"Leise", wisperte Alassen, während er zwischen den Felsen hindurchschlich. Sie hatten Minas Tirith durch den kleinen Ausgang hinter dem Thronsaal verlassen und sich durch den kleinen Stollen gezwängt, der vor über zweihundert Jahren von Alassens Großvater in den Berg gehauen worden war, der die weiße Stadt stürzte. Damals hatte niemand gewusst, wieso Aragorn diesen Gang hatte anfertigen lassen, doch inzwischen wunderte sich Alassen kaum noch über solche Dinge. Vor wenigen Minuten waren sie dann ins Freie getreten, wo ein steiler und schmaler Pfad zum Fuße des Berges führte. War es bis vor wenigen Minuten noch vollkommen ruhig gewesen, so hatten sie doch kürzlich sehr leise, kratzige Stimmen gehört. Offenbar waren die dazugehörigen Sprecher noch weit genug von ihnen entfernt, doch dass es sich dabei um Orks handelte, war nicht zu überhören. Offenbar hatte sich ein Trupp aus mehreren Orks einige Meter vor ihnen niedergelassen. Lautlos winkte Alassen den Rest der Gefährten weiter, dann schlich er den Pfad entlang. Die Stimmen wurden lauter und als der Pfad hinter einem großen Felsblock eine Biegung machte, blieben sie alle stehen. Vorsichtig spähte der Sohn Eldarions um die Ecke. Vor ihm lag eine weite Fläche, die etwa auf halber Höhe des Berges lag. Sie war zu zwei Seiten offen und bot einen wunderbaren Blick über die Ebenen im Osten Gondors. Was Alassen auf der mindestens zwanzig mal zwanzig Meter großen Fläche sah, war allerdings deutlich weniger wundervoll: Etwa zwanzig Orks waren dort versammelt, teilweise essend, teils wartend und streitend. Alle waren in volle Rüstung gehüllt, ihre Schwerter lagen achtlos neben ihnen. Dennoch merkte man, dass die Orks wachsam waren, offenbar warteten sie auf etwas.
"Ob sie wissen, dass wir kommen?", flüsterte Tingilya, die neben ihn getreten war.
"Vielleicht warten sie auch auf etwas anderes, aber egal was es ist, wir müssen an ihnen vorbei", antwortete Alassen und drehte sich zum Rest um. Mit wenigen, leisen Worten weihte er die anderen fünf in das ein, was er soeben gesehen hatte.
"Sie sind also etwa drei zu eins in der Überzahl", meinte Thranduil, als Alassen geendet hatte. "Wir müssen wenige von ihnen ausschalten, bevor sie uns entdecken."
Celeborn nickte. "Wie sollen wir das denn bewerkstelligen?"
Thranduil ließ sein Blick umherwandern, bis er an der Felswand, die den Platz von Süden begrenzte, hängenblieb. Ein Lächeln trat auf seine Lippen. "Ich glaube, ich habe einen Plan."Alassen und Tingilya schlichen geduckt an dem Felsmassiv südlich des Pfades vorbei. Zwar konnten sie von dieser Position aus den Platz, auf dem die Orks sich aufhielten, nicht einsehen, dennoch war ihnen klar, dass jeder falsche Tritt das Ende ihres Plans bedeuten könnte. Wenn die Orks sie bemerken würden, wäre alles zunichte. Als sie eine Stelle mit einigen Felsvorsprüngen gefunden hatten, hielten sie an. Nun galt es, den Aufstieg in absoluter Ruhe zu bewältigen.
"Warte, bis ich oben bin", flüsterte Alassen, dann begann er zu klettern. Zum Glück trug er nur einen ledernen Harnisch und keine Rüstung aus Eisen, sonst wäre diese Aufgabe weitaus schwieriger gewesen, doch da er bereits als Kind viel auf Bäume geklettert war, hatte er mit dieser Aufgabe keine allzu großen Schwierigkeiten. Als er oben war, kauerte er sich hinter einen kleinen Felsen und wartete, bis Tingilya ebenfalls heraufgekommen war. Leichtfüßig und schnell, wie man es von einer Elbin, die in der natürlichen Schönheit und den Wäldern Bruchtals aufgewachsen war, erwartete, bewältigte sie den Aufstieg und kauerte kurze Zeit später neben ihm. Alassen warf einen kurzen Blick auf dem Felsmassiv umher. Zu ihrem Glück war dieser übersät mit kleineren und größeren Felsbrocken, hinter denen man sich leicht verbergen konnte. Weiter vorne, etwa dreißig Meter von ihnen entfernt, fiel der Fels steil nach hinten ab. Da von dort auch die krächzenden Stimmen der Orks zu hören waren, musste hinter dieser Kante der Platz liegen, auf dem die Orks ihr Lager aufgeschlagen hatten. Kurz nickten sich Alassen und Tingilya zu, dann schlichen sie los. Geduckt und leise rannten sie von Brocken zu Brocken und schließlich hatten sie die Kante erreicht. Schnell verbargen sie sich hinter einem größeren Felsblock und bereiteten ihre Bögen vor. Die ersten Pfeile lagen schon nach wenigen Sekunden auf der Sehne und Alassen warf Tingilya einen kurzen Blick zu. Ein Nicken antwortete auf seinen Blick und so flogen die Pfeile in die Menge der Orks. Als die ersten Orks zu ihren Waffen griffen, hatten bereits drei der vier abgeschossenen Pfeile einen Ork tödlich erwischt. Nun erwies sich die lange Kletterei als gewaltiger Vorteil, denn die vielen Felsblöcke auf dem Massiv boten hervorragenden Schutz gegen die nun vereinzelt herbeifliegenden Armbrustbolzen. Wenige Sekunden später lagen schon sieben Orks tot am Boden und die ersten hatten begonnen, das Massiv zu erklimmen. Da die Wand jedoch viel zu steil war, scheiterten sie alle beim Versuch und gaben nun leichte Beute für die Pfeile Alassens und Tingilyas ab. Gerade als der erste Ork versuchen wollte, um das Massiv herumzugehen und einen besseren Aufstieg zu finden, ertönte ein lauter Pfiff und die anderen fünf Gefährten brachen aus ihrem Versteck hervor. Gemeinsam mit der Überraschung in den Augen der Orks und den zahlreichen Pfeilen, die von oben auf die Knechte Morgoths herabregneten, war der Kampf schnell vorüber. Etwa anderthalb Minuten später fuhr Durins Axt durch den Brustkorb des letzten noch stehenden Orks, dann war das Gefecht gewonnen.
“Diese Orks haben auf etwas gewartet“, meinte Théoden, als sie sich nach dem Kampf zusammenfanden.
“Wenn ihr mich fragt, haben sie auf uns gewartet“, brummte Durin mit wenig Begeisterung in seinen Bart.
“Das glaube ich nicht“, entgegnete nun Thranduil. “Woher hätten die Orks von dem Stollen wissen sollen? Wieso waren sie nicht auf den Kampf vorbereitet? Warum konnten wir sie so leicht überraschen und wieso haben sie sich nicht versteckt, sondern sich offen zu erkennen gegeben?“
Als Antwort brummte Durin nur irgendetwas von “besserwisserischen Elben“, dann ergriff Alassen das Wort. “Wir sollten unseren weiteren Weg planen.“ Umständlich kramte der Mensch eine Karte hervor und faltete sie auseinander. “Wir sind hier“, sagte er und deutete auf das kleine Symbolbild der Weißen Stadt, das mit Minas Tirith beschriftet war. “Ich würde vorschlagen, dass wir uns südlich der Nord-Süd-Straße halten und durch die Ered Nimrais die Grenze zwischen Rohan und Gondor durchschreiten. Im Gebirge sollten wir vor Morgoths Schergen am sichersten sein.“ Mit dem Finger fuhr Alassen den beschriebenen Weg nach. “Danach müssen wir uns das Nebelgebirge entlangkämpfen, da die Pforte von Rohan auf's Schärfste überwacht werden wird. Schließlich müssen wir versuchen, über den Caradhras oder durch Moria nach Westen zu gelangen.“
“Welchen Weg wählen wir, wenn uns beide Übergänge nach Westen blockiert werden?“, fragte Celeborn nach.
“Ich fürchte, wir werden dann den Weg durch die Lande von Angmar nehmen müssen. Zwar wird der Feind dort zahlreich sein, doch die Gegend durch bietet viele Möglichkeiten, das Gebirge einfach zu überqueren“, meinte Thranduil. Alle nickten zur Bestätigung, dann rüsteten sie sich zur Weiterreise. Gerade waren sie losmarschiert, als Alassen und mit ihm auch Aiya und Tingilya noch einmal stehenblieben. Sehnsüchtig warf Alassen einen Blick auf Minas Tirith, dessen Weiß nun dunkel und matt geworden war. Rauch stieg auf von der Stadt und verband sich mit dem grauen Wolkenband über dem Pelennor. Alassen musste schlucken. “Ich glaube, erst jetzt begreife ich, was in den letzten Wochen, Monaten und Jahren passiert ist.“
Aiya zog eine Augenbraue nach oben. “Was meinst du?“
“All die Zeit haben wir geschlafen, haben die Bedrohung weiter wachsen lassen“, erläuterte Alassen. “Und nun ist es geschehen: Morgoth ist erwacht.“
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Der letzte Silmaril: Morgoths Erweckung
FanficEtwas mehr als zweihundert Jahre nach dem Ringkrieg zum Ende des dritten Zeitalters ist scheinbar alles Böse aus Mittelerde vertrieben. Frieden herrscht in ganz Mittelerde vor und das wenige Böse sucht sich entlegene Schlupfwinkel, um seiner gerecht...