XXI

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Die Stille war erschreckend, fast unheimlich. Das Trampeln der unzähligen Kreaturen, die durch den Wald im Norden von Bruchtal jagten, war nur für äußerst geübte Ohren zu hören. Langsam, aber sicher wurden die Geräusche lauter. Ein Wispern drang zwischen den Bäumen hindurch, Schatten huschten durch das Dickicht des Waldes, von Krone zu Krone sprangen sie. Nun konnte man zwischen den hohen Bäumen erste graue Punkte erkennen, die rasch größer wurden. Ein Hecheln ertönte, zuerst leise, dann immer lauter. Inzwischen konnte man erkennen, dass es sich bei den Gestalten um Orks handelte, die auf Wargen ritten, etwa vier Dutzend von ihnen brachen nach und nach durch das Holz des Waldes. Dicht gebeugt über die Hälse ihrer Reittiere, mit gebleckten Zähnen und voller Kampfeslust ritten sie auf eine kleine Lichtung, die von der vom grauen Nebel verschleierten Sonne nur wenig erhellt wurde. Nur einen Augenblick später flogen die ersten Pfeile. Von allen Seiten schossen die surrenden Geschosse durch die Luft. Drei Warge und neun Orks kamen bei dieser ersten Welle ums Leben. Sofort war es um die Ordnung der Orks geschehen. Erneut huschten Schatten durch die Baumwipfel, weitere Pfeile flogen auf die heranstürmenden Orks herab, die Hälfte aller Orks war bereits tot, zudem wälzten sich einige Orks schwer verletzt am Boden. Nun flogen die ersten Elben aus den Bäumen heran, grün gekleideten Todesengeln gleich, den blanken Strahl gezückt, mit solcher Überzeugung in den Augen, dass sie es gefühlt wohl mit allen Heeren Morgoths hätten aufnehmen können.
"Elben!", zischte der größte Ork, offenbar der Anführer, seinen Kollegen laut zu.
Es begann der Kampf Mann gegen Mann, Ork gegen Elb. Es war ein erbitterter Kampf, ein Kampf um Leben und Tod, um Freiheit und dem Aufhalten der Orkströme aus dem Osten. Ein blonder Elb mit markantem Gesicht und intelligenten Augen, trotz seiner schlichten Kleidung majestätisch und ehrenhaft, stürzte sich an der Seite zweier weiterer Elben in den Kampf. Auf seinem Rücken saß ein prall gefüllter Köcher samt einem eleganten Bogen, in den Händen schwang er zwei den gearbeitete, leicht gebogene Schwerter. Schnell hatte er zwei Orks enthauptet und einem Warg eine seiner Klingen in den Bauch gestoßen. Voller Feuer in den Augen stürzte sich König Thranduil an der Seite seiner Gehilfen, Henthôr und Adrëa, in den Kampf. Er war ein wahrer Dämon, wie er mit wehenden Haaren und Wut in den Augen durch die Reihen der Gegner wirbelte und einige von ihnen nur als leblose Hülle zurückließ. Tote Warge und Orks bedeckten schon bald den Waldboden, doch auch viele Elben hatten das Ende ihres Lebens gefunden. Soeben rammte Henthôr dem letzten Ork sein Schwert zwischen die Rippen und Adrëa zog ihre silbern glänzende Klinge aus dem Maul des letzten Orks, als König Thranduil die Hand hob. 49 Orks und ebenso viele Warge waren gestorben, doch auch über ein Dutzend Elben hatten ihr Leben auf der kleinen Lichtung gelesen.
"Es ist traurig zu sehen, wie viele von uns ihr Leben lassen mussten", meinte König Thranduil betrübt und kniete sich neben neben einer toten Elbin, der ein blutiger Schnitt auf der Brust zugefügt worden war. Sanft umschloss er ihre Hand mit der seinen.
"Mögen dich Erus Tränen in die Ewigkeit führen", sagte er leise, dann erhob er sich wieder.
"Mein Herr?", fragte Henthôr. Thranduil reagierte nicht, er sah weiter auf die vielen elbischen Leichen auf der Lichtung. "So viele." Die Stimme des Königs war kaum mehr als ein Hauch, sein Gesicht und sein ganzer Körper spiegelte große Trauer wieder.
"König Thranduil?", versuchte Henthôr es nochmal, erneut reagierte dieser nicht. Schon wollte er einen Schritt auf den Fürsten von Rhovanion zumachen, als ihn eine warme Hand auf seiner Schulter zurückhielt. Adrëa sah ihn an, formte ein "Ist gut" mit ihren Lippen und trat auf den König zu. Sanft legte sie auch ihm eine Hand auf die Schulter und er hob seinen Blick.
"Nás lùme, aranya", sagte Adrëa fast zärtlich. "Wir müssen aufbrechen."
Langsam nickte der König. "Du hast recht, Adrëa. Unser Blick muss den Lebenden gelten, nicht den Toten."
Er drehte sich zu den anderen Elben um. "Am-i poccoe!"
Es dauerte nur einen kurzen Moment, dann hatten alle Elben Thranduils Befehl befolgt und saßen auf ihren Pferden. Einzig der König selbst hatte seinen Schimmel noch nicht bestiegen und stand mit seltsam verträumtem Gesichtsausdruck auf der Lichtung.
"Stimmt etwas nicht, Herr?", fragte Iodaìn, der dazugetreten war.
"Ja, das tut es", flüsterte der König und zog langsam einen Pfeil aus seinem Köcher, den er anschließend ebenso langsam in seinen Bogen einspannte. Alles war totenstill, sogar die Vögel hatten aufgehört zu zwitschern. Auch wenn keiner wusste, was hier gerade vor sich ging, war die Spannung förmlich greifbar. Dann, überraschend und plötzlich drehte sich König Thranduil zur Seite und sein Pfeil bohrte sich einem Ork in den Kopf. Gleichzeitig ertönte ein Schrei. Der Ork war sofort tot, die Armbrust in seiner Hand zitterte ein wenig. Schnell drehte Thranduil sich um und sah, dass Wethrìna vom Pferd gefallen war und nun keuchend am Boden lag. Iodaìn war sofort zu ihr gestürzt und begutachtete den schwarzen Pfeil, der knapp über ihrer Brust steckte.
"Nun wird es noch dringender nach Bruchtal zu gelangen", meinte Thranduil und schwang sich auf sein Pferd. "Nehmt sie auf ein Pferd, wir müssen sofort los."
Leise murmelnd fuhr er fort: "Celeborns Heilkräfte sind denen Elronds vielleicht nicht gewachsen, doch sie sind mächtiger als die eines jeden einzelnen von uns."
"Rasch, wir haben keine Zeit zu verlieren!", rief der König, dann gab er seinem Pferd die Sporen.
Schnell wie der Wind flogen die über zweihundertfünfzig elbischen Reiter durch die Wälder von Imladris. Iodaìn, der die schwer atmende Wethrìna auf sein Pferd genommen hatte, jagte mit einer solchen Geschwindigkeit über den Boden, als ginge es um sein eigenes Leben, gleichzeitig aber darauf bedacht, Wethrìna den Ritt so angenehm wie möglich zu machen.
"Alles wird gut", wisperte er in ihr volles Haar und erhöhte das Tempo weiter.
"Iodaìn?", fragte Wethrìna schwach und hustete.
"Schhh", machte Iodaìn. "Ich bin hier bei dir, ich lasse dich nicht allein."
Dann griff er wieder entschlossen nach den Zügeln und richtete seinen Blick nach vorne. Inzwischen fiel der Wald leicht ab und bildete nach und nach eine Senke. Das Plätschern von Wasser war klar und deutlich zu hören und sie ritten nun in steinernes Gebiet, bis sie an einen Fluss kamen. Sie durchquerten den Fluss durch eine flache Furt, dann trieben sie ihre Tiere weiter in Richtung Bruchtal. Alle waren sie dicht über ihre Pferd gebeugt, schnell wie Schatten drangen sie immer weiter ins verborgene Tal von Imladris ein. König Thranduil ritt voran, dicht gefolgt von Iodaìn und Wethrìna sowie Adrëa und Henthôr. Entschlossen richtete der König seinen Blick nach vorne, wo er sich die Hilfe versprach, die er so dringend benötigte. Er musste sein Volk retten, jedes einzelne Leben war wertvoll. Er war bereit, jeden Preis dafür zu zahlen, dass sein Volk in Sicherheit und Frieden, fernab von allem Bösen leben konnte, sogar sein eigenes Leben würde er geben. Wie viel er würde zahlen müssen, wusste er nicht, nur eines war ihm bekannt, dass der Preis enorm sein würde. Dieser Ritt würde der nächste Schritt auf einer langen Reise sein, einer Reise, die nicht nur seinem Volk, sondern ganz Mittelerde Frieden und Freiheit bringen würde.

Der letzte Silmaril: Morgoths ErweckungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt