Gleich würde es soweit sein. Gleich würde das Tor nachgeben. Atharn, der zweite Marschall Rohans, wartete auf den bevorstehenden Kampf. Er wusste, dass es wohl sein letzter sein würde, doch er wusste ebenso, dass er eine Aufgabe hatte, die er erfüllen müsste und erfüllen würde. Vor wenigen Minuten war Théoden II., sein König, auf ihn und Théodens Bruder, den ersten Marschall Isladin zugekommen und hatte von ihnen Abschied genommen, ihnen jedoch auch eine letzte Aufgabe gegeben.
“Kurz bevor wir aus Edoras hierher zogen, habe ich Rhidaur versprochen, den Tod seiner Familie zu rächen“, hatte der König ihnen erklärt. “Er hat sein Leben für unseren Schutz gegeben, nun müsst ihr mir helfen, mein Versprechen zu halten. Tötet den Ork-Kommandaten Lizkà den Einäugigen und rächt Rhidaurs Familie.“
Atharn und Isladin hatten ohne zu zögern zugestimmt. Rhidaur, der dritte Marschall Rohans, hatte sich gemeldet, Edoras zu verteidigen und sein Leben zu geben, um den Soldaten und dem Volk Rohans, das nach Minas Tirith zog, Zeit zu verschaffen. Seinen Tod konnten sie am besten an dem Ork rächen, der vor vielen Jahren Rhidaurs gesamte Familie grausam abgeschlachtet hatte. Nun also war es soweit. Alle in diesem Saal waren bereit für den Kampf, bereit, bei der Verteidigung des letzten Fleckens Freiheit in Mittelerde ihr Leben zu lassen. Es tat einen dumpfen Knall, dann schwang das hölzerne Tor endgültig auf und Orks strömten herein. Die etwa dreißig Verteidiger stürmten auf die Angreifer zu und verteidigten leidenschaftlich den Thron Gondors, auf dem immer noch Eldarion, der Hochkönig Gondors und Arnors saß. Atharn metzelte sich durch scheinbar endlose Orkmassen, immer auf der Suche nach Lizkà. Sein Schwert schnitt durch die Leiber der Orks wie durch Butter und ihre große Zahl wurde ihnen nun zum Verhängnis. Da alle Orks wie wild gewordene Tiere in den Thronsaal stürzten, konnten sie sich kaum bewegen oder einen Angriff ausführen. Es war Atharn ein leichtes, die äußerst wehrlosen Orks zu töten. Plötzlich jedoch sah er nicht weit von sich ein auffälliges Gesicht. Es war ein Ork, majestätischer als alle anderen. Er schrie Wörter in schwarzer Sprache und hob sein Schwert in Richtung Thron. Als er Atharn das Gesicht zuwandte, stockte dem Marschall Rohans für einen Moment der Atem. Das hässliche Gesicht wurde auf der linken Seite von einer wulstigen Narbe geziert, die mitten durch die Stelle lief, wo früher einmal das Auge gesessen haben musste. Nun befand sich an dieser Stelle nur ein fleischiger Wulst, der fast bis zum anderen Auge reichte. Atharn war sich sicher: Er hatte sein Ziel gefunden.
“Lizkà!“, schrie er aggressiv, angestachelt durch seine Wut. “Lizkà!“
Der Ork hörte seine Schreie und sah sich nach ihm um. Als er Atharn im Getümmel erblickte, bleckte er seine Zähne und gab den Orks den Befehl zum Einhalten.
“Kämpf mit mir, Lizkà, du Mörder der Unschuldigen und Wehrlosen! Durch mein Schwert sollst du deine gerechte Strafe für deine Vergehen erhalten!“, rief Atharn ihm entgegen und die Orks bildeten eine Gasse. Der Kampf war für einen Moment zum Stillstand gekommen, alle betrachteten die Szenerie. Langsam und mit schweren Schritten kam Lizkà auf ihn zu, den Mund zu einem hässlichen Lächeln verzogen.
“Was willst du, Mensch?“, fragte er, krächzend wie ein Rabe.
“Deinen Tod“, entgegnete Atharn mit Feuer in den Augen. Lizkà und einige umstehende Orks begannen heiser zu lachen.
“Du wirst deinen Tod erhalten, genau wie dein Freund in deiner schmutzigen Stadt“, antwortete der Ork. “Du bist doch aus der hässlichen Stadt, die ich selbst niederbrannte?“ Er lachte kurz auf. “Auch dein Freund dachte, er könnte mich töten, jetzt liegt er unter der Erde. Und da liegst du auch bald.“ Ein erneutes Lachen ertönte, dann zog Lizkà sein Schwert, keines der für Orks üblichen gebogenen Scimitare, sondern ein glänzendes, zweischneidiges Schwert, das aussah, als würde es ihm sehr schwer in der Hand liegen. Als Atharn sah, welches Siegel den Knauf der Schwertes zierte, riss er erschrocken die Augen auf, was Lizkà sofort bemerkte.
“Du hast recht, dies ist das Schwert seines Freundes und dein Blut wird das erste sein, das es durch meine Hand trinkt.“
Atharns Wut stieg weiter, doch er schaffte es, sich zu konzentrieren. Wenn er jetzt die Beherrschung verlor, würde das dem Ork mehr helfen als ihm.
“Versuch es doch“, zischte der Marschall Rohans durch die Zähne, dann stürmten die beiden aufeinander zu. Klingen trafen sich, der erste Angriff ging vom Ork-Hauptmann aus. Atharn ließ Lizkàs wuchtigen Schlag über sein Schwert abgleiten und holte zum Gegenangriff aus. Der Ork hatte dies jedoch geahnt und parierte den kräftigen Schlag, der seiner Schulter gegolten hatte, mit seinem eigenen Schwert. Ein paar Sekunden rieben die Klingen aneinander und Atharn sah in Lizkàs Gesicht, das ihn fixierte. Immer noch waren die hässlichen Lippen zu einem spöttischen Grinsen verzogen, doch in seinem einen Auge spiegelte sich neben einer Vielzahl an Wut und Mordlust auch eine Spur Angst wieder. Atharn biss die Zähne aufeinander und drückte entschlossener zu. Spätestens jetzt wusste er, dass er in diesem Kampf keineswegs chancenlos war. Der nächste Angriff ging erneut von ihm aus, anschließend setzte Lizkà mehrere kräftige Hiebe, die Atharn nur mit größter Mühe abwehren konnte. Lizkà drängte ihn weiter zurück und Atharn verteidigte die wuchtigen Schläge, auf den Moment zum Gegenangriff wartend. Dann, als Lizkà sein Knie angegriffen hatte, drehte sich Atharn aus dem Schlag heraus und holte zum Stoß aus. Sofort merkte er, dass etwas schief gelaufen war. Der Ork riss sein Schwert zurück und traf Atharns Klinge mit großer Wucht von der Seite. Klappernd fiel das Schwert zu Boden und Lizkà drückte ihm die Spitze seines Schwertes auf die Brust. Siegesgewiss lächelte er, doch Atharn bemerkte sofort, dass die Situation keineswegs so ausweglos war, wie sie schien. Sein rechter Fuß rauschte nach vorne und traf den Ork im Magen, sodass er getroffen zusammenzuckte. Der nächste Tritt galt Lizkàs Schwertarm und auch der Ork-Häuptling war entwaffnet. Ein dritter Tritt gegen die Brust schleuderte den vollkommen verwirrten Lizkà ein paar Meter nach hinten. Sekunden später war Atharn über ihm, das Schwert Rhidaurs, das Lizkà im Kampf geführt hatte, in den Händen. Um sie herum war es still, keiner begriff, was soeben geschehen war.
“Mir scheint, das Blut, dass dieses Schwert trinkt, ist das deine, Lizkà“, meinte Atharn mit harter Miene. “Das ist für all die, die du auf dem Gewissen hast.“
Dann stieß der Marschall zu und das Schwert bohrte sich tief in die Brust des Orks. Ein letztes Röcheln verließ seine Kehle, dann starb er. Sekunden später drangen drei Pfeile in Atharns Körper und er sank auf dem Boden zusammen. Auch sein Leben würde nun zu Ende gehen und dennoch lag ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen. Er empfand kaum Schmerz, denn er wusste, dass er seine Aufgabe erfüllt hatte. Er hatte Lizkà getötet und damit den Tod Rhidaurs gerächt. Er hatte getan, was getan werden musste. Ein warmes Gefühl machte sich in ihm breit, bevor er die Augen schloss. Nur Sekunden später rollte sein abgetrennter Kopf über den blutverschmierten Boden.
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Der letzte Silmaril: Morgoths Erweckung
FanficEtwas mehr als zweihundert Jahre nach dem Ringkrieg zum Ende des dritten Zeitalters ist scheinbar alles Böse aus Mittelerde vertrieben. Frieden herrscht in ganz Mittelerde vor und das wenige Böse sucht sich entlegene Schlupfwinkel, um seiner gerecht...