VIERUNDDREISSIG | All Denen, Die Uns Am Nächsten Stehn, Tun Wir Am Liebsten Weh

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Ich starre ihn in Trance an. Was macht er hier? Was denkt er sich überhaupt? Er läuft auf mich zu und stellt mir ein Tablett mit Frühstück hin.
„Luke...", knurre ich leise.
Seine harten Züge weichen einen kurzen Moment verletzen und entschuldigenden. Hat er etwa eingesehen, dass er mich dazu getrieben hat mich zu betrinken, Ash zu küssen und mich selbst zu hassen? Doch als ich ihn erneut ansehe, rede ich mir ein, dass ich mir das eingebildet haben muss, denn seine Mimik zeigt keine Regung mehr.
„Ich wollte dir nur Frühstück bringen", sagt er leise. Dann dreht er sich um und geht wieder, während ich ihn böse anstarre. Doch das halte ich nicht lange aus. Es bricht mir das Herz, dass er mir noch immer die kalte Schulter zeigt.
„Liebe ist scheiße", sage ich zu meiner frisch verheirateten besten Freundin, als die Tür ins Schloss gefallen ist.
„Aber Luke kann nichts dafür! Du hast das ganz alleine zu verantworten!", schnauzt Ally mich an, „Ich würde vorschlagen du schwingst deinen hübschen Po aus dem Bett und gehst zu Ash."
Ich nicke stumm. Aber vorher muss ich etwas gegen meine Übelkeit tun. Ich dusche, esse, ziehe mich um, trinke zwei Gläser Wasser und dann geht es mir besser. Ally bleibt die ganze Zeit bei mir und mustert mich kritisch.

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Ich zögere, bevor ich anklopfe. Was soll ich denn sagen? Was kann das entschuldigen? Welche Ausrede habe ich? Keine... Aber ich muss etwas tun...
Ich reiße mich zusammen und klopfe zaghaft an die Tür. Ich traue mich nicht einzutreten, deshalb warte ich, bis Ash mir öffnet. Mir kommen die Tränen, als ich seine roten, glasigen Augen und seine roten Wangen sehe. Er zittert am ganzen Körper, als er mich sieht. Wortlos tritt er einen Schritt zurück und lässt mich rein.
Nur weil Ally mir verzeiht, heißt es nicht, dass Ash es auch tut...
Ich fühle mich unendlich schlecht, während ich verloren mitten im Raum stehen bleibe.
Ich drehe mich vorsichtig zu Ash um, der sich aufs Bett hat fallen lassen. Es herrscht minutenlang unangenehmes Schweigen.
Ich räuspere mich. „K- kann ich mich setzen?", frage ich im Flüsterton.
Zuerst ignoriert er mich scheinbar, dann sieht er auf, sieht mich unschlüssig und verletzt an, wägt ab, nickt schließlich. Ich setze mich weit weg von ihm, was ihn etwas zu entspannen scheint.
Gott, was hab ich bloß getan? Das lockere wundervolle Verhältnis zwischen uns ist weg. An seiner Stelle steht nun Misstrauen und Verletzlichkeit. Und ich hasse den Gedanken, dass ich ganz alleine daran schuld bin. Es wird alles wieder gut, das verspreche ich dir., kommen mir Michaels Worte wieder in den Sinn. Nein... Hier wird nichts wieder gut... Hier ist und geht alles kaputt... Wegen mir...
Ich traue mich einen kurzen Blick zu Aston zu werfen. Meinem besten Freund... Den ich unglücklicherweise geküsst habe...
„Ash es tut mir so leid!", bricht es aus mir hinaus, „Ich war so betrunken und Luke hat mich so wütend gemacht, und ich habe nicht nachgedacht. Ich weiß, dass du mir nicht mehr vertraust und ich verstehe, wenn du mir nicht mehr vertraust und mich hasst, das ist vollkommen in Ordnung... wirklich... Ich verdiene nichts anderes... Ich... Es tut mir einfach so unbeschreiblich leid." Ich kann mich nicht mehr halten und breche in Tränen aus.
„Ich weiß, dass es dir leid tut... Und ich hasse dich nicht, ich- ich brauche nur etwas Abstand... glaube ich..."
Ich nicke. Ich verstehe es wirklich. Trotzdem fühlt es sich an, als würde sich ein Messer direkt in meiner Brust drehen. So wie sich hier alles dreht und wendet, werde ich frühestens bei ihrem nächsten Konzert wieder etwas von ihnen hören, wenn ich hingehe... Und selbst wenn ich es tue, was bringt es, sie werden niemals wissen, dass ich da bin...
Das ist zu viel. Ich springe vom Bett auf und renne fast auf die Badtür zu, um mich meinem Total - Zusammenbruch hinzugeben.
„Xenia nein!", ruft Ash panisch, doch da habe ich die Tür schon hinter mir verschlossen und den Schlüssel herumgedreht. Ich lehne meine Stirn gegen die Tür und versuche gleichmäßig zu atmen, was mir so gar nicht gelingt. Ash hämmert gegen die Tür und fleht mich an ich solle sie aufmachen, doch ich bin damit beschäftigt zu versuchen, nicht an meinen Tränen zu ersticken.
Ich drehe mich langsam zum Waschbecken, um mich mit kaltem Wasser abzukühlen, doch dazu kommt es gar nicht, denn ich erstarre.
Blut... Ashs Blut... Nein... Ich blicke auf die Klinge, die auf der Ablage liegt. Ich unterdrücke das Bedürfnis zum ersten Mal selbst danach zu greifen.
Es fällt mir so schwer. Es ist so verlockend... Doch ich weiß es bringt nichts. Ich weiß auch, dass Ashton es wieder getan hat. Er hat es wegen mir wieder getan, er hat wegen mir getan, wovor ich ihn bewahren wollte, wovon ich ihn abbringen wollte...
Ich mache weinend alles sauber, schmeiße die Klinge weg, bevor ich auf weitere dumme Gedanken komme.
Ich weiß nicht, wie ich es schaffe, mich nicht weinend auf dem Boden zusammenzurollen und nie wieder aufzustehen.

Ich trete aus dem Badezimmer und sehe, wie Ashton noch niedergeschlagener als sowieso schon auf dem Boden sitzt und weint.
Als er mich hört blickt er auf. „Du hast es gesehen", sagt er und ich nicke einfach nur.
„Ashton es tut mir leid. Ich verstehe, dass du Abstand brauchst, aber wenn du bereit bist, den Abstand zu verkleinern, wenn du jemanden zum Reden brauchst, wie auch immer. Dann bin ich für dich da. Ich bin immer für dich da. Egal was zwischen uns passiert ist", erkläre ich ihm leise, „Und bitte mach so etwas nicht..."
Ich gehe auf ihn zu und bleibe kurz vor ihm stehen.
„Wo?", frage ich knapp.
Er zieht zögernd seinen Ärmel hoch und ich sehe frische Schnitte mit getrocknetem Blut.
Ich verarzte ihn, bevor ich ihn verlasse.
„Ich bin immer für dich da", verspreche ich ihm, als ich den Raum verlasse und unterdrücke das Bedürfnis ihn in den Arm zu nehmen.
Ich gehe in mein Zimmer zurück und weine, gefühlt den ganzen Tag lang, hemmungslos bis ich vor Erschöpfung einschlafe.

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