Die Augen des Zwergenfürsten, die genauso grau waren wie das Eisen seines Helmes, blickten starr auf das zitternde Tor vor ihm. Durin, der siebte und letzte seines Namens, stand nur wenige Meter entfernt vom mittleren Tor des zweiten Mauerrings in ständiger Anspannung und Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Angriffs. Nun konnte es buchstäblich jeden Moment soweit sein. Während der eine Teil seiner Person ihn zum sofortigen Aufbruch drängte, um seiner Aufgabe nachzukommen, hielt ihn der andere, weit größere Teil an Ort und Stelle, um seine Brüder in den Kampf gegen die Grauen Morgoths zu führen. Und so stand Durin VII., der Fürst aller Zwerge in Mittelerde, dort am Tor, welches direkt hinaus in die Hölle führte. Nachdem die Orks die äußerste Mauer überwunden hatten, wurde das Feldlager der Elben von der schwarzen Flut der Krieger Morgoths überrollt. Soweit Durin es wusste, waren diesem Massaker nur zwei Elben entkommen, die beiden Elbenfürst Celeborn und Thranduil. Durin wusste genau, dass er ihrem Beispiel eigentlich nachkommen musste, doch sein Platz war hier, an der Seite seines Volkes. Ein lautes Knirschen riss ihn aus seinen Gedanken. Das Tor war durchbrochen worden, beim nächsten Stoß wurde es sich auftun.
“Pfeile!“, rief Durin und die zwergischen Bogenschützen spannten ihre Bögen. Eine beinahe atemlose Stimme senkte sich über die knapp zweitausend Zwerge und ihre Reittiere, stämmige graue Widder mit einem fast schon panzerartigen Fell und mächtigen Hörnern, die selbst jetzt, in diesem Moment unendlicher Anspannung kein Zeichen von Aufregung, weder Tänzeln, Schnauben oder Scharren zeigten. Der gewaltige Rammbock brach durch das Tor und die großen Flügel schwangen auf.
“Zum Angriff!“, rief Durin laut und das Gröhlen der Zwerge mischte sich mit den Rufen der Orks, die durch das nun offene Tor in den Bereich zwischen der zweiten und der dritten Mauer strömten. Einer gehörnten und mit blankem Eisen bewaffneten Walze gleich rollte der Angriff der Zwerge über die schwarze Masse der Orks hinweg. Unzählige der Diener Morgoths fielen unter den Hufen und Hörnern der Widder und der scharfkantigen Äxten und Schwertern der Zwerge. Immer weiter drang die Masse der Zwerge in die Armee der Orks ein und es schien, als könne nichts die Walze der Zwerge stoppen. Der graue Fleck breitete sich in der schwarzen Masse aus, wanderte durch die Fluten und schlug Schneisen in die dichten Reihen der Orks. Durin schwenkte seine Axt von der einen Seite zur anderen, zerstückelte Orks und mit jedem Schlag, der sein Ziel fand, wuchs seine Hoffnung weiter. Vielleicht waren sie, die Verteidiger der Weißen Stadt und damit die letzten Kämpfer für die Freiheit Mittelerdes, doch nicht so chancenlos gegen die Heere Morgoths wie sie stets gedacht hatten. Und so bahnte sich Durin mit harten Schlägen seinen Weg mitten durch die Orkmassen, immer weiter, so weit ihn die Hufe seines Widders tragen würden. Eine Bewegung im Augenwinkel ließ ihn jedoch stutzig werden und er warf einen schnellen Blick über die Schulter. Die Schneise, die die Zwerge mit ihrem beherzten Manöver in die Linien des Feindes gerissen hatten, hatte sich wieder völlig aufgefüllt. Die restlichen Zwerge an der Mauer wurden von Orks überrannt, die Stellungen waren nicht mehr zu halten. Die Gruppe der nunmehr noch gut neunhundert Zwerge bildete eine einsame graue Insel im schwarzen Meer des Orkheeres. Durin hatte den gewaltigen Fehler in seinem Plan entdeckt: Sie hatten keine Möglichkeit zum Rückzug. In diesem Moment streifte eine Klinge seinen Bauch auf der linken Seite, den Bruchteil einer Sekunde später flog er durch die Luft. Der Aufprall drückte ihm sämtliche Luft aus den Lungen und er brauchte einen kurzen Augenblick um sich zu orientieren. Dieser kurze Moment der Orientierungslosigkeit kostete ihm beinahe das Leben. Der Schlag der schwarzen Klinge konnte er noch leicht benommen abwehren, der anschließende Hieb durchdrang das Fleisch des Orks knapp unter der Schulter fast bis auf den Knochen, Sekunden später lag sein Kopf abgetrennt im niedergetrampelten Gras des Pelennor. Durin sah sich um. Sein Widder war offensichtlich von einer Lanze getroffen worden, er röchelte sich soeben zwei Meter neben Durin in den Tod. Sofort wurde seine Aufmerksamkeit wieder auf die dunklen Gestalten um ihn herum gelenkt. Zwei Orks griffen ihn an, doch diesmal machte er kurzen Prozess mit beiden: Fünf wuchtige Schläge später lag der eine mit nur noch einem Arm, der andere mit einer klaffenden Wunde, die mitten durch seinen Bauch verlief, im Gras. Auch wenn es deutlich spürbar war, dass die Orks eine wesentlich bessere Ausbildung erhalten hatten als ihre Vorgänger, so hatten sie ihm, einem absoluten Meister im beidhändigen Kampf mit der Streitaxt, doch nichts entgegenzusetzen. Als er drei weitere Orks zu Boden geschickt hatte, merkte er jedoch langsam den gewaltigen Nachteil seines aggressiven und kraftaufwändigen Kampfstils. Seine Arme begannen bereits schwerer zu werden, die Anstrengung dieses Tages hatten deutliche Spuren bei ihm hinterlassen.
“Durin!“, rief auf einmal eine kräftige Stimme zu seiner Rechten. Als Durin sich umsah, konnte er einen Widder erkennen, der direkt auf ihn zuhielt.
“Hinter dir!“, hörte er noch, doch seine Instinkte hatten ihn bereits gewarnt. Der Ork, der mit erhobenem Schwert auf ihn zugestürmt kam, bekam nur kurze Zeit später die Kehle aufgeschlitzt. Kaum war der Ork zu Boden gesunken, stand der Widder neben ihm. Darauf saß ein Zwerg mit schwarzem Haar und ebenso schwarzem Bart, der jedoch, für einen Zwerg äußerst ungewöhnlich, sorgfältig gestutzt und auf Kinn und Oberlippe begrenzt war. Es war Mólak, einer der Befehlshaber im Heer der Zwerge.
“Danke für die Warnung“, meinte Durin.
“Kein Problem“, antwortete Mólak und deutete auf den Widder. “Wir müssen alles tun, um euch hier herauszubefördern. Steigt auf! Wir sollten uns auf den Weg machen.“
Ohne zu zögern nickte Durin und schwang sich hinter Mólak auf den Widder.
“Sorgt dafür, dass mir keiner in den Rücken fällt“, sagte Mólak noch, dann ritten sie in atemberaubendem Tempo los. Mólak zog seinen Schmiedehammer hervor, der ihm vor Jahren bei einem Angriff der Orks auf die Schmieden Morias das Leben gerettet hatte und der seitdem seine bevorzugte Waffe war. Mit langen Zügen hieb er sich den Weg frei und lenkte den Widder ausschließlich mit dem Fersen, während Durin die Orks auf den Seiten angriff. Je näher sie dem Tor kamen, desto dichter wurde das Orkheer und es wurde immer schwerer, sich einen Weg durch die Orkmassen zu bahnen. Dennoch rückten sie immer näher an die Mauer heran und als sie sie fast schon erreicht hatten, vernichtete Durin gerade einen Ork als ihm erneut eine Bewegung im Augenwinkel auffiel. Noch bevor er reagieren konnte, hatte der heranstürmende Ork Mólak seine Klinge in den Rücken gerammt. Mit weit aufgerissen Augen sank der Zwerg zusammen und auch die Tatsache, dass der Kopf seines Mörders nur Augenblicke später über den Boden rollte, änderte nichts an der Wut und Leere, die Durin auf einmal erfüllte. Mólak war sofort tot und kippte vom Widder herunter. Nur zu gern hätte Durin ihn noch einmal aufgehoben und würdig verabschiedet, doch die Bedrohung war zu nah, die Zeit zu knapp. Er musste nun eine schnelle Entscheidung treffen: Entweder er schlachtete in blinder Wut so viele Orks wie nur irgend möglich ab oder er versuchte das Tor in der nächsten Mauer zu erreichen. Diesmal schaffte sein Verstand es, Sieger über seinen Willen zu bleiben. Er wusste, dass er eine Aufgabe hatte und alles tun musste, um dieser nachzukommen. Ein jedes der heute verlorenen Leben war sinnlos vergeudet, wenn die Gefährten es nicht schaffen würden, Minas Tirith lebend zu verlassen. Er wusste, was zu tun war. Schnell bestieg er den Widder und zückte seine Axt. Er war bereit. Durin holte einmal tief Luft, dann presste er seine Fersen in die Flanken seines Reittieres.
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Der letzte Silmaril: Morgoths Erweckung
FanfictionEtwas mehr als zweihundert Jahre nach dem Ringkrieg zum Ende des dritten Zeitalters ist scheinbar alles Böse aus Mittelerde vertrieben. Frieden herrscht in ganz Mittelerde vor und das wenige Böse sucht sich entlegene Schlupfwinkel, um seiner gerecht...