. Ich merke gar nicht, wie ich in meine Wohnung gehe und wie in Trance das Klebeband abreiße. Zum Vorschein kommt ein Brief und eine in Luftpolsterfolie eingewickelte DVD. Ich zögere, doch schließlich nehme ich den Brief in die Hand und fange an Michaels Schrift Wort für Wort mit vollem Bewusstsein und voller Konzentration zu lesen.

Hi Xen,
Du musst herkommen. Ash ist am Boden... Er kann nicht mehr... Er braucht dich... Bitte... Hilf ihm... Er bricht wieder zusammen... Und ich vermisse dich auch... Also gib dir einen Ruck und mach was... Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass es dir nicht gut gehen kann. Dass es dir genauso geht wie Ash. Ihr seid so eine Art freundschaftliche Symbiose. Ihr braucht euch zum Leben einfach.
Und warum hast du eigentlich Luke noch nicht angerufen? Sind wir dir egal geworden? :( Oder wovor hast du Angst? Wenn du Angst davor hast, dass Luke noch sauer ist... Ist er nicht. Er ist nur enttäuscht... Wenn du mich fragst, merkt man total, dass er Arz nicht liebt. Er hat kein Bild von ihr in seinem Portemonnaie, er hat eins von euch, auf dem ihr beide lacht... Er liebt dich wirklich und nach dem was du mir erzählt hast, tust du das auch, also mach bitte etwas dafür...
Ally lässt ausrichten, dass es bei ihr und Cal super läuft, weil sie meinte, dass dich das sicher interessiert. Außerdem hat sie diese DVD beigelegt, die du dir unbedingt ansehen musst.
Luke weiß nicht, dass wir diesen Brief geschrieben haben, er würde sonst durchdrehen, aber wir vermissen dich alle sehr und ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass wir dir egal sind... Ich weiß einfach, dass du uns auch vermissen musst. Also melde dich bitte... Es ist total egal wie, nur bitte melde dich mal...
Ich hab dich lieb,
Michael

Ich lese den Brief mehrmals und bei jedem Mal kommen neue Tränen hinzu, die auf das Papier tropfen. Mit verschleiertem Blick nehme ich die DVD und schiebe sie in das Laufwerk meines Laptops.
Ich sehe nur verschwommene Farben, bis ich auf Play drücke und ich eine handygefilmte Aufnahme der Bühne sehe.
Luke steht am Mikrofon und kündigt das nächste Lied an. Doch vorher richtet er sehr deutlich eine Botschaft an mich: "Hey... Falls du das hier irgendwie sehen solltest... Vielleicht kannst du zu einem Konzert kommen und dich zeigen. Verdammt ich liebe dich. Und ich brauche dich. Und deswegen ist dieses Lied jetzt für dich! Gimme the GREENLIGHT!"
Ich zögere nicht mehr, als ich nach meinem Handy greife und Lukes Nummer wähle.
„Ja?", höre ich seine vertraute Stimme.
Doch so schnell, wie ich mein Telefon ergriffen habe, ist mein Mut wieder gesunken. Ich zwinge mich zum Sprechen: „Ich habe es irgendwie gesehen..."
Er ist still.
„Luke... Ich weiß, dass ich unglaublich viel falsch gemacht habe... Ich kann es mir selber nicht verzeihen, deshalb wäre es ein Wunder, wenn du es könntest. Aber ich möchte dich trotzdem darum bitten. Und ich weiß, du hast keinen Grund mir zu verzeihen, weil du denkst, dass du mir egal wärst und ich dich nicht liebe. Aber das stimmt nicht Luke. Ich habe mich nicht gemeldet, weil ich mich ablenken wollte. Ich habe nur noch gelernt. Doch du unterbrichst mich dabei immer. Ich denke jeden Tag an dich. Und ich will dich nicht verlieren. Es tut mir leid Luke. Bitte gib mir noch eine Chance und lass mich alles besser und wieder gut machen. Ich liebe dich. Und das glaube ich nicht nur... Das weiß ich... Und ich vermisse dich. Deine Umarmungen, deine Worte unsere Spaziergänge, unsere albernen Fotos... Luke ich vermisse uns.", rede ich darauf los, doch als ich geendet habe, bleibt es weiter still. „Luke?", hinterfrage ich, ob er überhaupt noch da ist.
Ich höre ein Seufzen. „Das hättest du dir früher überlegen sollen. Ich bin mit Arz glücklich... Du hast keine Ahnung, wie alt dieses Video ist oder?"
Ich versuche meine Tränen zu unterdrücken, doch meine Stimme klingt trotzdem tränenerstickt: „Na dann... Störe ich mal nicht weiter... Aber sag bitte den anderen, dass ich angerufen habe... Und dass ich sie auch vermisse... Und sie nie vergessen könnte..." Dann lege ich auf und werfe mein Handy weg, sodass es auf der anderen Seite des Zimmers landet und weine so heftig und lange, dass ich keine Luft mehr bekomme. Warum ist mein Leben bloß so am Arsch? Warum mache ich nur alles falsch?

Berlin Love AffairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt